„Wir würden den Haushalt strangulieren“ – Lindner warnt vor Neuverschuldung
Die deutsche Wirtschaft steht nahezu still. Noch im Februar will die Regierung die neue Wachstumsagenda vorstellen. Finanzminister Christian Lindner stellt sich trotz allem hinter die Schuldenbremse.
Berlin – Deutschland ist nicht mehr wettbewerbsfähig. So fällt das Urteil von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) aus. Sobald das Wachstum ausbleibt, fällt ein Land zurück. Im Vergleich zu seinem Koalitions-Kollegen Robert Habeck (Grüne) wehrt Lindner allerdings jeden Versuch, neue Schulden aufzunehmen, ab. Im Interview mit dem Handelsblatt verrät Lindner, welche Maßnahmen den Wirtschaftsstandort Deutschland retten sollen.
BIP im Jahr 2023 (Destatis) | Minus 0,3 Prozent |
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Steuerliche Entlastungen im Rahmen des Wachstumschancengesetzes (Dauer) | Bis 2028 |
Beginn der französischen Tibi-Initiative | 2020 (Ergebnis: 6 Milliarden Euro Investitionen) |
Lindner schlägt Dynamisierungspaket vor – Neuschulden würden „Haushalt strangulieren“
Dabei erklärte er von vornherein, dass eine weitere Staatsverschuldung nicht infrage kommt. Wegen der hohen Zinsen, die die Bundesrepublik für neue Schulden zahle, würden wir „unseren Haushalt rasch strangulieren“. Weiter sei es nicht sinnvoll, wenn die Politik darüber entscheidet, welche Branchen, Technologien oder Unternehmen eine wirtschaftliche Zukunft haben sollen.

Stattdessen müssten die Standortbedingungen „für alle“ besser werden. Lindner schlug hier ein Dynamisierungspaket vor: Einerseits müsste die Regierung alles dafür tun, um Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit zu fördern, andererseits alle Faktoren eliminieren, die Dynamik kosten.
Ein wettbewerbsfähiges Steuersystem
Zum Beispiel sind Maßnahmen notwendig, die das Steuersystem „wettbewerbsfähig“ machen. Lindner brachte bereits ein Auslaufen des Solidaritätszuschlags ins Spiel. Steuerentlastungen zahlen sich seiner Meinung nach mittelfristig aus; das sich aktuell in Verhandlungen befindende Wachstumschancengesetz setze genau dort an und soll Impulse für private Investitionen und Forschung liefern.
Unter anderem enthält es steuerliche Entlastungen für Unternehmen bis ins Jahr 2028 und eine Beschleunigung von Genehmigungsverfahren. Pro Jahr sollen so Entlastungen von sieben Milliarden Euro bei den Unternehmen ankommen. Für Investitionen in den Klimaschutz gibt es eine spezielle Prämie: Unternehmen sollen 15 Prozent aller Aufwendungen für Energieeffizienzmaßnahmen als spezielle Unterstützung erhalten. Weitere steuerliche Anreize in dem Paket sind dafür gedacht, den Wohnungsbau und die Forschung anzukurbeln.
Lindner fordert Bürokratieabbau
„Wir können Bürokratieabbau wagen, der damit beginnt, nicht zusätzlich noch diese EU-Lieferkettenrichtlinie zu beschließen“, führte Lindner weiter aus. Diese Richtlinie soll unter anderem verhindern, dass in Europa Produkte verkauft werden, die aus Kinderarbeit entstanden sind. Deutsche Unternehmen würden dann haften, wenn Zulieferer aus dem Ausland zum Beispiel Bauteile in Kinderarbeit herstellen lassen.
