Urteilsverkündung im Amtsgericht für Verursacher (20) eines tragischen Unfalls
Weil ein junger Mann vergangenes Jahr viel zu schnell mit dem Auto gefahren ist, endete die Fahrt für seine Beifahrerin tödlich. Das Jugendschöffengericht verhängte nun eine Freiheitsstrafe.
Wolfratshausen/Höhenrain – „Niemand kann nachvollziehen, was Sie durchmachen.“ Mit diesen Worten sprach die Vorsitzende Richterin Friedericke Kirschstein-Freund den Angehörigen der Getöteten Mut zu. Deren Tochter und Schwester ist an dem folgenschweren Unfall gestorben, weil der Fahrer eines BMWs, in dem die 19-Jährige als Beifahrerin saß, mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit in eine Rechtskurve raste: Zu diesem Schluss kam am Dienstag das Jugendschöffengericht am Amtsgericht Wolfratshausen und verurteilte den 20-Jährigen zu drei Jahren Haft ohne Bewährung und fünf Jahre Führerscheinentzug.
Rückblick: Der damals 19-jährige Kfz-Mechatroniker in Ausbildung fuhr am 23. Mai vergangenen Jahres gegen 23 Uhr entlang der Staatsstraße 2070 zwischen dem Ickinger Ortsteil Dorfen nach Höhenrain, Landkreis Starnberg. In einer langgezogenen Kurve hat er die Kontrolle über seinen Pkw verloren, schleuderte mit seinem 3er-BMW quer durch die Unterführung und prallte mit mehr als 120 Kilometer pro Stunde gegen einen Baum – die junge Frau neben ihm stirbt noch am Unfallort.
Der Fahrer stand unter Cannabis-Einfluss, erlitt schwerste Verletzungen und lag mehrere Monate in einer Klinik. Der Angeklagte gibt an, große Erinnerungslücken zu haben und könne sich an den Unfallhergang nicht mehr erinnern. Ein medizinisches Gutachten bestätigte dies.
Limit erreicht: Mit 115 km/h fährt erfahrener Gutachter die Strecke bei Tag, mehr als 120 km/h sei wirklich gefährlich
Um den Unfall mit allen Eventualitäten rekonstruieren zu können, ließ die Justiz ein Gutachten von Tobias Kick, Dekra-Sachverständiger für Verkehrsunfälle, erstellen. An der Unfallstelle sind maximal 100 Kilometer pro Stunde erlaubt. Anhand einer 98-Meter langen Reifenspur, Skizzen sowie vergleichbare Schadensbilder samt Crash-Tests stellte Kick fest, dass der Fahrer mit mindestens 120 Kilometer pro Stunde in die Kurve gefahren sein muss – erlaubt sind an dieser Stelle 100 Kilometer.
Als Unfallursache könne nicht ausgeschlossen werden, dass das Heck in der Rechtskurve ausgebrochen sein könnte. Auch ein Wildwechsel und damit verbundene schnelle Lenkbewegung sei als Unfallursache denkbar. Kick selbst, als erfahrener Fahrer, ist die Strecke mit 115 Kilometer pro Stunde abgefahren, sei damit am Limit gewesen.
Rechtsmedizinisches Gutachten: Fahrtüchtigkeit aufgrund des Cannabis-Konsums nicht eingeschränkt
Um beurteilen zu können, inwiefern die im Blut festgestellte Cannabis-Konzentration, nämlich 4,5 Nanogramm pro Milliliter, die Wahrnehmung und Reaktion des Angeklagten beeinträchtigt hat, legte der Rechtsmediziner Fritz Priemer in seinem Gutachten dar. Anhand diverser Studien, Versuchsreihen und durch Erfahrungen eines Eigenversuchs zeigte er, wie sich die Substanz im Körper abbaut und auf die Wahrnehmung auswirkt. Er kam zu dem Schluss, dass der Fahrer nicht mehr beeinträchtigt gewesen sein kann.
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„Könnte es möglich sein, dass mein Mandant 20 Stunden vor Fahrtantritt den Joint geraucht hat?“, wollte Strafverteidiger Mario Kroschewski wissen. Das könne man nicht ausschließen; sein Gutachten ergab, dass der Konsum circa acht Stunden vorher gewesen sein muss. Die Gefährdung des Straßenverkehrs unter berauschenden Mitteln war somit ausgeschlossen.
