Habeck mit Buhrufen in Nürnberg empfangen: „Uns wird die Luft für die Zukunft genommen“

In Nürnberg hat Robert Habeck (Grüne) eingeräumt, dass der Ampel das Narrativ abhanden gekommen sei. Statt Fortschritt könnte Sicherheit die Bürger mehr begeistern, reflektierte der Vize-Kanzler beim „Bürgerdialog“ im „Haus der Wirtschaft“.
Nürnberg - Mit Buhrufen haben Bauern den Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) kürzlich in Nürnberg empfangen, um lautstark aber laut Polizei friedlich gegen die Ampel-Politik zu demonstrieren. Etwas leiser aber nicht viel weniger kritisch ist es beim „Bürgerdialog“ im „Haus der Wirtschaft“ beim Schönen Brunnen am Hauptmarkt zugegangen.
Gleich zum Auftakt hat Armin Zitzmann, Präsident der Industrie- und Handelskammer Nürnberg für Mittelfranken (IHK), den verbalen Holzhammer herausgeholt und Habeck an die kluge Wirtschaftspolitik seines berühmten Vor-Vor-Vorgängers aus Franken erinnert.
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Habeck in Nürnberg: Wirtschaft lechzt nach positive Nachrichten aus Berlin
Ludwig Erhard habe den weisen Satz geprägt, dass die Wirtschaftspolitik zu 50 Prozent aus Psychologie besteht. „Was wir als Wirtschaft brauchen, sind positive Nachrichten“, schrieb Zitzmann dem Minister in Erinnerung an „unseren Lieblingswirtschaftsminister“ ins Stammbuch. Die Ampel müsse endlich Maßnahmen treffen, die wieder Hoffnung geben und wohl wie ein heller Hoffnungsstreif am düsteren Horizont wirken könnten.
„Dass die Situation jetzt schwierig ist, das weiß jeder. Da muss man nicht um den heißen Brei herumreden“, formulierte Zitzmann seine Kritik freundlich aber bestimmt. „Wir brauchen Signale, dass es besser wird.“ Nur mit den sprudelnden Steuergeldern aus einer florierenden Wirtschaft könne Deutschland als Sozialstaat funktionieren, erinnerte Zitzmann den Minister beim Überreichen einer kleinen Ludwig-Ehrhard-Plastik wohl an eine weitere Binsenwahrheit des fränkischen Wirtschaftswunder-Wirtschaftsministers.
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Ampel-Selbstreflexion: Vom Versprechen zur Bedrohung
Auf der Bühne hat Habeck später durchaus selbstkritisch eingeräumt, dass der Koalition die Leitidee abhanden gekommen sei. Wie andere Leute ein Handy oder Hut verlieren, hätte die Ampel nach dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine kein Ersatz für das proklamierte Narrativ vom rot-grün-gelben Fortschritt gefunden.
Die Vorstellung von Fortschritt habe sich von einem Versprechen zu einer Bedrohung gewandelt, sagte Habeck und attestierte der Gesellschaft eine akute Veränderungsmüdigkeit, die mit der Veränderungswut der Ampel in den Augen von Beobachtern wohl fast wie bei einem Frontalcrash auf der Autobahn zusammenprallt.

Durch den Krieg sei alles ins Wanken geraten. Das sei keine Entschuldigung, aber eine Erklärung für die Tatsache, dass die Regierung viel Vertrauen verloren habe, hat Habeck den schlechten Allgemeinzustand des Landes fast wie auf einer Couch beim Psychiater analysiert. Die These der Selbstreflexion lautet: Wenn es nicht den russischen Angriffskrieg und die multiplen Folgekrisen bei Geld, Energie & Co. gegeben hätte, hätte die Ampel den Koalitionsvertrag vergleichsweise ruhig und erfolgreich abgearbeitet, strapaziert Habeck den Konjunktiv ganz nach dem Motto: Hätte, Hätte, Fahrradkette.

„Wir hätten uns nicht so verloren“, glaubt Habeck rückblickend den Grund des ganzen Schlamassels zu kennen. Die Koalition hätte einfach keine Zeit gehabt, eine neue Ampel-Idee wie Sicherheit oder Verteidigung als Leitmotiv zu entwickeln. „So sind wir dann durch die letzten zwei Jahre gehetzt“, sagte Habeck und behauptete, dass einfach die Zeit gefehlt habe, den Kompass der Koalition neu zu eichen. Vom grünen Öko-Umbau zur bleiernen Kriegswirtschaft werden Historiker dieses Kapitel der Ampel vielleicht in Zukunft überschreiben.

Zukunftsängste treiben Demonstranten auf die Straße
Was die einen als schonungslose Selbstkritik würdigen könnten, dürften andere als haarsträubenden Offenbarungseid empfinden. Besonders die Bauern draußen vor der kalten Tür des warmen Saales mit dem handverlesenen Publikum hätten sich bei diesen Worten wohl nicht nur an den Kopf gefasst.

„Uns wird die Luft für die Zukunft genommen. Ich bin heute wirklich für die nächste Generation hier“, sagte Milchbauer Mathias Rodler als einer von rund 350 Demonstranten, während sich der Vize-Kanzler in Gedanken wohl fast schon auf den Weg nach München zur Sicherheitskonferenz machte, um vielleicht dort ein neues Narrativ für die angeschlagene Ampel zu finden.
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