- Im Video oben: Der Karakorum: Das ist das Gebirge, in dem Laura Dahlmeier verunglückte
FOCUS online: Herr Kröll, Sie kannten Laura Dahlmeier sehr gut. Sie haben ihr sportliches Ausnahmetalent im Biathlon entdeckt, sie zehn Jahre lang für das Zoll-Skiteam und das "Stützpunkt Werdenfels Team" trainiert und zu ihren großen Erfolgen geführt. Wo waren Sie, als Sie von dem Unglück erfuhren? Und was ging Ihnen durch den Kopf?
Bernhard Kröll: Ich habe gerade zu Hause Büroarbeit am Computer gemacht. Als ich gegen 14 Uhr die Eilmeldung auf meinem Handy las, stand ich sofort total unter Schock. Ich musste kurz darauf zum Training. Das hat mir geholfen, abzuschalten. Der Moment war fürchterlich. Und auch, wenn noch nicht klar war, was genau ihr passiert war und wie ihr Zustand ist, hatte ich sofort begriffen, dass die Lage sehr, sehr ernst war.
Kennen Sie die Gegend in Pakistan selber?
Kröll: Nein, das nicht. Und ich bin auch kein guter Bergsteiger. Aber ich kenne das Gebirge. Und wenn man in den Bergen groß wird und lebt, dann weiß man, was Steinschlag an einem Berg wie dem Laila Peak auf fast 6000 Metern Höhe bei den klimatologischen Bedingungen bedeutet, wenn man dann nachts irgendwo allein in der Wand hängt. Wenn sich jemand an der Zugspitze den Knöchel verletzt und allein nicht mehr absteigen kann, dann ist ein Rettungshelikopter der Bergwacht in 15 Minuten da. So zügig geht es dann auch ins Krankenhaus zurück. Das ist im Karakorum anders. Da wird es bei einem Unfall schnell verdammt kritisch.
Mancher, der sich weder in den Bergen noch im Extrembergsteigen auskennt, spricht von Leichtsinn bei solchen Touren. Wie sehen Sie das?
Kröll: Von Leichtsinn kann bei Laura überhaupt keine Rede sein. Ich kenne wirklich keinen anderen Sportler oder Sportlerin, der oder die sich im Biathlon so akribisch, diszipliniert und ehrgeizig vorbereitet hat wie sie. Und das galt auch und ganz besonders für den Bergsport. Sie wollte immer noch einen Schritt weitergehen als die anderen. Das hat man auch beim Schießen am Biathlon-Stand gesehen. Wenn sie die schwarze Scheibe getroffen hat, dann nicht irgendwo, sondern extrem mittig. Das lag daran, dass sie mehr als alle anderen Schießen mit und ohne Belastung trainiert hat.
Das heißt, sie war sich sicher, was sie tat?
Kröll: Sie wusste genau, worauf sie sich einlässt und konnte sich das leisten. Natürlich ist es viel riskanter, auf einen extrem schwierigen Berg wie den Laila Peak zu steigen statt auf die Zugspitze. Damit wächst auch das Risiko. Aber Laura hat das nie ignoriert oder verdrängt, sondern im Gegenteil ganz nüchtern und sorgfältig eingeschätzt und mit ihren Fähigkeiten abgeglichen, die – ganz gleich, ob sie als Biathletin Rennen lief oder kletterte – sehr außergewöhnlich waren.
Wenn die Bedingungen dann mal nicht passten und eine Tour zu riskant war, dann hat sie es gelassen. Das, was ihr am Laila Peak widerfuhr, ist Schicksal. Sie hat Pech gehabt, aber sie wusste auch, dass sie ein Restrisiko, egal, wie gut sie vorbereitet ist, nie ganz ausschließen kann. Niemand kann das, schon gar nicht bei einem solchen Berg.
Laura Dahlmeier hat schon sehr früh sehr gute Leistungen im Sport erbracht. Lässt das den Ehrgeiz schneller wachsen?
Kröll: Natürlich. Sie ist bereits als Juniorin im Weltcup mitgelaufen und war erst 18, als sie bei den ganz Großen vorne mitlief. Das spornt natürlich an zu neuen Höchstleistungen. Wer so gut war wie sie, der will über seine Grenzen hinausgehen.
Hat sich ihre Leidenschaft für die Berge aus dem Biathlon heraus entwickelt?
Kröll: Nein, das war schon immer eine große Leidenschaft von ihr. Ihre Eltern sind ebenfalls sehr gute Bergsportler, Laura fing schon früh mit dem Klettern an. Als Biathlontrainer hatte ich mir von ihr gewünscht, dass sie sich mehr auf den Skisport konzentriert als aufs Klettern. Sie hatte 2014 mal einen Bergunfall, bei dem sie ins Seil stürzte und verletzt wurde, zum Glück jedoch nicht zu schwer. Dieses Risiko hätte ich gern vermieden. Doch wenn das eine Bedingung gewesen wäre, dann hätte sie dem Biathlon den Rücken zugekehrt, nicht dem Bergsteigen. Letztendlich kann ich sagen, hat ihr das Klettern sogar geholfen, beim Biathlon besser zu werden.
Wie das?
Kröll: Weil sie schnell verstanden hat, wie wichtig eine gewissenhafte Vorbereitung und Disziplin beim Klettern ist und wie tragisch und schnell sich dort Fehler dort auswirken können. Und gerade beim Bergsteigen muss man gut sein vom Anfang bis zum Ende einer Tour, sonst können die Dinge schnell schiefgehen. Das hat zu ihrer Gewissenhaftigkeit beigetragen, mit der sie Biathlon trainiert hat.
Einmal abgesehen von ihren außergewöhnlichen sportlichen Erfolgen galt Laura Dahlmeier auch als große Sympathieträgerin. Worin, glauben Sie, liegt das?
Kröll: Zum einen liegt das sicherlich daran, wie sie ihren Sport verstanden, gelebt und vorgelebt hat - und zwar immer mit großer Fairness. Sie ist ein absolutes Vorbild für viele Nachwuchssportler geworden, das keine halben Sachen macht und immer ihren Weg geht. Das sympathische Image, das sie hatte, dürfte aber auch nicht minder an ihrer Authentizität und Bescheidenheit liegen. Sie hat nie den Weg in die Öffentlichkeit gesucht, um dort ihre großen Erfolge zu präsentieren, nicht mal den Doppel-Olympiasieg von 2018. Und sie ist immer fest verwurzelt geblieben in ihrer Heimat hier im Werdenfelser Land.