Der Hirschwirt – Erdings einstige Kultkneipe

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Der Hirsch, der der Musikkneipe ihren Namen gab, erinnert noch heute an das legendäre Lokal an der Dorfener Straße. Seit der Schließung 1993 ist dort eine Heilpädagogische Tagesstätte beheimatet. Hans „Limo“ Lechner, Peter Feller, Karl Holzer und Peter Jokel (v. l.) planen Anfang Oktober eine Hirschwirt-Ausstellung. © Gerda Gebel

Für viele Erdinger war der Hirschwirt ein zweites Wohnzimmer, andere beäugten die alternative Musikkneipe ohne Konsumzwang argwöhnisch. Im Oktober planen die ehemalige Betreiber ein Revival.

Erding – Er war eines von Erdings bekanntesten Lokalen, für viele Gäste ein zweites Wohnzimmer: der Hirschwirt. Er ging aus dem ehemaligen Gasthaus zum Hirschen hervor und wurde am 2. Februar 1979 eröffnet. Die alternative Kneipe war schon bald weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt und erlangte – ähnlich wie das Jugendzentrum Picnic – Kultstatus. Der gilt auch 30 Jahre nach der Schließung noch. Mit einer mehrtägigen Veranstaltung soll heuer vom 3. bis 5. Oktober an den denkwürdigen Hirschwirt erinnert werden.

Die Idee dazu hatte Hans „Limo“ Lechner beim Gedanken an die vielen Events, die damals in Erding stattfanden und Publikum sogar aus München anzogen. „Im Gegensatz dazu gibt es heute Konzerte bei freiem Eintritt, bei denen nur wenige Besucher kommen. Das war früher schon anders“, sagt der 74-Jährige. Schnell fand sich ein Organisationsteam, denn „das ist ja ein Stück unserer Geschichte“, wie Peter Feller sagt. Zusammen mit Feller, Lechner, Karl Holzer und Peter Jokel blicken wir zurück auf die spannenden Hirschwirt-Zeiten.

„Der Eröffnungstag am 2. Februar 1979 war bombastisch“, schwärmt Karl Holzer (70). Er war mit Peter Veicht und Franz Leutner Wirt der ersten Stunde. Vorausgegangen waren Monate der Vorbereitung. Man organisierte alte Möbel und gebrauchte Gastromaschinen. „Wir wollten eine alternative Kneipe ohne Konsumzwang betreiben, in der man auch anschreiben lassen konnte“, erklärt Feller (69), der erst etwas später zusammen mit Andrea Zagel einstieg. Der Hirschwirt hatte nur abends geöffnet, es gab echten Cappuccino (damals neu in Erding), griechischen Salat und ein wechselndes Tagesgericht. Montags war Ruhetag. Die Kuchen hat Veichts Mutter gebacken.

Als Ersatz für Leutner stiegen schon bald Bernd Volkmer und Linus Scholpp ein. Lechner war für die Küche, den Wein und alles Grafische zuständig. Außerdem war der selbstständige Grafiker für das Engagement der DDR-Jazzer verantwortlich. Jokel (70) kümmerte sich um Buchhaltung und Verwaltung.

Noch bestens erinnert sich das Quartett an die Gerichte von damals, wie die grünen Nudeln mit Gorgonzolasoße oder Toast Schimmelreiter. „Jeder war damals einen Tag Wirt und hat zwei Tage bedient“, erzählt Feller, der zeitgleich sein Studium der Sozialpädagogik absolvierte. Später kamen wechselnde Aushilfen im Service zum Einsatz. Rückblickend war für Feller die Hirschwirt-Zeit der Probelauf für das Sinnflut-Festival, das er 1994 erstmals mit Börnie Sparakowski organisierte. Heuer feiert das Festival seinen 30. Geburtstag.

Mitte der 80er Jahre war im Hirschwirt ein großer Umbau fällig, die Neugestaltung übernahm der Erdinger Maler Peter Hauber. „Vorne saßen die Jungen, die oft auch nichts bestellt haben. Wenn sie dann in die Mitte des Lokals umzogen, waren sie angekommen“, so Feller.