19-jähriges Mädchen stirbt: Gerüchte, dass der 20-Jährige „gerne zu schnell gefahren“ bestätigten sich nicht
Der Angeklagte gab an, er sei ein vorausschauender Fahrer gewesen; Gerüchte, er sei „gerne zu schnell gefahren“, zeigten sich als nicht haltbar. Der Kfz-Mechatroniker habe in seiner Ausbildung Zugang zu hochmotorisierten Autos. Im Prozessverlauf ergab sich jedoch, dass er diese lediglich zu Testfahrten mit seinem Lehrherren fahren durfte. In der Beweisaufnahme gab er an, Testfahrten alleine durchführen zu dürfen.
Dieser Widerspruch stieß der Staatsanwältin Melanie Lichte auf. „Sie haben keine Erfahrung mit Fahrten im Grenzbereich“, Fahrpraxis bestünde erst seit 1,5 Jahren, erläuterte sie in ihrem Plädoyer, umso fahrlässiger sei, dass er mit höchstmöglicher Geschwindigkeit diese Strecke, die er sogar kannte, fuhr. Zugunsten des Fahrers spreche, dass er keinerlei Vorstrafen hätte.
Verurteilt wegen fahrlässiger Tötung und verbotenem Kraftfahrzeugrennen zu drei Jahren Gefängnis
Für Carolin Arnemann, Rechtsanwältin der Nebenkläger, war der Tatbestand der fahrlässigen Tötung in Tateinheit mit verbotenen Einzelrennen absolut erfüllt.
Kirschstein-Freund sprach in ihrer Urteilsbegründung von einer „groben verkehrswidrigen Rücksichtlosigkeit“, er hätte als Mechatroniker vorausschauender fahren müssen und sei mit mindestens 120 Kilometer pro Stunde viel zu schnell gefahren, noch dazu bei solch einer Strecke.
„Höchst irritierend“ fand die Richterin das Verhalten des Verurteilten und bemängelte stark sein Einlassverhalten, also seine Mitarbeit, während des ganzen Prozesses. Im Ermittlungsverfahren sollte der Beschuldigte seinen Führerschein abgeben, weil er kurz nach dem Unfallzeitpunkt THC (Tetrahydrocannabinol) im Blut hatte. Daraufhin legte er Beschwerde ein und bestand auf die Herausgabe des Führerscheins. Damals war noch unklar, ob der THC-Konsum die Unfallursache war.
Selbstbezogenheit stößt Richterin auf: „Sie hätten reinen Tisch machen können“
Im gesamten Prozess ist „mir Ihre Selbstbezogenheit aufgestoßen“. Ein vereinbarter Termin mit der Familie, wurde abgesagt, weil „Sie sich nicht gut genug fühlten“, wetterte die Vorsitzende Richterin. „Sie hätten reinen Tisch machen können.“ Aus ihrer Sicht gebiete es der reine Anstand, sich zu entschuldigen. Vor dem Urteilsspruch hatte der Angeklagte sich an die Eltern und Schwester gewandt und gesagt: Er bereue zutiefst, die Fahrt angetreten zu haben, „es tut mir leid, was geschehen ist“. Im Vorfeld haben seine Verteidiger erläutert, wie es zu der Absage des Termins kam und dass die Familie danach keinen Kontakt mehr wollte.
Die Staatsanwaltschaft forderten drei Jahre und neun Monate Haft ohne Bewährung und dauerhaften Führerscheinentzug. Die Richterin und ihre Schöffen hielten ein Strafmaß von drei Jahren ohne Bewährung für die Tat angemessen sowie fünf Jahre Fahrverbot. Mit diesem Urteil will sie ein „deutliches Zeichen setzen“, begründete Kirschstein-Freund.
„Es ging ihm darum, möglichst schnell zu fahren“
Sie hofft, die Hinterbliebenen würden Ruhe finden und bedankte sich bei den Juristen, keinen Konfliktprozess geführt zu haben. Somit konnte nach Antworten gesucht und Klarheit gegeben werden. „Die Vorsitzende des Jugendschöffengerichts betonte: Die entscheidende Rolle spielte die Geschwindigkeit“. Hätte er an der Unfallstelle die erlaubten 100 Kilometer pro Stunde eingehalten, „wäre das Auto nicht am Baum angekommen“. Für sie ist klar: „Es ging ihm darum, möglichst schnell zu fahren“ .