Die Sprüche auf den Glühweintassen haben mit der Wirklichkeit nichts mehr zu tun

Weihnachten – die Zeit der Ruhe, Besinnlichkeit und des friedlichen Miteinanders. So heißt es zumindest in sämtlichen Gedichten, Liedern und auf jedem zweiten Glühweintassen-Spruch. Wir in der Kaufingerstraße in München – einer der meistbesuchten Shoppingmeilen Europas – haben da allerdings einen leicht anderen Blick.

Touristen im Hochleistungsmodus

Am Wochenende beobachten wir wahre Hardcore-Touristengruppen, die bereits um 8 Uhr früh über den Christkindlmarkt sprinten. Da werden sie am Stachus aus den Bussen gekippt, im Eiltempo durch die Stadt gewirbelt und im Tal wieder eingesammelt – wie ein gut geöltes Fließband der Sightseeing-Industrie. Nebenbei: Wir haben um 8 Uhr noch gar nicht offen.

Dann geht’s weiter nach Nürnberg, und auf dem Rückweg nach Italien gibt’s noch einen „gemütlichen“ Stopp auf dem Salzburger Christkindlmarkt. Gemütlich war’s zwar nicht, aber immerhin gab es Instagram-Fotos aus drei Städten. Effizienz muss sein.

Und natürlich gibt es auch jene Sorte Reisende, die „Europa in einer Woche“ abhaken – vermutlich mit Excel-Liste und Stoppuhr.

Zwischen Glühweinromantik und Display-Dauerbeschau

Natürlich haben wir auch Gäste, die tatsächlich genießen, was unsere Stadt im Advent so besonders macht: Lichter, Düfte, Glockengeläut und dieses herrliche Gefühl, dass die Kreditkarte gerade glüht.

Was allerdings von Jahr zu Jahr zunimmt, ist der Stress. Und die Handyfixiertheit. Die Nasen stecken durchgehend im Display – beim Gehen, beim Bestellen, beim Essen, wahrscheinlich sogar beim Kauen.

In unserem Stüberl haben wir vier Plätze für den Bratapfelgenuss. Früher war hier kaum je ein Plätzchen frei. Die Leute standen zusammen, ließen den Trubel draußen vorbeiziehen und hatten kleine, feine Gespräche. Ein kurzer Moment des Innehaltens – kostbar, selten, wohltuend.

Heute? Bratapfel to go. Denn Gott bewahre, man könnte ja kostbare Sekunden verlieren, die man im Handy-Feed versinken könnte.

Schade eigentlich, wie viel Persönliches da verloren geht. Jeder lebt ein bisschen in seiner ganz eigenen Mini-Welt – mit Fünf-Zoll-Fenster nach draußen.

Vom Tütentragen zum Städtetreiben

Früher kamen die Leute in die Stadt zum Einkaufen und fuhren vollbepackt wieder nach Hause – wie wandelnde Christbäume, nur mit mehr Tüten.

Heute ist die Innenstadt eher ein Ort zum Schlendern, Informieren, Fotos machen. Gekauft wird später – online, gemütlich vom Sofa aus.

Auch das Publikum hat sich verändert: Früher überwiegend Münchner und Besucher aus dem Umland, heute internationales Publikum aus aller Herren Länder. Multikulti unterm Lichterhimmel.

Doch eines bleibt. Egal wie digital, hektisch oder global das Ganze geworden ist – Leute anschauen ist immer noch genauso schön wie damals. Vielleicht sogar noch ein bisschen schöner.

Markus Kaiser, Münchner Konditor, führt seit 1998 den Traditionsbetrieb „Zum Mandelhans“. Sein Team versorgt Wiesn, Christkindlmarkt und viele weitere Feste mit Mandeln, Süßwaren und Softeis. Er ist Teil unseres EXPERTS Circle. Die Inhalte stellen seine persönliche Auffassung auf Basis seiner individuellen Expertise dar.