„Hat keine Ahnung von Folgen für die Landwirtschaft“: Scholz‘ neue Mindestlohn-Forderung alarmiert Union

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Kanzler Olaf Scholz bei der Grünen Woche, einer Messe für Ernährung, Landwirtschaft und Gartenbau. © Kay Nietfeld/picture alliance

Der Kanzler will den Mindestlohn auf 15 Euro erhöhen. Die Union kritisiert das und meint: „Länder mit niedrigerem Lohnniveau verdrängen heimisches Obst und Gemüse.“

Olaf Scholz preschte im Mai mit Forderungen nach einem höheren Mindestlohn vor. Der Kanzler will eine schrittweise Erhöhung auf 15 Euro pro Stunde. Aktuell sind es 12,41 Euro, für Anfang 2025 ist gemäß der Festlegung der Mindestlohnkommission aus dem vergangenen Jahr eine weitere Anhebung um 41 Cent geplant. Geht es nach Scholz, sollen es anschließend erst 14 und dann 15 Euro werden. Kritik kommt aus der CDU/CSU-Fraktion.

Union: „Länder mit niedrigerem Lohnniveau verdrängen heimisches Obst und Gemüse“

Der agrarpolitische Sprecher der Union, Albert Stegemann, sieht negative Folgen für die heimische Landwirtschaft. „Besonders frappierend ist, dass die Regierung keine Ahnung hat, was eine Erhöhung des Mindestlohns für Folgen für die Landwirtschaft hat“, sagt Stegemann IPPEN.MEDIA. Hintergrund ist eine Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Unions-Fraktion, die unserer Redaktion exklusiv vorliegt.

Was ein erhöhter Mindestlohn konkret bedeute, sei nicht abschätzbar, heißt es darin: „Eine prognostische Einschätzung der Auswirkungen einer Anhebung des Mindestlohns auf 15 Euro je Zeitstunde kann nicht abstrakt erfolgen.“ Stegemann meint: „Bereits jetzt ist zu beobachten, dass Importe aus Ländern mit einem niedrigeren Lohnniveau heimisches Obst und Gemüse verdrängen. Allein in Spanien oder Polen beträgt der Mindestlohn gerade mal die Hälfte von dem in Deutschland.“

Mindestlohn in der EU: Zehn Länder unter fünf Euro

Tatsächlich ist der Mindestlohn in vielen Ländern deutlich niedriger als hierzulande, wie es in der Antwort weiter heißt. „Nach Kenntnis der Bundesregierung liegt der Mindestlohn zum Stand 1. Januar 2024 in keinem europäischen Mitgliedstaat bei 15 Euro oder mehr.“ Bei Deutschlands größten Mitbewerbern im Agrarsektor, etwa beim Obst- und Gemüseanbau, gilt demnach ein teils deutlich niedrigeres Lohnniveau.

In 22 EU-Ländern gibt es einen gesetzlichen Mindestlohn. Im Ranking der absoluten Zahl liegt Deutschland im Jahr 2024 auf Rang vier – nur in Luxemburg (14,86 Euro), den Niederlanden (13,27 Euro) sowie Irland (12,70 Euro) liegt der Mindestlohn höher. Schlusslicht in dieser Statistik ist Bulgarien mit 2,85 Euro – eine Übersicht mit Zahlen des Statistischen Bundesamts:

Position Land Mindestlohn (Stand 1. Januar 2024)
1. Luxemburg 14,86 Euro
2. Niederlande 13,27 Euro
3. Irland 12,70 Euro
4. Deutschland 12,41 Euro
5. Belgien 12,09 Euro
6. Frankreich 11,65 Euro
7. Slowenien 7,25 Euro
8. Spanien 6,87 Euro
9. Polen 6,10 Euro
10. Zypern 6,06 Euro
11. Litauen 5,65 Euro
12. Malta 5,34 Euro
13. Estland 4,86 Euro
14. Kroatien 4,86 Euro
15. Portugal 4,85 Euro
16. Tschechien 4,69 Euro
17. Griechenland 4,51 Euro
18. Slowakei 4,31 Euro
19. Lettland 4,14 Euro
20. Ungarn 4,02 Euro
21. Rumänien 3,99 Euro
22. Bulgarien 2,85 Euro

Auf dem Apfelmarkt etwa konkurriert Deutschland mit Polen. Im Nachbarland gibt es einen wesentlich niedrigeres Lohnniveau, sodass polnische Äpfel günstiger angeboten werden. Ähnlich sieht es bei Tomaten aus. Sie kommen nur zu 3,5 Prozent aus heimischen Anbau, wie unserer Redaktion vorliegende Zahlen zeigen. Auch, weil sie andernorts billiger produziert werden können. Bei Spargel, Gurken oder Erdbeeren liege der Anteil der Lohnkosten bei rund 50 Prozent, erklärt die Union unter Verweis auf Zahlen des Dienstleistungszentrums Ländlicher Raum in Rheinland-Pfalz.

„Auch vor dem Hintergrund der Ernährungssicherheit brauchen wir eine starke heimische Landwirtschaft“, meint Stegemann. „Die Bundesregierung sollte die Landwirtschaft entlasten und nicht durch neue bürokratische Vorschriften und Aussagen zum Mindestlohn belasten und verunsichern.“ Hinzu kämen einseitige nationale Belastungen, wie die Abschaffung der Agrardiesel-Subventionen, die für weiteren Wut der Landwirtschaft auf die Politik sorgten.

Albert Stegemann (CDU) im Deutschen Bundestag
Albert Stegemann (CDU) sitzt seit 2013 im Deutschen Bundestag. Der agrarpolitische Sprecher der Union ist selbst Landwirt und übernahm den Betrieb seiner Eltern im niedersächsischen Emsland. © IMAGO/dts

Die Bundesregierung erklärt, die Landwirtschaft habe die bisherigen Mindestlohnanpassungen „insgesamt gut bewältigt“. Was ein erhöhter Mindestlohn konkret bedeutet, sei nicht abschätzbar.

Bundesregierung: „Pläne für Anhebung durch Gesetz bestehen nicht“

Inwiefern die Ideen des Kanzlers aber überhaupt umgesetzt werden, oder nicht doch eher dem Europawahl-Wahlkampf geschuldet waren, ist unklar. Von der Bundesregierung heißt es auch: „Pläne der Bundesregierung für eine Anhebung des Mindestlohns durch Gesetz bestehen nicht.“ Vielmehr verweist das Arbeitsministerium auf die Mindestlohnkommission, die alle zwei Jahre über mögliche Anpassungen entscheidet. Mitglieder sind Wissenschaftler sowie Vertreter der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite. Eine Reform dieser Kommission ist laut Antwort nicht geplant.

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