US-Wahlkampf - Auf den letzten Metern zeigt sich die große Tragik von Harris gegen Trump
Kamala Harris führt einen tragischen Wahlkampf. Sie liegt richtig mit dem Kern ihrer Attacken auf Donald Trump, der ein Anti-Demokrat sei und deswegen am Dienstag nicht erneut ins Weiße Haus gewählt werden dürfte. Wer in der ältesten Demokratie der Welt eine Wahlniederlage nicht akzeptiert, sondern auf die Gewalt seiner Anhänger setzt und den Kongress stürmen lässt, der muss sich seine Beschreibung als „kleiner Tyrann“ gefallen lassen, wie es Harris am Dienstagabend bei ihrer Großveranstaltung in Washington D.C. tat.
Kamala Harris gegen Donald Trump: Spitzenbeamtin gegen Entertainer
Die Tragik ihres Wahlkampfes liegt in zwei Punkten. Zum einen setzt Harris alles auf diese eine Karte der notwendigen Abwehr eines „Demokratieverächters“, und es gibt dazu, wir kommen darauf zurück, auch keine gangbare Alternative. Und zum anderen tut sie dies mit den Mitteln einer ehrenwerten Juristin und der langweiligen Attitude einer braven Spitzenbeamtin – während Trump ein Vollblut-Entertainer ist und sich einen Namen machte als „The Apprentice“-Showmaster im Fernsehen: „You’re fired.“
Ja, Unternehmer ist er auch, mit Erfolgen und Pleiten, und hätte er das Millionenerbe seines Vaters schlicht in sicheren Aktien angelegt, wäre er heute wohl reicher als er es mit seinen durchwachsenen geschäftlichen Aktivitäten geworden ist.
Seine Entertainer-Qualitäten zeigten sich, als Trump dieser Tage mit einem Müllwagen vor die Kameras rumpelte. Das geschehe „zu Ehren von Kamala und Joe Biden“, höhnte er unter Anspielung darauf, dass Biden bei einer Veranstaltung für Wahlkampfspender Unterstützer von Trump als „Müll“ bezeichnet hatte. Der Präsident stellte rasch klar, das sei lediglich gemünzt gewesen auf „hasserfüllte Äußerungen“ einiger Trump-Unterstützer bei einem Auftritt im New Yorker Madison Square Garden. Doch Harris muss seitdem ständig versichern, aus ihrer Sicht sei niemand „Müll“, und die Trump-Anhänger ohnehin nicht.
„Elegante Dame“ versus „netter Fast-Food-Opa“
Schon zuvor waren die unterschiedlichen Wahlkampf-Qualitäten deutlich geworden: Harris tauchte als von Starfotografin Annie Leibovitz perfekt in Szene gesetztes Cover-Model für das Hochglanzmagazin „Vogue“ auf, während Trump sich zeitgleich hinter einem McDonald’s-Drive-Through-Schalter bei der Ausgabe von Burgern, Coke und Pommes von einfachen Amerikanern fotografieren ließ. In beiden Fällen handelte es sich um Inszenierungen: „Elegante Dame“ versus „netter Fast-Food-Opa“ – was dürfte wohl den unentschlossenen Wähler mehr beeindrucken?
Dass Harris über das zentrale Thema der Verteidigung der Demokratie gegen einen Feind der Demokratie nicht hinaus kommt, liegt zum einen daran, dass die Medien auf die Knalleffekte der wechselseitigen Angriffe setzen: Wenn sie ihn einen „Faschisten“ und er sie eine „Kommunistin“ nennt, ist das für Klicks und Quoten interessanter als Gegenüberstellungen der durchaus unterschiedlichen innenpolitischen Konzepte. Und zum anderen kann sie nach fast vier Jahren im Weißen Haus als Nummer 2 nicht so ohne weiteres eine bessere Politik für das Land versprechen, weil das zwangsläufig zu der Frage führt, warum sie die nicht schon als Stellvertreterin von Biden angestoßen hat.
