Kiews Drohnen attackieren erstmals Schattenflottentanker und ein zentrales Ölterminal. Schläge auf Noworossijsk bringen Putins Exportpläne ins Wanken.
Moskau/Noworossijsk – Mit gezielten Drohnenangriffen auf russlandnahen Tankerverkehr und ein Offshore-Terminal vor Noworossijsk eröffnet die Ukraine eine neue Front im Schwarzmeer-Konflikt. Erstmals werden Tanker der russischen Schattenflotte direkt attackiert, gleichzeitig wird ein Drehkreuz getroffen, das einen spürbaren Teil des weltweiten Ölhandels abwickelt. Der Krieg rückt damit von der klassischen Flottenkonfrontation hin zu einem Kampf um Energieinfrastruktur und Exportwege.
Die Entwicklungen im Schwarzen Meer haben unmittelbare Folgen für Russlands Wirtschaft, aber auch für Partnerstaaten wie Kasachstan und für Reedereien, deren Versicherungsrisiken sprunghaft steigen. Zugleich zeigt Kiew, dass es mit vergleichsweise günstigen Seedrohnen empfindliche Schäden an milliardenschweren Anlagen und Schiffen verursachen kann – ein Kräfteverhältnis, das auch Experten des Institute for the Study of War (ISW) strategischen Wendepunkt im Ukraine-Krieg bewerten.
Kiews Drohnen setzen Russlands Ölexporte im Ukraine-Krieg unter Druck
In einer Analyse für die in Washington ansässige Saratoga Foundation beschreibt auch der langjährige Russland-Stratege Glen Howard gemäß der Kyiv Post den jüngsten Drohnenschlag als Beleg für einen grundlegenden Kurswechsel Kiews. Ukrainische Seedrohnen vom Typ „Sea Baby“ hätten nicht nur zwei Schattenflottentanker im Schwarzen Meer getroffen, sondern zeigten, dass die Ukraine nun gezielt „die finanzielle Infrastruktur angreift, welche die russische Kriegsführung trägt“. Laut Howard hat sich die maritime Kampagne damit von Angriffen auf Kriegsschiffe hin zu Russlands ökonomischen Lebensadern verschoben.
Howard erinnert daran, dass ukrainische unbemannte Überwasserdrohnen über Monate hinweg die russische Schwarzmeerflotte in ihren Häfen festgesetzt haben. „Für das vergangene Jahr haben ukrainische unbemannte Wasserfahrzeuge die russische Schwarzmeerflotte in ihrer Bastion Sewastopol eingeschlossen“, sagt er, und trieben viele Schiffe nach Noworossijsk oder in das Asowsche Meer ab. In diesen verengten Räumen, so der Stratege, werde die Flotte „überfüllt, unbeweglich und zunehmend defensiv“.
Noworossijsk als verwundbarer Flaschenhals von Putins Schattenflotte und Exportlogistik
Der russische Schwarzmeerhafen Noworossijsk ist nicht nur Marinestützpunkt, sondern auch zentrales Exportdrehkreuz für Rohöl. Hier münden sowohl russische Ausfuhren als auch die Leitung des Caspian Pipeline Consortium (CPC), das überwiegend kasachisches Öl in den Weltmarkt bringt. Howard spricht laut der Kyiv Post von einem bewussten Versuch Kiews, diesen Knotenpunkt zu „einem Flaschenhals“ zu machen, an dem Russlands Schattenflotte und die Exportlogistik gleichermaßen angreifbar sind.
Besonders ins Visier geriet das CPC-Offshore-Terminal mit seinen drei Single-Point-Moorings, offshore liegende Verladebojen, über die rund ein Prozent des globalen Ölhandels abgewickelt wird. Die Betreibergesellschaft erklärte nach einem Angriff am 29. November in einer Pressemeldung, Single-Point-Mooring „SPM–2“ habe „signifikante Schäden“ erlitten, die einen weiteren Betrieb ausschließen. Notfallsysteme hätten die Pipeline automatisch abgeriegelt, ein Ölteppich sei verhindert worden.
