„Realitätsverweigerung“ im Kanzleramt: Stahl-Unternehmer schäumt vor Wut über die Ampel-Koalition
Die deutsche Stahlindustrie ist im Umbruch. Förderung ist vorhanden, hat aber Fehler. Ein Stahl-Chef sieht „Realitätsverweigerung“ im Kanzleramt.
Völklingen – „Diese Nachricht ist wegweisend für die saarländische Stahlindustrie“, hatte sich der Stefan Rauber, Chef des Stahl-Unternehmens Saarstahl, noch im Dezember 2023 gefreut. Kontext: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte eine Milliardenförderung versprochen. Ein Dreivierteljahr später ist von dem damals herrschenden Optimismus kaum mehr etwas zu sehen. Im Gegenteil.
„Realitätsverweigerung“ bei der Ampel – Chef von Stahlunternehmen prangert Strompreis an
Jetzt schäumt der Saarstahl-Chef, und verantwortlich dafür ist die Ampel-Koalition. Der Kanzler leide unter „Realitätsverweigerung“, die Verantwortlichen aus der „Berliner Glaskugel“ wüssten nicht, was in Deutschland geschehe, der FDP-Finanzminister habe das Fass zum Überlaufen gebracht. Anfang September hatte Christian Lindner beim Bankengipfel des Handelsblatts zu mehr Leistungsbereitschaft und unternehmerischem Risiko aufgerufen – „Wir werden alle tun müssen als unsere Pflicht“, sagte der Bundesfinanzminister damals.

Für Saarstahl-Chef Rauber ist das ein rotes Tuch. So könnten nur Leute reden, die keine Ahnung hätten, sagte er gegenüber der Frankfurter Allgemeine Zeitung. Im Saarland müsse er ein Vier-Milliarden-Euro-Projekt stemmen, die wirtschaftliche und politische Unsicherheit könnte höher kaum sein. „Lindner kann gern mit mir schlaflose Nächte teilen“, sagte Rauber dazu. Die politischen Rahmenbedingungen würden nicht stimmen; zu hohe Energiepreise, die „Wasserstroffträume“ würden sich nicht erfüllen.
Die zu hohen Energiepreise seien für die deutsche Industrie derzeit mit das schwerwiegendste Manko. Im internationalen Vergleich ist deutsche Energie dem Stahl-Chef viel zu teuer. Er verlangt einen Industriestrompreis von unter vier Cent je Kilowattstunde. Laut dem BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft liegt der durchschnittliche Strompreis für kleine bis mittlere Industriebetriebe (inklusive Stromsteuer) im Jahr 2024 bei 16,65 Cent pro Kilowattstunde. Die Bundesregierung müsste nach Raubers Vorstellung also dafür sorgen, dass sich der Industriestrompreis mindestens viertelt.
Umbruch in der Stahlindustrie – Dekarbonisierung verschlingt Milliarden
Derzeit befindet die Stahlindustrie in einem schwerwiegenden Umbruch. Die Klimapolitik stellt die Unternehmen vor die Herausforderung, den CO₂-Ausstoß zu bestimmten Stichdaten um eine vordefinierte Menge zu senken. Bis 2030, so jedenfalls der Plan der saarländischen Stahlindustrie, sollen die Unternehmen 55 Prozent des aktuellen CO₂-Ausstoßes einsparen. Dazu hatte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck im Dezember eine Förderung über 2,6 Milliarden Euro bereitgestellt, die den Unternehmen dabei helfen sollte.
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„Damit übernehmen wir eine Vorreiterrolle bei der Dekarbonisierung der deutschen Stahlindustrie“, hatte Stefan Rauber dazu im Dezember mitgeteilt. Gleichzeitig solle die Industrie ihre Wettbewerbsfähigkeit sichern. Er sprach von einer „erstklassigen Nachricht“ für die Kunden und von einem „riesigen“ Schritt in die Zukunft einer hochinnovativen Stahlproduktion.
„Historisch niedriges“ Niveau in der Stahlindustrie – Verband fordert Überarbeitung bei Regierungs-Hilfen
Deutschlands Stahlproduktion hatte im vergangenen Jahr 2023 ein „historisch niedriges“ Niveau erreicht. Aus diesem Tief scheint sie sich langsam zu befreien – wie die Wirtschaftsvereinigung Stahl Mitte Juli mitteilte, zeigte die Produktion eine leichte Erholung. In den ersten sechs Monaten 2024 stieg die Rohstahlerzeugung um 4,5 Prozent, verglichen mit demselben Zeitraum von 2023. Insgesamt produzierten die Unternehmen 19,4 Millionen Tonnen.
„Die Rohstahlproduktion scheint das tiefste Tal durchschritten zu haben. Fraglich ist jedoch, wie nachhaltig diese Entwicklung ist“, sagte Kerstin Maria Rippel, Hauptgeschäftsführerin der Wirtschaftsvereinigung Stahl, in einer Verbandsmeldung dazu. Die Wirtschaftsvereinigung schätzt die Bemühungen der Bundesregierung, was die Förderung von Dekarbonisierung im Stahlbau angeht, durchaus positiv ein, allerdings gäbe es bei der Praxisanwendung Schwierigkeiten. Speziell bei der neuen Förderrichtlinie „Bundesförderung Industrie und Klimaschutz (BIK)“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) seien die Hürden zu hoch.
„Leider stellen die unrealistischen Teilnahme-Bedingungen des Förderprogramms BIK unsere mittelständischen Elektrostahlwerke vor massive Hürden – und bremsen damit die Hebung der Klimaschutzpotenziale dieser Unternehmen aus.“ Rippel zufolge können ausgerechnet die Firmen, die schon heute „relativ klimafreundlich“ Stahl produzieren, nicht am Programm teilnehmen, da die Zielvorgaben für die Einsparungen von CO₂ „deutlich zu hoch“ angesetzt seien. Eine Überarbeitung der Förderbedingungen sei notwendig.