Auf dem Weg zur Energiewende: Was Deutschland von anderen Ländern lernen kann

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Weltweit beziehen sieben Staaten dieser Welt fast 100 Prozent ihres Energiebedarfes aus erneuerbaren Quellen. Was könnte sich Deutschland von diesen Ländern abschauen?

Berlin – Die Energiewende und der damit verbundene klimapolitische Fortschritt kommt auch in Deutschland deutlich voran. Laut einem Bericht des Bundesverbands für Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) und des Zentrums für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) deckte der Anteil erneuerbarer Energien in etwa 65 Prozent des Stromverbrauchs in Deutschland ab.

Als erneuerbare Energiequellen bezeichnet man allgemein, Energie, die aus Wind- und Sonnenenergie, Biomasse und Erdmasse gewonnen wird. Damit Energieträger gemeint, die sich innerhalb kurzer Zeit selbst erneuern oder permanent zur Verfügung stehen. In weiten Teilen wird auch die Wasserkraft, mit Ausnahmen und Spezifikationen, ebenfalls zu den erneuerbaren Energiequellen gezählt.

Klimaziel für Deutschland: 2030 sollen 80 Prozent des Strombedarfs aus erneuerbaren Quellen stammen

Die Bundesregierung, bestehend aus SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen, schrieb in ihrem Koalitionsvertrag 2021 bereits, dass sie den Ausbau der erneuerbaren Energien zu einem zentralen Projekt ihrer Regierungsarbeit machen wolle. 2030 sollen 80 Prozent des deutschen Strombedarfs aus erneuerbaren Quellen stammen. Dafür sollten Genehmigungsverfahren beschleunigt und die deutschen Kapazitäten für Photovoltaik und Windenergie auf See ausgebaut werden.

Nun ließe sich einwenden, dass der Koalitionsvertrag natürlich bereits eine Weile zurückliegt und sich seitdem die geo- und energiepolitische Lage des Landes verändert hat. Tatsächlich gibt es allerdings global betrachtet inzwischen sogar bereits sieben Staaten, die dem WDR zufolge nahezu 100 Prozent ihres gesamten Energiebedarfs aus erneuerbaren Quellen abdecken. Weltweit beziehen sogar insgesamt schon zwölf Länder ihren Strom zu über 90 Prozent aus erneuerbaren Quellen, bei Deutschlands Nachbar Österreich sind es ganze 74 Prozent.

Was könnte Deutschland bei den erneuerbaren Energien von den 100 Prozent-Staaten lernen?

Gemessen an seinem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf ist Island ein sehr reiches Land. Man könnte deshalb meinen, die nationalen finanziellen Ressourcen für eine große Wind- und Solarstruktur wären dort auf der nationalen Ebene gegeben, aber tatsächlich liegt der Schlüsse woanders: im Wasser. Dem Blog Visit Iceland zufolge stammen 73 Prozent des Gesamtbedarfs an elektrischer Energie in Island aus Wasserkraftwerken und rund 27 Prozent aus geothermischer Energie.

Island importiert neben vielen anderen Ländern zwar auch noch in geringen Anteilen fossile Brennstoffe aus dem Ausland, da Schiffe, Flugzeuge und Autos in der Regel dort noch mit konventioneller Energie betrieben werden. Die isländische Regierung gibt sich allerdings laut Visit Iceland redlich Mühe, die Abhängigkeit des Landes von fossilen Energiequellen durch Investitionen in eine elektrische Infrastruktur zu reduzieren.

Das Bild zeigt eine Luftaufnahme der Solaranlagen und Windräder des Energieparks Lausitz bei Klettwitz, Brandenburg Mitte Mai 2024.
Eines der größten wirtschafts- und klimapolitischen Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien in Deutschland: Der Energiepark Lausitz bei Klettwitz in Brandenburg Mitte Mai 2024. © Imago/Andreas Franke

Zusammen mit seinem, im Vergleich zu anderen europäischen Staaten, niedrigeren Bruttoinlandsprodukt, würden Beobachtende vielleicht nicht direkt eine Vorreiterrolle des Landes im Bereich der erneuerbaren Energien vermuten. Doch auch Albanien bedient sich dem Onlineportal energie:bau zufolge am gleichen Hebel wie Island: der Wasserkraft. Die drei größten Wasserkraftwerke des Landes kommen zusammen auf eine Kapazität von 1.350 Megawatt.

Zum Vergleich: In Deutschland sind es 5600 Megawatt, die Fläche Albaniens entspricht allerdings auch ungefähr der Fläche des Bundeslandes Brandenburg. Um die Energiequellen des Landes neben der Wasserkraft zu diversifizieren, empfehlen Fachleute der albanischen Regierung den PV-Ausbau im sonnenreichen Westen des Landes.

Bhutan und Nepal weisen hohes Potenzial bei erneuerbaren Energien auf

Das Königreich Bhutan produziert bezogen auf sein Land den Gesamtbedarf an Strom sogar zweimal. Das führt dazu, dass der südasiatische Staat dem SWR zufolge massenhaft grünen Strom, der aus Wasserkraft gewonnen wurde, exportieren kann. Wie kommt das? Das Land, in dem rund 800.000 Menschen leben, schöpft aus seinen natürlichen Ressourcen. Die Berge Bhutans und die zahlreichen Flüsse, Gletschern und Niederschlägen bieten für die Energiegewinnung aus Wasserkraft optimale Voraussetzungen.

Der hohe Waldanteil des Landes führt ebenfalls dazu, dass das Königreich über viele natürliche Treibhausgassenken verfügt. Der Generaldirektor des staatlichen Strom-Monopolisten Chhewang Rinzin in Bhutan bezeichnete die Wasserkraft als wichtigsten Wirtschaftszweig seines Landes. Hauptabnehmer des grünen Stroms aus Bhutan ist Indien.

Das Kloster namens „Tigernest“, das über den Bergen von Taro, Bhutan thront, Ende Februar 2024.
Trotz deutlicher gesellschaftspolitischer Unterschiede zu Deutschland: Das Königreich Bhutan zählt Stand heute als das einzige klimaneutrale Land dieses Planeten. © Imago/SuperStock

Das Land zwischen Indien und Tibet hat ein sehr hohes Potenzial für den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien. Bis jetzt hat sich Nepal ebenfalls voll und ganz auf die Wasserkraft konzentriert. Allerdings hat lange nicht jeder Bürger oder jede Bürgerin in Nepal Zugang zu der aus erneuerbaren Quellen gewonnenen Energie. Der weitere Ausbau der Solarenergie und die Diversifizierung des Energiesektors in Nepal ist, beispielsweise auch in einem Projekt mit der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), aktuell geplant.

Äthiopien, DPK und Paraguay: Es wird etwas fürs Klima getan

Auch Äthiopien setzt in weiten Teilen auf die Ressource der Wasserkraft, was manchmal aufgrund von Dürren und langen Trockenperioden problematisch ist. Zusätzlich dazu versucht das westafrikanische Land, was die Bereiche der Wind- und Sonnenenergie angeht, seine Energieinfrastruktur auszubauen. Die nationale Problematik ist hier ähnlich wie in Nepal gelagert. Die grundlegenden erneuerbaren Energieressourcen (Wind, Sonne, Wasser) sind zwar größtenteils vorhanden, es scheitert allerdings häufig an der Energieinfrastruktur.

Fast der gesamte Strom des lateinamerikanischen Landes stammt laut energie:bau ebenfalls aus Wasserkraft.  Was seine Strommenge und die Menge der dort lebenden Menschen betrifft, lässt sich Paraguay durchaus mit Österreich vergleichen. Allerdings ist Paraguay in etwa so groß wie Deutschland und Österreich zusammen. Das Land bemüht sich, mit einer neuen Regelung seinen Energiesektor zu diversifizieren und sich damit auch auf sich durch die Klimakrise vermehrt häufende Dürreperioden vorzubereiten.

Die Demokratische Republik Kongo hat Fachleuten zufolge das größte Wasserkraft-Potenzial Afrikas. Die beiden größten Wasserkraftwerke im Land gingen jeweils 1972 und 1982 in Betrieb und versorgen bis heute die beiden größten Städte des Landes. Ein minimaler zusätzlicher Stromanteil des Kongos stammt aus Solarenergie. Aufgrund struktureller und politische Probleme hat allerdings wiederum nur ein Bruchteil der Bevölkerung auch Zugang zu dieser Energie. Weite Teile des Landes werden bis heute als Kriegsgebiet eingestuft.

Ausbau der Wasserkraft ist Schlüssel für eine hohe Basisversorgung aus erneuerbaren Energiequellen

Nun ist es natürlich so, dass sich die genannten Vorreiterstaaten in vielen Dimensionen von Deutschland unterscheiden, wie beispielsweise in ihrer Bevölkerungszahl, ihrer Wirtschaftskraft und vor allem in ihrer Größe. Dennoch verdeutlicht sich bei der Betrachtung der genannten Beispiele relativ schnell eine Erkenntnis: Der Schlüssel all dieser Staaten zu einer hohen nationalen Basisversorgung aus erneuerbaren Energiequellen scheint wortwörtlich ins Wasser zu fallen.

Deutschland hat, was die Wasserkraft angeht, bereits einiges zu bieten. Laut dem Bundesverband deutscher Wasserkraftwerke werden aktuell über 7000 Wasserkraftwerke in Deutschland betrieben, allerdings sind die Unterschiede zwischen den Ländern relativ groß. Neben dem Bau weiterer Kraftwerke und dem ergänzenden beschleunigten Ausbau der Wind- und Solarenergie, bestünde eine Möglichkeit in der Modernisierung und im Ausbau bereits bestehender Kraftwerke.

Dem Bundesverband zufolge könnte so die Kapazität eines bestehenden Kraftwerks nahezu um ein Drittel gesteigert werden. In einem Sachstandsbericht aus dem Jahr 2022 schätzt der wissenschaftliche Dienst des Bundestags, die zusätzliche Kapazität einer Modernisierungsoffensive von Wasserkraftwerken in Deutschland sogar auf 2,7 Terrawatt im Jahr.

Die Bundesumweltministerin äußerte sich in der Vergangenheit eher skeptisch zur Wasserkraft

Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung finden sich keine weiteren Angaben zu einem anvisierten Ausbau der Wasserkraft in Deutschland. Umweltministerin Steffi Lemke (Bündnis 90/Die Grünen) ließ laut Focus in der 2023 veröffentlichten Nationalen Wasserstrategie des Bundes sogar anklingen, dass sie die Vielzahl kleiner Wasserkraftanlagen mit Blick auf deren Wartungskosten in Deutschland teilweise als „problematisch“ ansehe und dort „Schritte für den Rückbau“ für denkbar halte.

Zusammengefasst ist Deutschland insgesamt, was den Ausbau seiner erneuerbaren Kapazitäten angeht, zwar auf einem guten Weg. Er ist aber noch lang und vielleicht findet auf ihm der ein oder andere Bereich, wie die genannten Beispiele deutlich machen, energiepolitisch noch zu wenig Beachtung. Allerdings heißt es schließlich nicht ohne Grund: Wo ein politischer Wille ist, ist auch ein Weg. (Sonja Ruf)

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