Analyse von Hugo Müller-Vogg - Grotesk aber wahr: Warum die AfD unser Land grüner und linker macht

Die Parteien links der Mitte – SPD, Grüne, Linke und BSW – kommen im Bund aktuellen Umfragen zufolge auf 35 bis 38 Prozent, sind also von einer Mehrheit weit entfernt.

Auf der anderen Seite des politischen Spektrums sieht es anders aus. Da liegen CDU/CSU, AfD, FDP und Freie Wähler zusammen bei rund 55 Prozent. Im Januar 2013, bei Gründung der AfD, erreichten CDU/CSU und FDP in den Umfragen zusammen nur 45 Prozent.

Die politische Stimmung hierzulande hat sich also deutlich verändert. Doch das schlägt sich nicht in entsprechenden Mehrheiten in den Parlamenten nieder. Schließlich will – und das aus guten Gründen – keine demokratische Partei mit der in Teilen rechtsextremen AfD koalieren.

Weidel, Höcke und Co. haben etwas ganz anderes erreicht

Statt eher konservative Politik zu befördern, haben Alice Weidel, Björn Höcke & Co. etwas ganz anderes erreicht: mehr politische Macht für Grüne, SPD und sogar für die Linke und BSW. Mehrfach wurden die Grünen dank der AfD-Existenz in vielen Ländern benötigt, um Regierungen bilden zu können.

Die „Bilanz“ nach elf Jahren AfD sieht dementsprechend aus. In Hessen folgten auf Schwarz-Gelb zehn Jahre Schwarz-Grün, dann kam Schwarz-Rot. In Baden-Württemberg regiert seit 2016 Grün-Schwarz, in Thüringen waren zehn Jahre lang ein linker Ministerpräsident mit SPD und Grünen an der Macht, in Bremen hat Rot-Rot-Grün das Sagen.

Bei den jüngsten Wahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen mussten insbesondere die Grünen für ihre Politik in der Berliner Ampel (Stichwort: Heizungsgesetz) kräftig büßen. Dafür wurde das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ zum Machtfaktor. Dessen sozialistische Vorstellungen von Wirtschaftspolitik sind genau das Gegenteil dessen, was die AfD anstrebt.

Grotesk! Wie die Linke von der Stärke der AfD profitiert

Man sieht: Durch das Aufkommen der AfD wird der Satz des früheren bayerischen Ministerpräsidenten Günther Beckstein (CSU) bestätigt: „In der Politik ist alles möglich – und selbst das Gegenteil davon.“

Geradezu grotesk ist, dass ausgerechnet die Linke von der Stärke der AfD gleich zweifach profitiert – machtpolitisch wie strategisch. Da alle anderen Parteien eine Koalition mit der AfD kategorisch ausschließen, eröffnete das Chancen für die umbenannte SED bis hin zur Regierungsbeteiligung.

Mehr noch: Weil die Linke bisweilen zur Regierungsbildung benötigt wurde und wird, wurde sie Schritt für Schritt zu einem ehrenwerten Mitglied im „Club der Guten“ aufgewertet. Wenngleich durch die Wagenknecht-Abspaltung sehr geschwächt, ist die Linke dabei, sich in den Kreis der staatstragenden Parteien einzureihen.

Das zeigte sich jetzt in Thüringen und Sachsen, wo die CDU die Brandmauer nach links faktisch geschleift hat. Der neue thüringische Ministerpräsident Mario Voigt (CDU) hat seine CDU/BSW/SPD-Koalition mit 44 von 88 Sitzen durch Absprachen mit der Linken abgesichert.

Während die politische Stimmung mehrheitlich konservativ ist, profitieren linke Parteien

In Sachsen wiederum verdankt Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) als Chef einer CDU/SPD-Minderheitsregierung seine Wiederwahl den Stimmen von BSW und der Linken. Der CDU-Politiker rühmte anschließend „sehr, sehr viele verantwortungsbewusste Kolleginnen und Kollegen“, eine Verbeugung nach ganz links.

Es ist ein Widerspruch und doch Realität: Während die politische Stimmung mehrheitlich konservativ ist, profitieren linke Parteien wie Grüne, Linke und BSW machtpolitisch von der Existenz der AfD.

Noch ein Kuriosum: Während Grüne und Linke im Lauf ihrer parlamentarischen Existenz gemäßigter geworden sind, hat sich die AfD immer mehr radikalisiert und immer extremistischere Positionen eingenommen.

Allerdings wird gerne vergessen, dass schon ihr erster Spitzenmann, der Ökonomie-Professor Bernd Lucke, gegen die „Entartungen von Demokratie und Parlamentarismus“ zu Felde zog. Auch ließ der Anti-Euro-Fighter zu, dass ehemalige NPD-Leute und andere Rechtsradikale die AfD als neue politische Heimat betrachteten.

Eines hat die AfD zweifellos erreicht

Von Anfang an schlug die AfD national-konservative Töne an. Heute dominieren völkische, ausländerfeindliche und rechtsradikale Parolen. Zudem ist das Auftreten der AfD gegenüber anderen Parteien rauer, ja hasserfüllter geworden.

Dazu passt eine Erkenntnis der Meinungsforscher von Allensbach. Demnach verfügen 13 Prozent der AfD-Wähler über ein „gefestigtes, rechtsradikales Weltbild“, weitere 43 Prozent hätten „ausgeprägt rechte, teils autoritäre Ansichten“. Da stellt sich die Frage, ob demokratische Parteien bei diesen Wählern überhaupt noch eine Chance haben.

Eines hat die AfD zweifellos erreicht: Sie hat die alte parteipolitische Ordnung ausgehebelt. Die ehemals großen Lager, das bürgerliche mit CDU/CSU und FDP, und das linke mit SPD und Grünen existieren nach der Westausdehnung der Linken und der Gründung der AfD nicht mehr. Mit der Linken-Abspaltung BSW ist die Lage noch komplizierter geworden.

Was die AfD nicht erreicht hat, ist auch klar: Sie brachte keine neuen politischen Mehrheiten in ihrem Sinn zustande. Ihre Wähler reagieren mit ihrer Stimme ihre Wut über die bestehenden Verhältnisse ab – stärken aber letztlich Grüne, BSW und Linke. Was für eine Alternative!