Abgaben für Soziales: Merz jetzt „ausdrücklich“ – Klingbeil will nicht „dauernd“ ans Telefon
Merz plant XXL-Sozialstaats-Reform – 2000 Euro steuerfrei für eine Gruppe
Deutschland ächzt unter Rekord-Sozialabgaben. Merz will ans Bürgergeld und den Acht-Stunden-Tag. Steuerfreie 2000 Euro gibt es für eine Gruppe Bürger.
Berlin - 42 Prozent sind es schon, bald könnten es 50 Prozent sein, die die Deutschen von ihrem Gehalt für Sozialabgaben abknapsen müssen. So sehr der Sozialstaat ein Segen ist, so sehr ächzt das Land auch unter der Höhe der Ausgaben für Gesundheit, Pflege, Rente und andere Abgaben.
Friedrich Merz will an den Sozialstaat - Sozialausgaben senken, Regulierungen lockern
Die Folgen: Angestellte sehen weniger Netto vom Brutto und Unternehmen haben durch horrende Lohnnebenkosten weniger Geld für Investitionen und bauen langfristig Arbeitsplätze ab. Trotz steigender Zuschüsse durch den Bund: Das Geld wird wegen der alternden Bevölkerung bald hinten und vorne nicht mehr reichen.
Kanzler Friedrich Merz will deshalb an den Sozialstaat ran. Sein Ziel: Ausgaben mindern, Regulierungen lockern. Und zwar nicht erst, wenn Kommissionen zur Rente, zum Bürgergeld und zur Pflege langwierig ihre Reform-Vorschläge erarbeitet hatten. So sah es nämlich bisher der Koalitionsvertrag von Union und SPD vor: Für schwierige und unpopuläre Projekte sollten erst einmal Kommissionen die Lage sondieren.
Merz kündigt Start von Reformen noch 2025 - „Sozialstaat muss bezahlbar bleiben“
Doch Merz machte jetzt beim Sommerfest des Parlamentskreises Mittelstand der Union eine andere Ansage. Bei den Sozialversicherungssystemen in Deutschland müsse die Regierung gleich handeln: „Ich will Ihnen das ausdrücklich versprechen: Das wird nicht nur in einer Kommission behandelt. Wir werden das im zweiten Halbjahr 2025 sehr konkret mit Reformen auf den Weg bringen“, kündigte Merz am Dienstag (8. Juli) an.
Der deutsche Sozialstaat müsse bezahlbar bleiben und die deutsche Wettbewerbsfähigkeit nicht länger aushöhlen. Merz kündigte in diesem Zuge eine „gewaltige Kraftanstrengung“ an, „aber wir werden das in der richtigen Weise auf den Weg bringen.“
Kanzler Merz will XXL-Reform bei Arbeit, Rente und Sozialstaat
Merz will zum Beispiel eine XXL-Reform des Bürgergelds. „Wir haben es hier zum Teil mit mafiösen Strukturen des sozialen Missbrauchs zu tun. Wir werden das abstellen“, sagte der vor dem CDU-Mittelstand. Aus dem Bürgergeld solle eine Grundsicherung werden.
Auch am Mittwoch (9. Juli) in der Generaldebatte des Bundestags kündigte Friedrich Merz eine baldige und „umfassende“ Reform des Bürgergelds an, bei dem die Union auf Einsparungen in Milliardenhöhe hofft. Entscheidungen werde es dazu im Herbst geben.
Nach einem Bericht der Bild-Zeitung will die Koalition bis zum Herbst insgesamt gemeinsame Ziele für eine Sozialstaatsreform definieren: Es gehe um eine „XXL-Sozial-Agenda für Arbeit, Rente und eine Neu-Konstruktion des Sozialstaates“, heißt es dort

Merz plant Änderungen beim Acht-Stunden-Tag
Eine handfeste Maßnahme des Kanzlers soll das Arbeitszeitgesetz sein. Merz will die Möglichkeit einer wöchentlichen statt einer täglichen Höchstarbeitszeit schaffen. Der Acht-Stunden-Tag wäre damit passé, Arbeitnehmer könnten auch zehn Stunden oder länger pro Tag arbeiten.
Am Acht-Stunden-Tag etwas zu ändern, falle „den Sozialdemokraten und den Gewerkschaften nicht ganz leicht. Da nehmen wir selbstverständlich Rücksicht“, sagte Merz beim Parlamentskreis Mittelstand. „Da wird es auch noch Gespräche geben, aber das Ziel ist klar.“ Auch kleine und mittlere Unternehmen sollten mit ihren Mitarbeitern Wochenarbeitszeiten verabreden können.
