Russland kapert Starlink-System: Kiew verliert großen Vorteil im Krieg
Russen bestellen sie einfach im Internet: Starlink-Terminals. Was Putins Armee nie hätte in die Finger bekommen dürfen, nutzt sie jetzt tausendfach.
Moskau – „Sie haben viele davon. Es ist etwas, das uns umbringt“, sagt „Tymofii“. Der Drohnenpilot der 47. Separaten Mechanisierten Brigade der Ukraine deutete gegenüber der Washington Post (WP) an, dass die Russen scheinbar genug Starlink-Schüsseln haben, um sie an einzelne Teams und nicht nur an Kommandeure zu verteilen – auch hier verfolgt Wladimir Putin das Prinzip der Masse und ist drauf und dran, einen entscheidenden Vorteil der Verteidiger im Ukraine-Krieg zu egalisieren: die Möglichkeit, schnell zu kommunizieren.
Am Boden griffen ukrainische Soldaten feindliche Terminals an, sobald sie sie sähen, schreibt die Post. Starlink-Schüsseln sind klein; weil sie Breitband-Internetzugang in einem schmalen Strahl ermöglichen, sind die Empfangs-Terminals lediglich eineinhalb Quadratmeter groß und rund zehn Kilo schwer; zum Preis von rund 920 Euro. Ohne sie wäre der Ukraine-Krieg kaum vorstellbar. Ukrainische Kommandeure und Drohnenpiloten verfolgen dadurch in Echtzeit das Geschen auf dem Gefechtsfeld.
Sie können quasi ungestört miteinander kommunizieren – die blitzschnellen Aktionen der ukrainischen Verteidiger hatte vor allem die Starlink-Technik ermöglicht; beziehungsweise Elon Musk, der Starlink über seine Firma SpaceX entwickelt und vertreibt. Anfangs des Krieges hatte Mychajlo Fedorow über Social Media Elon Musk um Hilfe gebeten – die der Tech-Unternehmer dem ukrainischen Minister für digitale Transformation auch prompt gewährte. Selbstlos, wie das anfangs schien.
Technik aus dem Online-Shop: Sanktionen gegen Wladimir Putin laufen da ins Leere
Jetzt haben die Russen offenbar die Technik gekapert – über Umwege, denn Musk hatte immer wieder dementiert, mit den Russen zu kooperieren. Russische Privatfirmen kauften die Terminals von Zwischenhändlern, die den Kauf als Privatgebrauch ausgäben und die Ausrüstung über Nachbarländer, darunter ehemalige Sowjetrepubliken, nach Russland lieferten, sagte Geheimdienstchef Kyrylo Budanov gegenüber dem Wall Street Journal (WSJ) bereits Anfang des Jahres. Sanktionen gegen Wladimir Putin laufen da ins Leere.
Eine andere Website, die den Namen eines deutschen Haushaltsgeräteherstellers verwendet, verkauft Starlink-Terminals für fast 300.000 Rubel oder knapp über 3.000 Dollar.“
Russische Armeeeinheiten bis hinunter auf Kompanieebene versuchten seitdem Starlink-Terminals zu erwerben, indem sie Geld für den Kauf sammelten, erklärte der Leiter des ukrainischen Militärgeheimdiensts weiter. Das WSJ berichtet von Online-Angeboten aus Russland, mit „geprüfter Leistung“ in den besetzten Gebieten Krim, Luhansk, Donezk und Cherson, mit monatlichen Gebühren von 100 Dollar (rund 92 Euro) pro Monat. „Eine andere Website, die den Namen eines deutschen Haushaltsgeräteherstellers verwendet, verkauft Starlink-Terminals für fast 300.000 Rubel oder knapp über 3000 Dollar“, (rund 2753 Euro) schreibt das Blatt.
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Für den Fall der ukrainischen Stadt Wuhledar soll die verbesserte Kommunikation via Starlink den Russen den entscheidenden Schlüssel in die Hand gespielt haben, klagte ein anonymer Offizier der 72. Mechanisierten Brigade – die war an den Gefechten um die Stadt maßgeblich beteiligt gewesen. „Sie haben uns einfach überwältigt“, sagte er der Washington Post.
Russlands Angriffe erfolgreich: Über zügigere Kommunikation die Abstimmung verbessert
Grund dafür war möglicherweise eine angepasste Taktik der Russen: Deren Truppen hätten in kleinen Gruppen das Schlachtfeld gestürmt und die Gefahr der Entdeckung minimiert, um damit massiertem Abwehrfeuer besser zu entgehen. „Neue Kommunikationsausrüstung habe russischen Kommandeuren zudem geholfen, Angriffe besser zu organisieren, sagten Soldaten, und die Effizienz von Drohnenangriffen habe zugenommen“, schreibt die WP. Russland hat damit offenbar der Taktik der Ukrainer abgekupfert und ebenfalls über eine zügigere Kommunikation die Abstimmung verbessert. Bisher sollen die Russen ausschließlich über ein schwerfälliges und abhöranfälliges Funksystem kommuniziert haben.