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„Ich habe 450 Zulieferer aus 17 Ländern. Wie soll ich das bitte kontrollieren?“, fragte sich etwa Bertram Kawlath, der den Ventilhersteller Schubert & Salzer leitet. Bei einem T-Shirt könne er vielleicht nachweisen, ob Kinderarbeit im Spiel war, oder ob sich ein Unternehmen mit Umweltschutz befasst. „Bei Maschinen und Anlagen, in denen hunderte Teile und Vorprodukte stecken, wird das fast unmöglich.“ Würde er Leiterplatten in Asien bestellen und auf einen Nachweis pochen, welche Metalle aus welchen Minen stammen, „zeigen die mir nur einen Vogel.“
Die deutsche Tibi-Initiative und eine neue Unternehmenssteuer
Konkret nannte Lindner außerdem zwei Vorhaben, die im Laufe des Jahres 2024 Form annehmen sollen. Erstens arbeitet das Bundesministerium der Finanzen an einem deutschen „Pendant zur französischen Tibi-Initiative“. Das soll dabei helfen, privates Kapital zu mobilisieren.
Zur Erklärung: Anfang 2020 hatten institutionelle Investoren in Frankreich sich dazu verpflichtet, über einen Zeitraum von drei Jahren insgesamt sechs Milliarden Euro in Technologieunternehmen zu investieren. Die französische Direction générale du Trésor (das Äquivalent zum Finanzministerium) war dabei für die Aufsicht verantwortlich und entschied über die Umsetzung der Initiative. „Frankreich ist nun das führende Ökosystem für die Finanzierung von neuen Technologien in der Europäischen Union“, teilte die Regierung nach abgeschlossener Phase 1 der Initative mit.
„Der bemerkenswerte Erfolg der französischen Tibi-Initiative, mit der Mittel institutioneller Investoren in französische Tech-Growth-Unternehmen gelenkt wurden, ist ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie man privates Kapital in größerem Umfang mobilisiert“, sagte Christian Lindner dazu. „Es wäre großartig, wenn wir dies so umfangreich wie möglich auch in Deutschland umsetzen könnten.“ Mitte des Jahres soll eine Expertengruppe außerdem einen Vorschlag zur Reform der Unternehmenssteuer vorlegen.
Der AfD das Wasser abgraben
Seit einem viel diskutierten Correctiv-Artikel von vor einigen Wochen ist immer wieder die AfD als Risikofaktor für die Wirtschaft im Gespräch. Lindner zufolge rührt das größtenteils aus Sorgen von Unternehmen her, die dort, wo die AfD stark ist, nicht rekrutieren wollen. „Wir müssen die Probleme klein machen, die die AfD groß gemacht haben“, sagte der Finanzminister dazu. „Wir müssen ein Signal setzen für das Einfordern von Gegenleistungen bei Solidarität.“ Er wolle nicht weiter tatenlos zusehen, wenn Einwanderung in den Sozialstaat stattfindet, ohne dass damit „der Gedanke an Erwerbstätigkeit“ verbunden sei.
Die „neue Realpolitik“ beim Migrationsthema soll außerdem die Kosten irregulärer Einwanderung reduzieren. „Wir müssen für eine neue Wachstumsagenda hart arbeiten“, warnt Lindner. Zwar dürfe man die Menschen nicht überfordern, aber auch nicht unterschätzen.
Deutsche Wirtschaft
Aktuell stockt die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in Deutschland. „Die trotz der jüngsten Rückgänge nach wie vor hohen Preise auf allen Wirtschaftsstufen dämpften die Konjunktur. Hinzu kamen ungünstige Finanzierungsbedingungen durch steigende Zinsen und eine geringere Nachfrage aus dem In- und Ausland“, erklärte Ruth Brand, Präsidentin des Statistischen Bundesamtes, in einer Meldung der Behörde.
Das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt lag 2023 bei minus 0,3 Prozent gegenüber 2022. Nach der Coronavirus-Pandemie hatte 2021 und 2022 eine Erholung stattgefunden, die sich nun nicht weiter fortsetzte. Aktuell sucht die Politik nach Antworten, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln.