Russland stört Satelliten und Schiffe in der Arktis. Die Nato reagiert mit innovativer Technologie. Besonders der Norden wird strategisch immer wichtiger. Eine Analyse.
Es surrt bedrohlich von allen Seiten – dann explodiert die Drohne plötzlich auf Ohrenhöhe. Game over. „Im echten Leben wären Sie jetzt mindestens schwer verletzt“, sagt Jonas Schaerk, schaltet die virtuelle Realität aus und nimmt den VR-Helm und den Controller in Sturmgewehrform wieder entgegen. Schaerk ist Customer Success Manager bei Re-Lion.
Das niederländische Unternehmen ist eine von zahlreichen Hightech-Firmen aus ganz Europa, die kürzlich auf der internationalen „Defending Baltics“-Konferenz im litauischen Vilnius zeigten, was alles möglich ist in modernen Kriegszeiten. Re-Lion kreiert 3D-Simulationen fürs Militärtraining, ukrainische Soldaten üben längst damit die Drohnenabwehr. Mit VR-Technologie gehe das besonders effizient, sagt Schaerck. Seit dem Start von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine machen sich auch die Nato-Verbündeten fit. „Zeitenwende“ lautet das Motto. Überall wird Geld locker gemacht, alte Rüstungsriesen wie Rheinmetall werden von der Politik umworben und neue Start-Ups sprießen aus dem Boden. Derweil führt Putins Russland längst einen hybriden Krieg gegen den Westen – der hält mit immer mehr Hightech dagegen.
Arktis als Einfallstor für Putins Russland auf die Nato-Nordflanke
Norwegen und Deutschland etwa bauen gemeinsam hochmoderne U-Boote und treiben das Thema Raumfahrt voran: Beide Länder arbeiten an Satellitenkonstellationen, die im hohen Norden in den Orbit starten und russische Aktivitäten im Nordatlantik beobachten sollen. Tatsächlich wächst die strategische Bedeutung des Nordens. Experten glauben, dass der Weg über die Arktis ein potenzielles Einfallstor für Russland in Richtung Nato-Nordflanke sein kann. Und Grönland gilt wegen seiner Nähe zu polaren Umlaufbahnen als strategisch wichtig in Sachen Satellitenkommunikation. Die wird seit geraumer Zeit immer wieder von russischer Seite gestört – mit unsichtbaren Waffen. „Angesichts der wachsenden russischen Präsenz in der Arktis, einschließlich Aktivitäten wie Schiffsüberwachung und Satellitenstörung, ist Spitzbergen einer erhöhten Verwundbarkeit ausgesetzt“, sagt Laurynas Mačiulis, CEO des litauischen Raumfahrtunternehmens Astrolight, die sich auf abhörsichere Laserkommunikation spezialisiert hat.
Erst kürzlich hat die europäische Weltraumbehörde Esa einen Vertrag mit Astrolight über den Bau einer störungsresistenten Bodenstation in der Arktis geschlossen. Große Mengen an Satellitendaten sollen so in einem Gebiet gesichert werden, in dem Russland immer wieder Funkfrequenzsysteme auch von Schiffen sabotiert. „Im Gegensatz zu Funkwellen sind Laserstrahlen sehr fokussiert, wodurch sie nahezu unmöglich zu stören oder abzufangen sind“, erklärt Mačiulis im Gespräch mit unserer Redaktion.
Und auch um Energie geht es. China etwa versuche, den Schiffsweg durch den hohen Norden zu „öffnen“ und erkunde auch Gas- und Öl-Felder in der Region, sagte der frühere Nato-Funktionär Darius Užkuraitis dem Münchner Merkur von Ippen.Media. Er leitete bis zu seinem Ruhestand das Nato-Zentrum für Energiesicherheit. „Viele Staaten mit Zugang zum hohen Norden haben eigene Interessen“, sagt er – lange aber habe die Wahrnehmung für Gefahren gefehlt. Das habe sich mittlerweile geändert. Die Lage ist aber komplex. Ausgerechnet Nato-Partner USA äußerte zuletzt als irritierend wahrgenommene Begehrlichkeiten gen Grönland.
So oder so: Der Litauer Užkuraitis sieht Norwegen als einen Vorreiter, etwa bei der Unterwassersicherheit. Noch als andere Staaten Angriffe auf Unterwasserkabel oder die Pipeline Nord Stream als „Science Fiction“ abtaten, habe Norwegen die Partner briefen können, wie man beschädigte Kabel untersucht. „Sie haben sehr gute Fähigkeiten für Unterwasser-Inspektion, weil sie eine riesige Öl- und Gas-Industrie besitzen“, sagt Užkuraitis. Nach dem Anschlag auf Nord Stream habe ein norwegischer Marine-Offizier im Ruhestand die Schäden für die NATO inspiziert. Das Feld könnte wichtig bleiben: 2025 hatten Schiffe mehrfach in der Ostsee verlegte Kabel beschädigt.
Unbemannte Fahrzeuge und KI immer wichtiger: Hightech soll Nato gegen Putin stärken
Derweil arbeiten Nato-Staaten daran, ihre militärischen Systeme und Fahrzeuge zumindest in gewissem Umfang untereinander austauschbar zu machen. Heißt: Einsatzkräfte aller Verbündeten sollen in der Lage sein, zum Beispiel Panzer oder Flugzeuge ausländischer Streitkräfte steuern zu können. Beim deutsch-norwegischen U-Boot-Projekt ist das bereits mitgedacht.
Derweil spielen unbemannte Flugzeuge und Fahrzeuge eine immer größere Rolle. Das niederländische Start-Up Intelec ist auf militärische KI-Anwendungen und Automatisierung spezialisiert, und hat dafür eine sogenannte Command-and-Control-Schnittstelle entwickelt, mit der jedes unbemannte System geflogen werden kann.
„Man kann einfach einen Joystick hinzufügen und manuell fliegen“, erklärt Intelec-Chef Maurits Korthals Altes im Gespräch mit dieser Redaktion. Gegründet hat er sein Unternehmen gemeinsam mit zwei Kollegen im September 2021 – wenige Monate vor der russischen Invasion. „Damals schien der Gedanke an Krieg noch surreal, ich hatte da noch nicht damit gerechnet, dass das wirklich passieren könnte“, sagt Korthals Altes. Jetzt unterhält er ein eigenes Büro in der Ukraine – um die dortigen Streitkräfte mit seiner Technik zu unterstützen. (Quellen: Eigene Recherche in Litauen und Norwegen, Expertengespräche)