In dieser Gemeinde im Osten Baden-Württembergs wurde das älteste Industrieunternehmen Deutschlands gegründet
Die Industrialisierung kam eigentlich erst mit der Erfindung der Dampfmaschine durch James Watt vor etwa 250 Jahren in Gang. Schon bedeutend früher, im Jahr 1365, wurde in Königsbronn im Landkreis Heidenheim ein industriell arbeitendes Unternehmen gegründet, das bis heute existiert.
Königsbronn - Vor nicht allzu langer Zeit schien es so, als sei das Ende für den ältesten deutschen Industriebetrieb gekommen. Mehrere Insolvenzen führten zur Schließung mehrerer Werke der damaligen Schwäbischen Hüttenwerke (SHW) – auch am traditionsreichen Gründungsstandort Königsbronn wurden Anfang 2019 fast alle Mitarbeiter entlassen, weil schlichtweg kein Material mehr eingekauft werden konnte und die Papiermaschinenhersteller, für die SHW die nötigen Walzen gefertigt hatte, alle Aufträge storniert hatten.
Für die SHW – und damit den ältesten Industriebetrieb Deutschlands – sah es lange Zeit nicht gut aus. Doch dann geschah etwas Unvorhergesehenes, heute tituliert als das „Wunder von Königsbronn“. Denn nur einen Monat später, im März 2019, wurde die Hüttenwerke Königsbronn GmbH gegründet und die Hälfte der zuvor eigentlich schon gekündigten Belegschaft übernommen. Nachdem der Betrieb sieben Wochen komplett geruht hatte, wurde im Juni 2019 wieder eine Walze gegossen.

Mitarbeiter kämpften nach der dritten Insolvenz um den Erhalt des Betriebs
Wie all das doch noch eine erfolgreiche Wende nehmen konnte? Nach der Ende 2018 eigentlich schon beschlossenen dritten Insolvenz des Unternehmens, kämpften die Mitarbeiter mit Onlinepetitionen, Flugblättern, Bettelgängen zu Politikern, Unterschriftenaktionen und Menschenketten für den Erhalt des Betriebs. Zwar kam es noch zu dem erwähnten Schließungsbeschluss und ersten Entlassungen.
Allerdings wurde im Hintergrund an möglichen Rettungskonzepten gearbeitet: einerseits durch den Wirt einer Königsbronner Kneipe, der als ehemaliger Insolvenzverwalter gemeinsam mit dem SHW-Betriebsrat Fred Behr einen möglichen Rettungsplan erarbeitet hatte. Andererseits riet der baden-württembergische IG-Metall-Chef seinem Heidenheimer Kollegen Ralf Willeck, die Restruktierungsberatunger von One Square aus München mit ins Boot zu holen.
Unter dem neuen Namen Hüttenwerke Königsbronn gelang der Neustart
Und tatsächlich funktionierte die Synergie aus dem Kneipenwirt-Rettungsplan und Expertise der Finanzprofis – unter dem neuen Namen Hüttenwerke Königsbronn konnte der Standort gerettet werden. Weil die wichtigen Kunden aus der Papierbranche und anderen Industrien für die Fertigung der Walzen in Vorleistungen gingen, konnte die Produktion wieder angefahren werden.
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Die verbliebenen rund 75 Mitarbeiter wiederum verzichteten damals bis Ende 2020 auf 15 Prozent ihres Lohns sowie auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld, wurden im Gegenzug aber mit einem Drittel an den neuen Hüttenwerken beteiligt.
Seither geht es mit den Hüttenwerken wieder aufwärts, heute sind in Königsbronn wieder um die 100 Mitarbeiter beschäftigt, die Auftragsbücher sind dank der zurückgekehrten Papiermaschinenhersteller ebenfalls voll, da in Königsbronn zwei Drittel aller weltweit genutzten beheizten Papierkalanderwalzen gefertigt werden – damit sind die Hüttenwerke in diesem Bereich Weltmarktführer. Diese Kalanderwalzen aus Schalenhartguss werden zur Papierherstellung benötigt, die Gussstücke sind bis zu 130 Tonnen schwer und können, fertig bearbeitet, immer noch über 80 Tonnen wiegen.
Wie die Geschichte der Eisenverarbeitung in Königsbronn ihren Anfang nahm
Wann die Eisenverarbeitung in Königsbronn tatsächlich begann, dafür gibt es keine historischen Quellen, mit deren Hilfe sich ein genauer Zeitpunkt festlegen ließen. Eine wichtige Rolle spielte dabei aber das örtliche, von König Albrecht I. gestiftete, Zisternienserkloster. Ausdrückliche Erlaubnis, auf seinen Gütern Eisenwerke zu errichten, gab Kaiser Karl IV. dem Kloster dann aber im Jahr 1366. Zuvor hatte er aber schon dem Grafen von Helfenstein eine ähnliche Bewilligung erteilt. Daher datiert die erste schriftliche Erwähnung eisenverarbeitender Aktivitäten im Brenztal auf dem Jahr 1365.
Die aus dem Kloster hervorgehenden Aktivitäten sorgten für die Entwicklung der Brenztalwerke, die im 17. und 18. Jahrhundert zu einem der führenden Eisenverhüttungs-Betriebe der Region avancierten. 1806 übernahm das Königreich Württemberg den Betrieb und modernisierte ihn. Die Spezialisierung auf die Herstellung von Hartgusswalzen brachte mit sich, dass das Unternehmen nicht nur als Technologieführer auftrat, sondern auch die Produktion fortlaufende erweitern und modernisieren konnte.
Lange Zeit war die SHW dominierender Hersteller von Papierkalanderwalzen
1921 wurde dann die Schwäbische Hüttenwerke GmbH (SHW) gegründet. Die SHW entwickelte sich über die folgenden Jahrzehnte zum dominierenden Hersteller von Papierkalanderwalzen, sogar die Walzenfertigung des US-amerikanischen Mitbewerbers Farrel Corporation konnte einst übernommen werden.
Lange Zeit ging es für die SHW, abgesehen von einigen wenigen geräuschvolleren Nebenschauplätzen, geschäftstechnisch nach oben – noch 2008 konnte man das erfolgreichste Jahr der Geschäftsgeschichte feiern. Doch noch im selben Jahr folgte die weltweite Finanzkrise – und nur fünf Jahre musste zum ersten Mal Insolvenz angemeldet werden.
Seit wenigen Tagen ist die HWK1365 SE an der Börse notiert
Es kamen wechselvolle Jahre zwischen Hoffen und Bangen, eine zweite und dritte Insolvenz sowie das „Wunder von Königsbronn“ mit der Neugründung der Hüttenwerke Königsbronn. Und schließlich, vor wenigen Wochen, der Gang an die Börse. Dort ist das Unternehmen jetzt als HWK1365 SE notiert. 275.184 Aktien wurden Mitte August mit einem Eröffnungskurs von 7,50 Euro ausgegeben. Rund ein Drittel der Aktien befindet sich dabei im Eigentum der Mitarbeiter.
Übrigens: Königsbronn ist nicht nur Heimat des ältesten Industriebetriebs in Deutschland. Sondern auch Heimatort eines der bekanntesten Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime. Mit seinem Attentat im Jahr 1938 hätte er vielleicht den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verhindern können.