Zweites Wohnzimmer: Viele Gäste fühlten sich in den schlichten Wirtsräumen mit dem gemütlichen Kachelofen und den großen Tischen wie daheim.
Zweites Wohnzimmer: Viele Gäste fühlten sich in den schlichten Wirtsräumen mit dem gemütlichen Kachelofen und den großen Tischen wie daheim. © privat

„Der Hirschwirt wurde zum Treffpunkt für die jungen Erdinger. Es war cool dort, man traf Bekannte, dazu gab es gute Musik“, erinnert sich Jokel. Gemütlich war die Atmosphäre mit dem alten Kachelofen, dazu große Tische, aber auch eine kuschelige Couchecke und ein Billardtisch. Außerdem gab es einen schönen Biergarten.

Auch kulturell entwickelte sich der Hirschwirt zum Anziehungspunkt. „Es sind viele Leute von München nach Erding rausgefahren, da es dort wenige Locations mit viel Platz gab“, erklärt Lechner den Erfolg, der bei den Band-Tourneen zu einer Achse „Berlin-Erding-Wien“ führte. Die Avantgarde- und Underground-Bands seien froh gewesen, unterwegs im Hirschwirt auftreten zu können.

Die alten Band-Namen sind den früheren Betreibern noch sehr geläufig: DDR-Jazzbands wie das Conny Bauer Quartett oder der New Yorker Avantgarde-Musiker David Thomas, der hier sogar eine LP aufgenommen hat, dazu das Fred Frith Duo, Chris Kuttler, Eugene Chatbourne oder die Virgin Prunes, eine irische Post-Punk-Band, die heute Kultstatus genießt. „Beim Auftritt von The Honeymoon Killers ist die Stimmung so hochgekocht, dass es beinahe von der Decke getropft hat“, erinnert sich Jokel genau. Auch die Kleinkunst kam im Hirschen nicht zu kurz. Günter Grünwald und Sigi Zimmerschied traten hier ganz zu Beginn ihrer Karriere auf.

Im Nebenzimmer ging es politisch zu: Dort wurden die Erdinger Grünen gegründet, trafen sich die Jusos, Flughafengegner und andere alternative Gruppen, dazu gab es Vorträge zu Atomkraft und anderen Themen. Kein Wunder, dass der beliebte Szenetreff in konservativen Kreisen skeptisch gesehen wurde.

In das Haus, das noch heute am Verkehrskreisel zwischen Dorfener und Landshuter Straße steht, zog nach der Schließung des Gasthauses am 31. März 1993 eine Heilpädagogische Tagesstätte ein. Doch auch der Hirschwirt hatte eine soziale Komponente. „An Heiligabend waren wir nach der Bescherung total voll“, erinnern sich die ehemaligen Wirte stolz. Viele, die nicht allein zuhause sein oder nach der Familie noch ihre Freunde treffen wollten, kamen auch an Weihnachten gerne.

Für die Anfang Oktober geplante Hirschwirt-Ausstellung im Jugend- und Kulturhaus Sonic ist ein buntes Programm geplant. So wird die Band „Tested on Animals“ mit Kurt Feller und Limo Lechner auftreten, danach legt Bernhard Jugel vom BR für die Disco auf. In Erinnerung an die Kinoabende des Filmclubs „Volle Rolle“ im Hirschwirt wird auch der Schwarz-Weiß-Film „Das Gespenst“ von Herbert Achternbusch gezeigt – dazu Zeitungsausschnitte von Konzerten, Speisekarten, Plakate und vieles mehr.

Die Organisatoren freuen sich, viele Ehemalige wiederzusehen. Auf den Fotoaufruf kamen bereits viele Rückmeldungen, doch leider sei damals nicht so viel fotografiert worden wie heute, bedauert Lechner. Wer noch Fotos aus der Hirschwirt-Zeit findet, kann sie per E-Mail an hrschwrt1979@web.de schicken.

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