Zurück zur Leistungsgesellschaft: Konzerne streichen die Wohlfühlkultur

Jahrelang setzten viele Firmen eher aufs Wohlgefühl als auf Work: Homeoffice, Yogastunde, Feelgood-Manager. Doch die Stimmung ist gekippt. Große Konzerne schalten um – zurück auf Leistung, Tempo, Druck. „High Performance“ heißt es nun. Und das bedeutet: Wer liefert, bleibt. Wer nicht, fliegt.

Nestlé streicht 16.000 Jobs: Der Börsenkurs boomt

Erst kürzlich kündigte der neue Nestlé-Chef Philipp Navratil radikale Einschnitte an. 16.000 Stellen werden gestrichen, 12.000 davon in der Verwaltung. Vor dem Jobabbau machte Navratil eine klare Ansage: Er erwarte eine Hochleistungskultur. Er will seine Leute nur noch „schonungslos nach ihrer Leistung beurteilen“. Lohn und Boni will er individualisieren und noch stärker von der Performance abhängig machen.

Nach dieser Ankündigung schnellte der Börsenwert des Lebensmittelriesen um 17 Milliarden Franken nach oben. Die Botschaft war damit gesetzt: Härte zahlt sich aus.

Härte statt Haltung

Bei der Großbank UBS sieht es ähnlich aus: Unternehmenschef Sergio Ermotti ließ Begriffe wie Diversity oder Inclusion aus den offiziellen Unterlagen tilgen. Stattdessen zählen jetzt Resultate, Tempo, Risikokultur. Das neue Motto lautet: Härte statt Haltung. Die Abkehr von Diversitätszielen lässt sich seit Donald Trumps neuer Amtszeit beobachten: Auch Meta, IMB, Disney und Mc Donalds haben ihre Diversity-Programme gekürzt oder gleich ganz gestrichen.

Selbst beim einst sanften Software-Riesen SAP herrscht neuerdings ein rauerer Ton. Beschäftigte werden ab sofort in Leistungsgruppen eingeteilt – von „Top Performer“ bis „Verbesserungswürdig“. Wer nicht spurt, bekommt eine klare Ansage.

Klares Comeback der Leistungsgesellschaft

Der Grund für den Sinneswandel: Deutschland steckt in einer Produktivitätskrise. Die Arbeit ist nicht effizient genug, die Kosten steigen, die Wettbewerbsfähigkeit sinkt. Und die Unternehmen reagieren. Mit Druck, klaren Zielen und neuen Leistungsmodellen. Laut dem arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) setzen mehr als die Hälfte aller Betriebe inzwischen auf leistungsabhängige Bezahlung. Tendenz steigend. Demnach haben Chefs „das Thema der Leistungskultur neu für sich entdeckt“. 

Das Comeback der Leistungskultur soll den Gewinn ankurbeln und zeigen: Jetzt wird gespart – und zugleich sortiert. Wer liefert, bleibt. Wer nicht, steht auf der Streichliste.

Leistung messen: Aber wie?

Doch das neue Leistungsdenken hat seine Tücken. Wer misst, was „Leistung“ überhaupt ist? Das System kann schnell kippen. Dann wird aus Antrieb Angst.

Und nicht jede Leistung ist messbar. Wer Teams führt, Kinder erzieht oder Teilzeit arbeitet, fällt oft durchs Raster. Die Gefahr: Leistung wird zum Privileg und zur Stressfalle.

So oder so: Der Wind hat sich gedreht, die Schonzeit ist vorbei. Und der Arbeitgebermarkt wird stärker. Schließlich plant laut IW jeder dritte Betrieb Stellen zu streichen, vor allem in der Industrie. Das Konsumklima ist auf dem tiefsten Stand seit März, Verbraucher bangen um ihr Einkommen. Und wer Angst hat, seinen Job zu verlieren, spurt. Zumindest vorerst. Ob das die Rekordkrankenstände drückt oder weiter nach oben treibt, wird sich zeigen. Klar ist: Die Belastung im Job ist laut AOK schon wieder so hoch wie vor Corona.