Die überraschende Wende im Dortmunder Prozess zu dem tödlich verlaufenen Polizeieinsatz gegen den senegalesischen Flüchtling Mouhamed Dramé, 16, erfolgt am 12. Dezember im Gerichtssaal. Mit bangen Blicken erwarten die fünf angeklagten Polizeibeamten das Plädoyer des Chefanklägers Carsten Dombert. Der Oberstaatsanwalt hatte den 30-jährigen Todesschützen Fabian S. wegen Totschlags, drei Kollegen wegen Körperverletzung im Amt und den Einsatzführer wegen Anstiftung angeklagt.
Seit einem Jahr läuft die spektakuläre Hauptverhandlung. Zahlreiche Linksaktivisten füllen stets die Zuschauerränge. Nach dem Tod des Jugendlichen durch fünf Projektile aus einer Maschinenpistole des Beamten S. werfen die Protestler der Polizei latenten Rassismus vor.
Und so treffen die zweistündigen Ausführungen im Plädoyer der Staatsanwaltschaft bei ihnen auf harsche Kritik. Ankläger Dombert fordert vier Freisprüche, darunter auch für den Polizeischützen. Anders als sein Dienstgruppenleiter, der den Einsatz falsch geplant und sich damit der fahrlässigen Tötung schuldig gemacht habe, sei dem Angeklagten Fabian S. keine Straftat vorzuwerfen.
Dramé-Prozess: Polizeikommissar soll irrtümlich von einer Gefahrenlage ausgegangen sein
Tenor: Der Polizeikommissar ging irrtümlich von einer Gefahrenlage für seine Kollegen aus und drückte ab. In der Dynamik der Situation habe er nicht erkennen können, dass der Jugendliche mit dem Messer gar nicht angreifen, sondern nur der Situation entkommen wollte.
Die irrtümlich angenommene Notwehrlage rechtfertige die Schüsse auf den Oberkörper des Jugendlichen, weil alles schnell gehen musste - auch ohne Warnschuss. Der Urteilsspruch soll am Donnerstag (12. Dezember 2024) erfolgen.
Es war der 8. August, als Betreuer in einer Jugendwohnheim-Einrichtung der Dortmunder Nordstadt die Polizei riefen. Dramé, einer ihrer Schützlinge, hockte im Innenhof und hielt sich ein Messer gegen den Bauch. Tags zuvor hatte sich der Senegalese wegen psychischer Probleme in eine Klinik einweisen lassen, war aber wieder entlassen worden.
Erfolglos versuchte der Einsatztrupp den jungen Mann anzusprechen. Dann eskalierte die Lage. Der 56-jährige Dienstgruppenleiter befahl den Einsatz von Pfefferspray. Statt das Messer fallen zu lassen, erhob sich Dramé und bewegte sich zügig auf die Beamten zu. Vergeblich setzten zwei Beamte ihre Taser ein. Knapp zwei Sekunden später drückte der Sicherheitsschütze ab.
Oberstaatsanwalt: Dienstgruppenleiter sei unrechtmäßiges Verhalten zur Last zu legen
Nach Dutzenden Zeugenaussagen und Expertisen durch Sachverständigen nebst den Erklärungen durch die Angeklagten nahm Oberstaatsanwalt Dombert seine Anklagevorwürfe im Wesentlichen zurück. Allein dem Dienstgruppenleiter sei unrechtmäßiges Verhalten zur Last zu legen, so der Ankläger. Er habe zu Unrecht und zu unüberlegt den Einsatz von Pfefferspray angeordnet - und so den fatalen Lauf der Dinge in Gang gesetzt.
Dombert monierte, dass der Prozess durch rechte wie linke politische Ressentiments bedient worden war. „Das war alles unzutreffend“. Die Anklagten hätten zu keiner Zeit rassistische Motive für ihr Verhalten erkennen lassen, auch habe die Polizei hochprofessionelle Ermittlungsarbeit geleistet, die schließlich zur Anklageerhebung und zum Prozess geführt hätten.
Das Gros der Verteidiger folgte in ihren Schlussvorträgen dem Plädoyer der Anklage. Anwalt Michael Emde forderte indes ebenfalls, den Einsatzleiter freizusprechen. Sein Mandant habe den Jugendlichen retten wollen. Deshalb habe er angeordnet, das Pefferspray einzusetzen, damit Dramé das Messer, das er gegen seinen Bauch hielt, fallen lasse.
Dramé sei „regelrecht in das Schussfeld hineingetrieben“ worden
Nach Ansicht von Lisa Grüter, die zwei Brüder des getöteten Jugendlichen vertritt, sei Mouhamed Dramé durch den unangekündigten Reizgaseinsatz „regelrecht in das Schussfeld hineingetrieben“ worden.
Emotionen spielten in dem Verfahren eine große Rolle. So hatte der 30-jährige Todesschütze Interviews gegeben und sich auch eine Stunde lang im Gerichtssaal zu seinen Handlungen geäußert.
An die Opferangehörigen gewandt, sprach Fabian S. der Familie sein Mitgefühl aus. „Ich bin für den Tod verantwortlich. Es trifft mich sehr und macht mich traurig. Ich kann mir nicht vorstellen, was es bedeutet, ein Familienmitglied zu verlieren.“
Er gab sich keinen Illusionen hin, dass die Familie des Opfers ihm verzeihe. Jeden Tag tauche das Gesicht des Jungen vor seinen Augen auf. Zugleich aber machte der suspendierte Beamte klar, warum er gefeuert habe. Dramè sei in hohem Tempo mit einem Messer in der Hand auf seine Kollegen zugelaufen. Für einen Warnschuss sei keine Zeit gewesen.