Polizeichef zur Tragödie in Graz: „Nicht schon wieder“ war sein erster Gedanke

  • Carl-Christian Eick
    VonCarl-Christian Eick
    schließen

Am 1. Mai hat Emanuel Erdinger die Leitung der Polizeidienststelle in Wolfratshausens angetreten. Unsere Zeitung sprach einen Tag nach dem Amoklauf in Graz mit dem Hauptkommissar.

Wolfratshausen – Seit gut vier Wochen ist Hauptkommissar Emanuel Erdinger neuer Leiter der Polizeiinspektion Wolfratshausen. Der Partenkirchner, der am Donnerstag seinen 54. Geburtstag feierte, kennt seinen Nachbarlandkreis Bad Tölz-Wolfratshausen zwar recht gut, „aber noch nicht jedes Eck“ im Zuständigkeitsbereich der Wolfratshauser Inspektion, die rund 35 Beamtinnen und Beamte zählt. Das Miteinander ist dem Chef sehr wichtig: „Ein gutes Betriebsklima ist das A und O. Nicht nur bei der Polizei.“

Unsere Zeitung trifft Erdinger einen Tag nach der Tragödie im österreichischen Graz. Elf Todesopfer hat der Amoklauf eines ehemaligen Schülers gefordert, zudem gibt es mehrere Schwerverletzte. Der mutmaßliche Täter (21) richtete sich nach derzeitigen Erkenntnissen der Ermittler auf einer Schultoilette selbst.

„Nicht schon wieder“ sei sein erster Gedanke gewesen, als er am Dienstagvormittag von der Bluttat erfuhr, sagt Erdinger. Was wäre wenn? „Auch diese Frage stellt man sich sofort.“ Vor dem geistigen Auge erscheinen die Standorte der Schulen im Dienststellenbereich – „die Einsatzkonzepte sind bekannt und griffbereit“. Die taktische Vorgehensweise ist Verschlusssache, Erdinger gibt nur preis: „Wir stehen im Austausch mit den Schulleitungen.“ In den internen Gesprächen werde unter anderem erörtert, wie sich die Lehrkräfte im Fall des Ernstfalles verhalten sollten.

Grazer Bürgermeisterin wiederholt Forderung nach Waffenverbot für Privatpersonen

(Unser Wolfratshausen-Geretsried-Newsletter informiert Sie regelmäßig über alle wichtigen Geschichten aus Ihrer Region. Melden Sie sich hier an.)

Die Grazer Bürgermeisterin Elke Kahr wiederholte wenige Stunden nach dem Amoklauf ihre Forderung nach einem Waffenverbot im privaten Bereich: „Waffen sollten nur unsere Exekutivorgane tragen, keine Privatpersonen“, so Kahr. „Wir haben ein intelligentes Waffenrecht“, meint Erdinger mit Blick auf die Gesetzeslage in Deutschland. Der Erwerb einer Schusswaffe sei mit vielen Voraussetzungen und strengen Auflagen verknüpft. Zudem sei das Waffenrecht „dynamisch“: In jüngster Vergangenheit untersagte der Gesetzgeber unter anderem den Besitz von Butterflymessern und Wurfsternen.

Küchenmesser und Bleistift lassen sich nicht verbieten

Zur Wahrheit gehört: „Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht“, räumt der Beamte ein, der bis zu seinem Dienstantritt in der Loisachstadt Leiter der Grenzpolizeistation Mittenwald war. Ein Küchenmesser oder „ein Bleistift“, der als Tötungswerkzeug missbraucht werden kann, „lassen sich nicht verbieten“.

Nach den Anschlägen in Deutschland, bei denen Attentäter mit Pkw oder Lkw zielgerichtet in Menschenmassen fuhren, „wird noch sorgfältiger hingeschaut“, sagt der Hauptkommissar. Jeder Veranstaltungsort werde hinsichtlich des Sicherheitskonzepts geprüft, die Sicherheitsbehörden wie das Landratsamt und die Kommunen „werden noch intensiver von uns beraten“, berichtet Erdinger. Er betont im selben Atemzug: „Die Bürgerinnen und Bürger leben hier sehr sicher.“ Trotzdem werde die Arbeit der Polizei nicht weniger: „Den klassischen Banküberfall gibt es nicht mehr, dafür sehen wir uns mit Internetkriminalität konfrontiert.“

In jeder Uniform steckt ein Mensch.

Dazu komme der berühmt-berüchtigte Enkeltrick, ein „neues Phänomen“, das trotz aller Aufklärungsarbeit nahezu Tag für Tag wieder zu beobachten sei. Schlimmer noch: Immer wieder fallen Seniorinnen und Senioren auf die Betrüger, die aus Callcentern im Ausland heraus operieren, herein.

Das Bild des Polizisten als Freund und Helfer „hat immer noch Bestand, hat immer noch seine Berechtigung“, stellt Erdinger im Gespräch mit unserer Zeitung fest. Rund um die Uhr würden die Beamtinnen und Beamten bereitstehen, sie seien „Dienstleister für die Bürgerinnen und Bürger“. Im Gegenzug wünscht sich Wolfratshausens neuer Polizeichef „Anstand und ein gewisses Maß an Respekt“. Denn: „In jeder Uniform steckt ein Mensch.“ (cce)