Kommentar: Selbstzweck Grenzüberschreitung

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Letzte Wahlparti des Stadtjugendrings Kempten zur Landtagswahl 2023 in Bayern. © Lajos Fischer

Besonders in Zeiten von Wahlkämpfen gilt für staatliche Organe ein striktes Neutralitätsgebot. Verletzte dieses der Stadtjugendring Kempten, der staatliche Pflichtaufgaben wahrnimmt, als er die AfD von einer Veranstaltung zur Europawahl ausgeschlossen hat?

Kempten – Ein AfD-Politiker hat es wieder geschafft: Dank einer gut platzierten Provokation steht er wieder in den Medien. Wie Sie gerade wahrnehmen, auch in unserer Zeitung. Die Politikwissenschaft hat vielfach belegt: Auch der Protest gegen provokative Behauptungen und ihre öffentliche Darstellung tragen zu deren Etablierung in den Köpfen der Menschen bei („Frame-Negierungsfalle“).

Was ist passiert? Walter Freudling fordert beim Oberbürgermeister ein, das Neutralitätsgebot, seinem Verständnis nach ausgelegt, vom Stadtjugendring einhalten zu lassen, verletzt aber im gleichen Atemzug in massiver Weise das gleiche Gebot und löst dadurch eine Welle der Entrüstung aus. Ziel erreicht: Nichts Substantielles zur Stadtpolitik beigetragen, trotzdem viel Aufmerksamkeit gewonnen.

Auf die Begründung kommt es an

Diese Episode könnte man schnell ad acta legen, wenn dahinter nicht ein Dilemma stünde, das etlichen gesellschaftlichen Organisationen seit Jahren Kopfzerbrechen bereitet. Das Neutralitätsgebot basiert auf Artikel 21 des Grundgesetzes, der den Parteien im politischen Wettbewerb gleiche Rechte garantiert. Das Gebot gilt unmittelbar nur für staatliche Organe, am striktesten in Zeiten von Wahlkämpfen. Die Jugendringe in Bayern haben die Rechtsform „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ und übernehmen staatliche Pflichtaufgaben. Sie sind gleichzeitig politische Organisationen mit demokratisch gewählten Organen, von denen eine politische Einmischung ausdrücklich erwartet wird. Sie können mit Parteien, die ähnliche Zielsetzungen haben, eng zusammenarbeiten und zu anderen, die sich gegen ihre Ziele positionieren, Abstand halten.

Politische Einmischung kann auch bedeuten, dass sie sich offen und klar gegen die Politik einer Partei aussprechen, vor allem wenn diese Werte vertritt, die mit dem Grundgesetz und/oder mit den Interessen der eigenen Wählerschaft schwer vereinbar sind. Was folgt daraus? In Zeiten des Wahlkampfes sollte keine Partei willkürlich von einer SJR-Veranstaltung ausgeschlossen werden. Aber wenn der Ausschluss transparent begründet (zum Beispiel Beobachtung durch Verfassungsschutz, rechtsextreme, rassistische Positionen) wird, dürfte die Entscheidung juristisch gesehen in Ordnung gehen. In einer pluralen Gesellschaft kann die politische Einordnung natürlich unterschiedlich ausfallen.

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