Ampel will Bau-Vorschriften aushebeln: „Antidemokratisch“ und „kontraproduktiv“
Um die Baukrise im Land in den Griff zu bekommen, hat die Ampel-Regierung im Herbst einen „Bau-Turbo“ angekündigt. Ein Aspekt der geplanten Maßnahmen stößt jedoch auf Kritik auf breiter Front.
Berlin – Die Baubranche befindet sich in einer Baukrise, gleichzeitig herrscht ein Mangel an bezahlbarem Wohnraum, der sich von Monat zu Monat zu verschärfen scheint. Im Bundesdurchschnitt sind die Mietpreise 2023 erneut gestiegen, um 5,8 Prozent, wie eine aktuelle Auswertung des Immobilienportals Immoscout24 zeigt. Es ist dringend erforderlich, den Bau wieder anzukurbeln. Doch eines der Vorschläge aus dem Bauministerium stößt aktuell auf großen Widerstand. Es würde nämlich eine Aushebelung eines Großteils der Bauvorschriften bedeuten – ohne sicherzustellen, dass wirklich mehr bezahlbarer Wohnraum entsteht.
Neue Sonderregelung für die Baubranche soll Abhilfe schaffen
Die Branche hat der Politik schon viele verschiedene Vorschläge gemacht, die ihr aktuell helfen würde: Bürokratieabbau, Absenkung der Grunderwerbsteuer, Klarheit und Verlässlichkeit bei Förderprogrammen, weniger strenge Vorschriften, steuerliche Anreize, um ein paar Beispiele zu nennen. Im September 2023 wurden Branchenvertreter nach Berlin eingeladen, um bei einem Baugipfel mit der Regierungskoalition einige dieser Maßnahmen zu besprechen. Daraus resultierte das Versprechen eines „Bau-Turbos“, das unter anderem Planungs- und Genehmigungsverfahren verschlanken soll. Im November haben sich auch Bund und Länder auf einen Pakt zur Vereinfachung des Genehmigungsprozesses geeinigt.
Um diese Verschlankung zu erreichen, will das Bundesbauministerium eine Sonderreglung im Baugesetzbuch schaffen, die befristet bis Ende 2026 gelten würde. Dazu wird ein neuer Paragraf 246e eingeführt. Der Gesetzesentwurf soll möglicherweise nach der Haushaltswoche im Februar in den Bundestag eingebracht werden.
Mit diesem neuen Paragrafen soll es „in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt“ die Möglichkeit geben, zahlreiche Vorschriften des Baugesetzbuchs ganz außer Acht zu lassen. Gelten soll das bei Bauvorhaben, die mindestens sechs Wohneinheiten errichten würden oder wenn es bei einem bestehenden Gebäude zu mehr Wohnraum führt (z.B.: Ausbau eines Dachgeschosses). Begründet wird das damit, dass es „dringenden Bedarf an mehr bezahlbarem Wohnraum“ gibt.
Bündnis stemmt sich gegen Ampel-Plan: Entdemokratisierung der Planung
Doch aus Sicht wichtiger Akteure aus der Baubranche, wie dem Mieterbund, der Bundesarchitektenkammer (BAK), die Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher Landwirtschaft (AbL) und der Vereinigung für Stadt-, Regional- und Landesplanung (SRL) würde das Vorhaben genau das nicht tun. Zusammen mit Naturschutzverbänden wie dem Naturschutzring, dem Nabu und der Deutschen Umwelthilfe (DUH) sowie Sozialverbänden wie dem VdK kritisieren sie den Ampel-Plan in deutlicher Form.
„Mit fast 900.000 genehmigten, aber noch nicht gebauten Wohneinheiten (sog. Bauüberhang) steht großes Potenzial zur Schaffung von Wohnraum auf bereits ausgewiesenem Bauland zur Verfügung. Die vielfältigen Ursachen des reduzierten Neubauvolumens werden mit der Einführung des § 246e BauGB nicht adressiert“, heißt es in einer Mitteilung des Bündnisses. Wenn Bauvorhaben künftig zentrale Aspekte des Baugesetzbuches missachten dürfen – wie zum Beispiel die Beteiligung der Öffentlichkeit und die Anhörung ihrer Belange – befürchtet das Bündnis eine „Entdemokratisierung der Planungskultur“. Gegenüber Ippen.Media spricht ein Verbandsvertreter von einem „antidemokratischen“ Vorhaben, das auch noch „kontraproduktiv“ sei.