„Früher konnten die Russen einige ihrer Bewegungen, Manöver, Artillerie und Infanterie nicht kontrollieren“, erklärte „Eugene“ gegenüber der WP. Laut dem Kommandeur eines Drohnenzuges der 93. Mechanisierten Brigade hätten abgefangene russische Funkübertragungen gezeigt, dass Soldaten ihren Kommandeuren oft unvollständige oder falsche Informationen übermittelt hätten. Inzwischen seien die Russen dank besserer Technik präziser geworden.
Der Starlink-Betreiber SpaceX verdeutlichte im Februar auf X, Terminals zu deaktivieren, wenn sie „von einer sanktionierten oder nicht autorisierten Partei“ verwendet würden; gemeint ist Russland, das aufgrund von Sanktionen, vor allem durch die USA, gar keinen Zugang zu dieser Technologie haben dürfte. Allerdings sind Starlink-Terminals zivile Produkte, die bereits den Vertrieb in falsche Hände erschweren. Die Lokalisation unbefugt benutzter Terminals sei zwar möglich, schreibt die Post; allerdings seien Freund und Feind auf dem Schlachtfeld so schwer voneinander zu trennen, dass Russland in der Praxis davon profitiert.
Funkloch über Kursk: Auch Ukraine aus ihrer Kommunikation via Starlink ausgeschlossen
Auch den Vorstoß auf Pokrowsk, dem Logistik-Hub im Bezirk Donezk, soll das Starlink-Netz begünstigt haben, sagt „Alexander“ gegenüber der WP. Der Bataillonskommandeur der 47. Brigade kritisierte damit die nach seiner Ansicht unzureichende Reaktion der westlichen Partner zur Verhinderung der russischen Nutzung. Diese Ineffektivität hat auch Stacie Pettyjohn moniert. Die Analystin am Thinktank Center for a New American Security räumt indes ein, dass in der Ukraine an den unterschiedlichen Hotspots die klare Front fehle – die genaue Lokalisation der Terminals könnte insofern auch die Verteidiger in Bedrängnis bringen, wie sie gegenüber der WP einräumt.
„Wenn man eine Grenze zieht, wo es funktioniert und wo nicht, dann fixiert man im Grunde die Frontlinien dort, wo sie sind, und verhindert, dass die Ukrainer in die Offensive gehen“, sagt sie. Auch die ukrainischen Militärs sind deshalb wohl besorgt. Würde ein geographischer Raum vom Starlink-Netz genommen, wären auch ihre Terminals lahmgelegt. Das hätten sie bereits gemerkt, als sie im Rahmen der Invasion im Raum Kursk und der dortigen geographischen Beschränkungen plötzlich aus ihrer Kommunikation via Starlink ausgeschlossen waren. Die Washington Post berichtet allerdings darüber, dass sich auch die Ukraine der gleichen Umgehungslösungen bedient wie vorher die Russen.
Polen lässt aufhorchen Starlink-Terminals „werden ausschließlich von Polen finanziert“
Für die Ukraine kommt insofern zu allen anderen Herausforderungen eine weitere hinzu – offenbar operiert jetzt auch in der Kommunikation Russland auf Augenhöhe mit der Ukraine. Und die nächste Front gegenüber der Ukraine erweitert jetzt Polen. Der östliche Außenposten der Nato hatte seine Unterstützung für die Ukraine in den vergangenen Monaten sukzessive zurückgefahren und überrascht aktuell mit der Aussage, dass Polen von Anfang an die Nutzung von Starlink durch die Ukraine finanziert hätte.
„Die in der Ukraine verwendeten Starlink-Terminals werden nicht von Herrn Elon Musk gesponsert; sie werden ausschließlich von Polen finanziert und werden dies auch weiterhin bleiben“, zitierte der öffentlich-rechtliche Sender Polskie Radio den polnischen Außenminister Radoslaw Sikorski, wie The New Voice of Ukraine berichtet. Laut Sikorski besteht diese Vereinbarung seit Anfang 2022.
Kriegsgewinnler: Milliardär Musk verdient mit Starlink jetzt an beiden Seiten
Sikorskis Aussagen seien eine Reaktion gewesen auf Musks jahrelanges Hin und Her von Behauptungen auf X bezüglich seiner Finanzierung von Starlink in der Ukraine, wird berichtet. Anfangs des Krieges war davon ausgegangen worden, dass Elon Musk die Nutzung kostenlos freigeben hätte. Laut dem Wall Street Journal solle das Pentagon dann im vergangenen Jahr die Finanzierung übernommen haben neben privaten Spendern, weiteren Regierungen und anderen Organisationen.
Mittlerweile soll die Ukraine für militärische sowie zivile Zwecke mehr als 40.000 Starlink-Terminals nutzen, wie das Wall Street Journal schreibt. Die französische Zeitung Le Monde hatte im vergangenen Jahr von mehr als 100.000 Terminals gesprochen. Das Hightech-Produkt wird auch auf militärischen Messen angepriesen – immerhin verdient Milliardär Musk mit Starlink jetzt an beiden Seiten; ein echter Kriegsgewinnler.
In seiner Biografie spricht Milliardär Musk von seiner zivilen Vision: „Starlink war nicht für Kriege gedacht. Es war dafür gedacht, dass die Leute Netflix schauen und sich entspannen und für die Schule online gehen und gute, friedliche Dinge tun können, nicht für Drohnenangriffe.“