„Wahnsinn“: Drei Millionen fallen auf Reise-Video rein – Experte klärt auf
Über 135 Millionen Menschen sehen auf Instagram einen Nachtzug, der durch eine verschneite Landschaft fährt. Dass dahinter KI steckt, ahnen wenige.
„Stell dir vor, du wachst in einem Zug auf, schlürfst Kaffee und genießt diese atemberaubende Aussicht auf den Schnee“, schreibt der Nutzer @emin.labs auf Instagram unter ein Video, in dem er (so scheint es) aus dem Panorama-Fenster eines Luxus-Nachtzuges eine verschneite Landschaft filmt. Der Clip hat mittlerweile über 135 Millionen Aufrufe.
„Wen würdest du auf diese Reise mitnehmen?“, fragt der vermeintliche Reiseblogger. Über 25.000 Menschen antworten ihm darauf, indem sie ihre Freunde in den Kommentaren markieren. Über drei Millionen liken das Video. „Bitte sag uns, wo das ist und wie wir diesen Zug buchen können!“, kommentiert eine Person. Es wimmelt von „Wahnsinn“ und „WOW“ unter dem Video. Viele Menschen spekulieren in den Kommentaren, wo dieses „Winterwunderland“ wohl zu finden ist.
Reise-Video mit Nachtzug: Zu schön, um wahr zu sein?
Eine Person behauptet, es handelt sich bei dem Nachtzug um einen Wagen auf der „Via Rail“ in Kanada. Eine andere vermutet, es ist der Venice Simplon-Orient-Express. Beide liegen falsch. Dieses Reise-Video ist zu schön, um wahr zu sein. Wie alle anderen Videos von @emin.labs. Wer sich seinen Instagram-Account genauer ansieht, bemerkt, dass er sich „AI Art Creator“ nennt, seine Inhalte also mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) erstellt. Diese wichtige Zusatz-Information lässt er in den Beschreibungen seiner Reise-KI-Videos weg.
Es sei positiv, wenn KI bei der Contenterstellung „mutig und kreativ“ eingesetzt werde, doch bei „Reiseinspiration geht es immer auch um Vertrauen, Emotionen und Authentizität“, sagt der Tourismus-Experte Alex Mirschel BuzzFeed News Deutschland von IPPEN.MEDIA. Er beschäftigt sich beim Beratungsunternehmen Realizing Progress seit 15 Jahren mit Innovationsthemen und der Digitalisierung im Tourismus.
„Vielen Menschen fehlt es an der nötigen Medienkompetenz, um KI Inhalte auch wirklich als solche zu erkennen“, sagt er. Selbst, wenn diese als KI gekennzeichnet sind, so wie bei der KI-Reisebloggerin @emmatravelsgermany von der Deutschen Zentrale für Tourismus (siehe unten). Hier frage er sich, was der Mehrwert sei, wenn eine offizielle Tourismusorganisation solche bekanntermaßen „fiktiven Reiseanekdoten“ eines „synthetischen Avatars“ (ähnlich wie KI Scholz) in „unrealistischen Umgebungen“ präsentiere.
KI-Reise-Videos: Sterben menschliche Reiseblogger irgendwann aus?
Kennen wir irgendwann nur noch solche KI-Bilder von Italien, Bali oder Namibia und sind enttäuscht, wenn die Realität anders aussieht? Das glaubt Mirschel nicht. „Die Tourismusbranche verkauft schon immer auch ein Stück weit Träume und Sehnsüchte in Hochglanz. Dieser Bogen wurde vor längerer Zeit schon von der Social Media Welt überspannt und es gab den Gegentrend zurück zu mehr Natürlichkeit, Live-Content und weniger Filtern.“
So werde es auch bei KI sein. Menschliche Reiseblogger dürften also nicht aussterben – im Gegenteil. „In einer Welt, in der Content ein quasi unendliches Gut geworden ist, auf Knopfdruck jede beliebige Illusion erschaffen werden kann und die Urheberschaft von Informationen immer schwieriger nachvollziehbar ist, wird die Bedeutung vertrauenswürdiger Persönlichkeiten und Inspirationsquellen weiter wachsen“, sagt Mirschel BuzzFeed News Deutschland.

KI im Tourismus: „Vielerorts fehlt noch der klare Fahrplan und eine transparente Haltung“
„Wenn wir ehrlich sind, steckt die Tourismusbranche in Sachen KI immer noch in den Kinderschuhen. Es wird hier und dort spielerisch experimentiert und ausprobiert, vielerorts fehlt noch der klare Fahrplan und eine transparente Haltung“, sagt der Reise-Experte BuzzFeed News Deutschland. Klar sei, dass Künstliche Intelligenz die Reisewelt „ohne jeden Zweifel verändern“ werde. Er spricht von einer „Disruption durch KI“, bei der viele noch unterschätzen würden, wie „tiefgreifend diese Transformation sein kann“.
Er spreche hier nicht von generativer KI, wie sie bei den Nachtzug-Videos oder bei Reisebloggerin Emma zum Einsatz kam. „Die wahre Stärke von KI liegt unter der Oberfläche“, sagt Mirschel. KI in der Reiseplanung habe das Potenzial, Workflows effizienter, Datenanalysen präziser und Erlebnisse hyperpersonalisierter zu machen. „Wir werden immer seltener mit Inhalte und Angeboten konfrontiert sein, die für uns keine Relevanz haben und keine Mehrwerte bieten“, sagt der Tourismus-Experte.