Merz will Acht-Stunden-Tag reformieren
Der Acht-Stunden-Tag gilt seit 1918 in Deutschland und gilt als große Errungenschaft der Gewerkschaften. Im Arbeitszeitgesetz heißt es: „Die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer darf acht Stunden nicht überschreiten.“ Nur in Ausnahmen sind zehn Stunden pro Tag möglich.
Merz-Plan bei Rente: 2000 Euro steuerfrei – altes Gesetz soll weg
Mehr Geld in die Sozialsysteme und Rentenkasse spülen will Merz außerdem durch eine Reform in der Rente, mit der Senioren länger im Arbeitsleben bleiben sollen. Arbeiten im Alter, auch über 67 Jahre, soll attraktiver werden, indem Rentner 2000 Euro pro Monat steuerfrei verdienen können.
Schon kommendes Jahr soll die sogenannte Aktivrente starten. Gestrichen wird ab 2026 auch ein Gesetz in Deutschland, das „grober Unfug“ ist, wie Merz kürzlich bei „Maischberger“ sagte: „Es gibt ein Vorbeschäftigungsverbot: Sie dürfen, wenn Sie in Rente gehen, im selben Betrieb nicht weiterarbeiten – selbst für 530 Euro im Monat nicht“, erläutert Merz. Seine Bundesregierung werde das kippen.
Merz will Rentner in Arbeit bringen und damit Wirtschaft ankurbeln
Von den 2000 Euro steuerfrei im Monat könnten etwa 230.000 Menschen direkt profitieren, hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) berechnet. Zudem will die Koalition damit die Rentenversicherung entlasten, ein höheres Wirtschaftswachstum erreichen und ein stabiles Rentenniveau sichern.
Allerdings: Das funktioniert nur, wenn sich genügend Senioren länger arbeiten wollen. Erst ab 75.000 Rentner, die sich aufgrund der Aktivrente zur Weiterarbeit entscheiden, lohne sich das Projekt, hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung berechnet.
Trotz Merz‘ Reform-Plan: Koalition plant Mehrausgaben und nennt nur allgemeine Ziele
Mit anderen konkreten Fakten, wie er die Sozialausgaben signifikant mindern will, hält Merz aber bisher hinterm Berg. Im Koalitionsvertrag sind weit und breit höhere Ausgaben und Kosten zu sehen, Beispiel: Mütterrente und Einhaltung des Rentenniveaus bei 48 Prozent.
CDU, CSU und SPD haben im Koalitionsvertrag darüber hinaus nur einen recht allgemeinen Reformwillen vereinbart. Die Komplexität von Zuständigkeiten und Schnittstellen im Sozialstaat erfordere „eine grundsätzliche Betrachtung und Reform“, heißt es zum Beispiel. Merz selbst pocht wohl auf mehr Eigenverantwortung der Bürger bei der Absicherung durch private Vorsorge und mehr Effizienz im Versicherungssystem. Die Koalition will außerdem Pflegende von Bürokratie entlasten. Berichtspflichten, Dokumentationspflichten und Kontrolldichten sollen verringert, doppelte Prüfstrukturen abgebaut werden.
Eine Kommission zur Sozialstaatsreform gemeinsam mit Ländern und Kommunen soll Ende 2025 ein Ergebnis präsentieren. Auch Gesundheitsministerin Nina Warken (SPD) hat für die Pflege eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe angekündigt.
Arbeitgeber erwarten von Merz einschneidende Reform des Sozialstaats
Deutschlands Arbeitgeber erwarten vom Bundeskanzler jedenfalls kein Kleinklein an vielen Einzelentscheidungen, sondern Einschneidendes: Sie pochen auf eine umfassende Reform des Sozialstaats. „Die Sozialstaatsreform muss rasch kommen“, sagte Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger der dpa. Es sei richtig, dass Merz das nun zu priorisieren scheine, denn: „Wenn die Sozialversicherungsabgaben weiter explodieren, verpuffen Steuersenkungen und Bürokratieabbau.“
Auch Bundesfinanzminister Lars Klingbeil drängte zuletzt auf Reformen bei den finanziell immer instabileren Sozialversicherungen. Beitragsexplosionen könnten kurzfristig zwar mit höheren Zuschüssen aus dem Bundeshaushalt verhindert werden, aber: „Der Finanzminister kann nicht dauernd angerufen und nach mehr Geld gefragt werden“, sagte er der Bild am Sonntag. (smu)