Wagenknecht kritisiert Entscheidung zu US-Langstreckenraketen in Deutschland – und verrechnet sich beim Wehretat
Sahra Wagenknecht äußert sich in einer Talkshow zu Verteidigungsfragen. Kritik bekommt sie von Experten für ihr „anderes Verhältnis zu Fakten“.
Berlin – Deutschland und die USA verkündeten am Mittwoch (10. Juli), die US-Armee wolle ab 2026 wieder Langstreckenwaffen in Deutschland stationieren. Laut Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) soll das eine „ernstzunehmende Fähigkeitslücke in Europa“ schließen. Kritik dazu kam von Sahra Wagenknecht: In der Talk-Sendung von Maybrit Illner im ZDF am Donnerstag bezeichnete die Politikerin die Stationierung der Waffen als „Sicherheitsrisiko“ und äußerte sich auch zu weiteren Verteidigungsfragen. Andere Talkshow-Gäste warfen Wagenknecht vor, sich bei ihrer Argumentation auf russische Quellen zu stützen.
Wagenknecht „verrechnet“ sich und erntet Kritik: „Anderes Verhältnis zu Fakten als Sie“
Die Stationierung von „Angriffsraketen“ des Typs Tomahawk sei ein Sicherheitsrisiko, kritisierte Sahra Wagenknecht in der Sendung von Maybrit Illner. „Ich halte die Vorstellung für abenteuerlich, dass wir in dieser waffenstarrenden Welt mehr Sicherheit bekommen, wenn wir noch mehr Waffen aufstellen“, so die Politikerin, die Anfang dieses Jahres die neue Partei Bündnis Sahra Wagenknecht, kurz BSW, gründete. „Je mehr wir zu einer Kriegspartei werden, desto größer ist die Gefahr, dass Russland uns irgendwann so behandelt, wie man eine Kriegspartei behandelt.“ Das Rüstungsbudget Deutschlands sei in den vergangenen zehn Jahren um 250 Prozent gewachsen und liege aktuell bei 90 Milliarden Euro, so die BSW-Gründerin weiter.
Nur: Das ist nicht korrekt. In Wahrheit liege der Verteidigungshaushalt bei etwa 52 Milliarden Euro, der Rest sei Sondervermögen „und da kommen wir bei 72 Milliarden raus“, korrigierte die Politikwissenschaftlerin von der Denkfabrik Stiftung Wissenschaft und Politik, Claudia Major. Nur ein Teil davon gehe tatsächlich – so wie von Wagenknecht behauptet – in Rüstung. Ein Großteil des Geldes decke andere Kosten, etwa für Personal, den Unterhaltung von Kasernen oder Ausbildung. Rund ein Drittel gibt Deutschland laut Nato-Angaben tatsächlich für Rüstung aus. „Ich glaube, dass ich ein anderes Verhältnis zu Fakten habe als Sie“, sagt die Expertin weiter. „In allen Themen, die wir bisher hatten, gab es ein Problem: Dass Sie nämlich mit den Fakten sehr kreativ waren.“
Major warf Wagenknecht zudem vor, „falsche Informationen in den Raum zu stellen, Behauptungen aufzustellen, die sich häufig auf russische Quellen stützen“ – also Informationen aus einem Land „das keine Informations- und Pressefreiheit hat“. Mit ihrer Taktik vergifte Wagenknecht die öffentliche Debatte immer mehr, da immer unklarer werde, was eigentlich stimme, argumentiert die Expertin weiter. Aus Sicht von Militärexperten müsste angesichts der angespannten geopolitischen Lage nicht weniger, sondern mehr Geld in die Verteidigung fließen: Kritik gab es deshalb zuletzt am geplanten Haushalt der Ampel für das Jahr 2025.
Lob der Ukraine an „Echtzeit-Faktencheck“, um „Vergiftung der Debatte“ entgegenzuwirken
Lob bekam Claudia Major vom ukrainischen Botschafter in Deutschland, Oleksij Makejew. „Die Einladungen von Sahra Wagenknecht in den [öffentlich-rechtlichen Rundfunk] dienen nicht dem Meinungsausgleich, sondern der Relativierung der Wahrheit – und damit der russischen genozidalen Kriegsverbrechen“, schrieb der Diplomat am Donnerstag auf der Plattform X. „Gut, dass Claudia Major mit diesem Echtzeit-Faktencheck der Vergiftung der Debatte entgegenwirkt.“
Journalist Claus Kleber, ebenfalls zu Gast in der Runde, betonte: „Jeder ist für Frieden und keiner für Krieg“, und warf Wagenknecht vor, Narrative zu verbreiten, die sich „leicht an Stammtischen“ wiedergeben ließen. Wagenknecht musste sich bereits in der Vergangenheit Populismus-Vorwürfe gefallen lassen. Ein Merkmal von Populismus ist es, einfache Lösungen für komplexe Probleme zu liefern: „Populismus verkürzt, dramatisiert und emotionalisiert bewusst komplizierte gesellschaftliche Fragen und behauptet, dass die Lösung dieser Fragen im Grunde ganz einfach wäre“, heißt es dazu etwa von der Landeszentrale für politische Bildung.
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Mit ihren Äußerungen zur Stationierung der US-Waffen in Deutschland bedient Wagenknecht auch die Ängste der Menschen hierzulande: Wie eine Umfrage für die Sender RTL und ntv ergab, fürchten 47 Prozent der Befragten, dass ein militärischer Konflikt zwischen Russland und der Nato durch die Entscheidung zur Stationierung von US-Langstreckenwaffen in Deutschland wahrscheinlicher wird. Nur 17 Prozent der Befragten glauben, dass die Sicherheit dadurch zunimmt. Moskau hatte mit Blick auf die Ankündigung der Stationierung der US-Waffen von einem Schritt hin zu einem neuen „Kalten Krieg“ gesprochen. (bme)