Harris verspricht den US-Bürgern Hilfe
Und sobald es um Tagespolitik geht, steht die über jeden Extremismus-Verdacht erhabene Demokratin Harris nicht mehr einem angeblichen Republikaner gegenüber, der mit der Idee einer Republik nichts im Sinn hat und von dem man auch diesmal nicht weiß, ob er eine Wahlniederlage akzeptieren würde. Sondern dann geht es schlicht um unterschiedliche Positionen zu politischen Sachfragen, und da ist die Differenzierung nach gut und böse oder richtig und falsch deutlich schwieriger.
In ihrer Rede in Washington, bewusst gehalten an jener Stelle vor dem Weißen Haus, von der aus Trump seine Anhänger am 6. Januar 2021 agitierte, bis sie in Richtung Kapitol loswalzten, sprach Harris etliche tagespolitische Themen an. Sie warb für ihren Plan der Steuererleichterung für die Mittelklasse, während Trump nur die Steuerlast für seine „Milliardärsfreunde“ reduzieren wolle. Allerdings hat exakt diese Steuerpolitik während Trumps Amtszeit die unter Vorgänger Barack Obama begonnene wirtschaftliche Erholung deutlich beschleunigt.
Sie sprach die Inflation an, die beim Bezahlen im Supermarkt und an der Tankstelle oder bei der Suche nach bezahlbarem Wohnraum Schmerzen auslöst. Allerdings kritisierte sie auch im Rückblick nicht, dass Präsident Biden während und nach der Corona-Pandemie viel zu große Geldgeschenke in der Bevölkerung verteilte, die den Wirtschaftsausfall überkompensierten und so das Geld entwerteten.
Woher kommen die Milliarden?
Sie sprach über den amerikanischen Traum von den eigenen vier Wänden, verbesserte Konditionen in der Krankenversicherung und den Umgang mit pflegebedürftigen Angehörigen. Allerdings deutete sie nicht an, woher die dafür nötigen Milliarden und Billiarden kommen sollen.
Sie sprach über das Recht auf Abtreibung, das sie gegen die Republikaner und den Supreme Court verteidigen wolle, in dem drei der neun Richter von Trump ernannt wurden. Allerdings skizzierte sie keinen Weg zu einer Revision der neuen Rechtslage.
Und sie kündigte die Umsetzung eines überparteilichen Gesetzes zur Sicherung der Grenze im Süden gegen illegale Immigranten ein, wie es unter Biden fast zustande gekommen wäre. Doch die Einigung hatte der auf Rache an Biden erpichte Trump durch Druck auf republikanische Kongresspolitiker verhindert. Jetzt sind die Aussichten gut, dass Harris im Fall ihres Wahlsieges die nötige Unterstützung in beiden Lagern aktivieren kann.
Die Umfragen sehen Trump sehr knapp vorne
Denn der 78-jährige Trump hat versprochen, dass dies seine letzte Kandidatur sei, und selbst wenn er seine Meinung ändern sollte, würde er schon aufgrund seines Alters in vier Jahren nicht noch einmal auf den Schild der Republikaner gehoben werden. Damit hätte aber auch ein erneuter Verlierer Trump am Tag nach dem 5. November sein Erpressungspotenzial gegenüber Parteifreunden eingebüßt, und dann ließen sich überparteiliche Gesetze in wichtigen Fragen wieder hinbekommen.
Sollte Kamala Harris am Dienstag gewählt werden, wäre nicht sicher, dass im Weißen Haus eine bessere Politik unter dem Vorzeichen von Umverteilung und noch mehr Sozialausgaben betrieben würde – aber die Demokratie wäre gegen ihren übelsten Gegner verteidigt.
Sollte Donald Trump am Dienst gewählt werden, wäre ebenfalls nicht sicher, dass seine Steuersenkungen bei einem zugleich verschärften Zollregime gegen China und Europa das Leben der Amerikaner verbessern würden – aber es wäre ein Mann zurück ins Weiße Haus gewählt worden, der sich um Recht und Regeln und Demokratie erkennbar nicht schert. Die Umfragen sehen Trump sehr knapp vorne, sein Vorsprung ist im Bereich der Messfehler, darum ist alles offen: Die Amerikaner haben es in der Hand, über mehr zu entscheiden als bei den meisten Wahlen der Vergangenheit.