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Weiter kritisieren die Verbände nämlich, dass im geplanten Gesetz überhaupt keine Vorgaben gemacht werden, die sicherstellen würden, dass am Ende tatsächlich auch bezahlbarer Wohnraum entsteht. Es wird lediglich verlangt, dass mindestens sechs Wohneinheiten entstehen – ob das am Ende Eigentumswohnungen wären oder Mietwohnungen zu fairen Preisen, wird gesetzlich nicht festgelegt. „Zudem wird die Möglichkeit eröffnet, Regelungen zur Dämpfung von Mietpreisen in Gebieten mit Erhaltungssatzungen zu umgehen. Umbauten, Ergänzungen und Erweiterungen, die zu einer Mietpreiserhöhung führen und Verdrängungsprozesse beschleunigen, können leichter und ohne das übliche Genehmigungsverfahren umgesetzt werden“, heißt es in dem Appell weiter.
Weiterhin kritisieren insbesondere die Umweltverbände, dass der neue Sonderparagraf dazu führen könnte, dass noch mehr Flächen versiegelt werden, anstatt sich dem eigentlich vorgegebenen Ziel, bis 2030 höchstens 30 Hektar pro Tag an Fläche zu verbrauchen, anzunähern. Nach Angaben der Bundesregierung liegt der durchschnittliche Flächenverbrauch aktuell bei 55 ha/Tag. Bis 2050 will Deutschland dies sogar auf Netto-Null reduzieren.
Bauwirtschaft fordern Reform des Baugesetzbuchs und Digitalisierung
Was fordert das Bündnis also stattdessen? Nun ja, im Wesentlichen das, was sie schon seit mindestens einem Jahr fordern: Endlich eine Reform des Baugesetzbuches, um die Planungsverfahren im Bauwesen nicht nur kurzfristig, sondern vor allem nachhaltig und sinnvoll zu beschleunigen. „Das Planverfahren muss endlich umfassend und nicht nur halbherzig digitalisiert werden, um effizienter abstimmen und beteiligen zu können“, heißt es in einem Beitrag des Fachportals Bauwelt zu dem Thema. Das Baugesetzbuch in seiner aktuellen Form sei mittlerweile zu weitgefasst und beinhalte zu viele Vorschriften – auf deren wesentliche Kernpunkte man es herunterbrechen müsste.
Auch andere Vertreter der Bauwirtschaft sehen das so. „Grundsätzlich müssen wir endlich verstehen, dass Bauen einfacher und günstiger werden muss, um auch bezahlbaren Wohnraum zu schaffen“, sagt Thomas Reimann, der in Hessen der Präsident des Verbands baugewerblicher Unternehmen ist. Die „Überbürokratie“ müsse dringend abnehmen und auch er sieht es als wichtigen Schritt an, stärker mit der Digitalisierung voranzukommen und eine Reform der Bauordnung anzustreben. „Sofern wir über Regeln sprechen, müssen wir uns die berechtigte Frage stellen, ob es tatsächlich 16 Landesbauordnungen sein müssen oder nicht eine Bundesbauordnung deutlich hilfreicher wäre, um länderübergreifend schnellere Planungen mit der gebotenen Sicherheit und Verlässlichkeit zuzulassen“, sagt Reimann.
Steffen Mechter vom führenden Baustoffhändler BayWa schreibt auf Anfrage, dass der Ampel-Plan zwar grundsätzlich „in die richtige Richtung“ weise. „Um die Wohnungsnot zu lindern, brauchen wir dringend schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren – allerdings mit einer langfristigen Perspektive.“ Eine befristete Regelung einzuführen, sei realitätsfern, „denn schon die Verfahren zur Aufstellung von Bebauungsplänen dauern oft Jahre. Gebaut wird dann noch lange nicht. Zudem erwartet niemand in Deutschland ernsthaft, dass wir den Wohnungsmangel innerhalb von zwei Jahren beheben können.“
Die Verbände weisen weiter darauf hin, dass es unheimlich viel Potenzial in der Modernisierung und Sanierung des Gebäudebestands gibt – es gebe aber kaum Anreize, die zu einer Sanierungswelle führen werden. Die von der EU eingeführte Gebäuderichtlinie sollte eigentlich zu genau so einer Sanierungswelle führen. Unter anderem auf Bestreben der Bundesregierung wurde das Gesetz jedoch deutlich verwässert.