Debatte um neue Verfassungsrichterin: So links steht Brosius-Gersdorf wirklich

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Frauke Brosius-Gersdorf wurde für die Wahl zum Bundesverfassungsgericht empfohlen. © Britta Pedersen/dpa

Streit um das Bundesverfassungsgericht: Frauke Brosius-Gersdorf steht wegen ihrer progressiven Positionen bei der Union in der Kritik. Doch wie links ist die Juraprofessorin wirklich?

Berlin – Das Ringen um die Neubesetzung dreier Richterstellen am Bundesverfassungsgericht spitzt sich zu. Teile der Unionsfraktion konnten und wollten sich einfach nicht mit der angeblich „ultralinken“ SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf abfinden. Der Bundestag sollte am heutigen Freitag (11. Juli) über die freiwerdende Stellen beim Bundesverfassungsgericht abstimmen.

Eine Stunde vor Beginn der Abstimmung zogen der Unionsfraktionsvorsitzende Jens Spahn und Kanzler Friedrich Merz (beide CDU) nun die Notbremse und teilten der SPD die Entscheidung mit, die Wahl von Brosius-Gersdorf abzusetzen – aber angeblich nicht aufgrund ihrer politischen Haltung, sondern wegen plötzlich am Morgen aufgetauchter Plagiatsvorwürfe. Schließlich wurde alle drei Abstimmungen von der Tagesordnung genommen – die schwarz-rote Koalition kann sich vorerst nicht auf die Wahl der drei Richterkandidaten für das Bundesverfassungsgericht verständigen.

Größter Stein des Anstoßes für die Union: Brosius-Gersdorfs Position zur Abtreibung

Brosius-Gersdorf steht für progressive Positionen zu Reproduktionsrechten, Demokratieschutz und Gleichberechtigung, weshalb sie in Teilen der Union als „linksradikale Aktivistin“ angesehen wird. Doch wie links sind ihre Positionen wirklich?

Besonders heftig umstritten sind innerhalb der Union Brosius-Gersdorfs Positionen zum Schwangerschaftsabbruch. Sie vertritt eine klare Haltung für ein Selbstbestimmungsrecht für Frauen bei der Reproduktion und will Schwangerschaftsabbrüche entkriminalisieren, Abbrüche bis zur zwölften Woche sollten stattdessen „rechtmäßig und straffrei“ sein. Als stellvertretende Koordinatorin einer von der Bundesregierung eingesetzten Expertinnenkommission zur Reform des Abtreibungsrechts vertrat sie 2024 eine sehr liberale Haltung. In ihrem Bericht argumentierte sie, es gebe „gute Gründe dafür, dass die volle Garantie der Menschenwürde erst ab der Geburt gelte“.

Worauf die Union und die Kirchen hysterisch reagieren, ist allerdings alles andere als radikal – Brosius-Gersdorfs Positionen entsprechen dem europäischen Standard.

Abtreibungsrecht in Europa
Deutschland Grundsätzlich strafbar, straffrei unter bestimmten Bedingungen, Frist bis zur 12. Schwangerschaftswoche
Frankreich Grundrecht, Frist bis zur 14. Schwangerschaftswoche
Niederlande legal, Frist bis zur 22. Schwangerschaftswoche
Belgien legal, Frist bis zur 12. Schwangerschaftswoche
Schweden legal, Frist bis zur 18. Schwangerschaftswoche
Spanien legal, Frist bis zur 14. Schwangerschaftswoche

Brosius-Gersdorf ist Befürworterin eines AfD-Verbots

Ein weiterer Streitpunkt ist Brosius-Gersdorfs öffentliche Unterstützung für ein Verbot der AfD. In der ZDF-Talkshow „Markus Lanz“ sprach sie sich im Juli 2024 für einen Verbotsantrag gegen die Partei aus, falls der Verfassungsschutz ausreichend Material vorlege. Ein solcher Antrag wäre „ein ganz starkes Signal unserer wehrhaften Demokratie“, argumentierte sie.

Diese Position deckt sich mit der offiziellen Linie der SPD, die auf ihrem Bundesparteitag einen Antrag beschlossen hat, ein AfD-Verbot vorzubereiten.

Positionen zu Gleichstellung, Frauenquoten und Ehegattensplitting

Auch in der Gleichstellungspolitik vertritt Brosius-Gersdorf progressive Positionen. So bewertet sie die aktuelle Regelung zur künstlichen Befruchtung als verfassungswidrig. Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zur künstlichen Befruchtung erhalten derzeit nur verschiedengeschlechtliche Ehepaare. Gleichgeschlechtliche Paare, unverheiratete Paare und alleinstehende Personen sind davon ausgeschlossen.

Brosius-Gersdorf kritisierte die Ablehnung verbindlicher Frauenquoten durch den Thüringer Verfassungsgerichtshof im Jahr 2020 und meinte, ihm sei ein „schweres Abwägungsdefizit“ unterlaufen. 

Auch das von der Union eingeführte Ehegattensplitting hält Brosius-Gersdorf für verfassungswidrig. Es verstoße „gegen das Diskriminierungsverbot“ des Grundgesetzes. Auch die beitragsfreie Mitversicherung von Ehegatten in der Kranken- und Pflegeversicherung sei verfassungswidrig. Sie kollidiere mit dem Gebot, Geschlechternachteile zu beseitigen, „weil von ihr Anreize für die Nichterwerbstätigkeit der Frau ausgehen“.

Aber auch hier sind ihre Positionen nicht wirklich „ultralinks“, wie es in der Unionsfraktion heißt, sondern spiegeln moderne verfassungsrechtliche Diskurse wider.

Corona-Politik: Impfpflicht und Sanktionen

Auch ihre Haltung während der Corona-Pandemie sorgt für Diskussionen. Gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Leipziger Rechtsprofessor Hubertus Gersdorf, verfasste sie im November 2021 eine Stellungnahme, in der sie sich vehement für eine allgemeine Impfpflicht aussprach. Als Strafmaßnahmen gegen Impfverweigerer empfahl das Ehepaar unter anderem den Wegfall der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.

Diese Position brachte ihr den Vorwurf ein, zu weit in die Grundrechte eingreifen zu wollen. CDU-Bundestagsabgeordnete Saskia Ludwig kommentierte das Papier auf X mit nur einem Wort: „unwählbar“.

Brosius-Gersdorf als neue Verfassungsrichterin: Wissenschaftliche Qualifikation unbestritten

Trotz aller politischen Kontroversen ist Brosius-Gersdorfs fachliche Qualifikation weitgehend unbestritten. Sie ist seit 2015 stellvertretendes Mitglied des Verfassungsgerichtshofs des Freistaates Sachsen und Mitglied der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer.

Sollte sie gewählt werden, würde sie als eine der jüngeren Richterinnen das Gericht für viele Jahre prägen. Ihre Positionen könnten in zukünftigen Entscheidungen zu Abtreibung, Parteiverboten und anderen gesellschaftspolitischen Fragen eine entscheidende Rolle spielen. (sot mit dpa/afp)

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