Maritime Analysten des global einflussreichen Brokerhauses BRS, ein internationales Schiffsmakler- und Analyseunternehmen mit Hauptsitz in Paris, bezeichneten den Angriff laut des maritimen Fachportals Splash247 als „den bedeutendsten Vorfall gegen Handelsschiffe im Schwarzen Meer seit Beginn des Konflikts“.
Ukraine-Krieg: Erste direkte Schläge auf Russlands Schattenflotte
Parallel zu den Treffern am Terminal griffen ukrainische Seedrohnen laut Sicherheitskreisen die Tanker „Kairos“ und „Virat“ an, die als Teil von Russlands Schattenflotte gelten. Beide Schiffe waren nach Erkenntnissen des US-Thinktanks Institute for the Study of War leer und auf dem Weg nach Noworossijsk, um Öl zu laden. Geolokalisierte Aufnahmen zeigen die brennende „Kairos“ nordöstlich von Istanbul, während die Besatzung beider Tanker evakuiert werden musste.
Howard bezeichnet es in der Kyiv Post als logischen Schritt, dass Kiew bewusst auf unbeladene Schiffe zielt, um „eine Umweltkatastrophe zu vermeiden und gleichzeitig die Rentabilität der Schattenflotte zu untergraben“. Eine kleine, relativ günstige Drohne könne so ein vielfach teureres Schiff zumindest zeitweise außer Gefecht setzen. Die ukrainische Botschaftslogik ist klar: Wer sich an sanktionierten oder halbtransparenten Geschäften mit russischem Öl beteiligt, soll künftig ein reales Risiko einkalkulieren müssen.
CPC-Pipeline & Noworossijsk: Öl-Drehkreuz am Schwarzen Meer
Länge: 1.510 km (Kasachstan → Noworossijsk)
Kapazität: 1,4 Mio. Barrel/Tag (ca. 1% Weltöl); 2024: 63 Mio. Tonnen
Eigentümer: Kasachstan (50%), Russland (Transneft 24%), Chevron etc.
Noworossijsk-Terminal: 3 Offshore-SPM-Bojen; 70–80% russ. Seetransport
Nov. 2025: Export –1 Mio. Tonnen (Drohnen/Stürme); SPM-2 beschädigt
Alternative: Baku-Tiflis-Ceyhan-Pipeline (Aserbaidschan)
Angriffe im Schwarzen Meer: Türkei und Kasachstan warnen – Moskau spricht von „Terror“
Die Türkei, in deren ausschließlicher Wirtschaftszone sich die Angriffe ereigneten, reagierte mit scharfen Worten. Präsident Recep Tayyip Erdogan erklärte laut Splash247, der Krieg zwischen Russland und der Ukraine habe „offensichtlich begonnen, die Sicherheit der Schifffahrt im Schwarzen Meer zu bedrohen“, und warnte, die gezielte Anvisierung von Schiffen in der türkischen Wirtschaftszone sei „eine besorgniserregende Eskalation“. Türkische Rettungskräfte mussten bei den Tankerbränden mit Schleppern wie „Kurtarma–12“ und „Nene Hatun“ eingreifen.
Kasachstan, dessen Öl zu einem großen Teil über die CPC-Route exportiert wird, stufte den Angriff auf das Terminal als Schlag gegen „zivile Infrastruktur“ und Bestandteil globaler Energiesicherheit ein. Das Energieministerium in Astana erklärte, der Vorfall sei „schädlich für die bilateralen Beziehungen zur Ukraine“, betonte jedoch zugleich, man habe alternative Exportwege aktiviert, um die Fördermengen stabil zu halten. Russlands Machtapparat selbst sprach laut der russischen Nachrichtenagentur Tass von einem „Terrorakt“, ohne bislang eine sichtbare militärische Antwort auf See durchzusetzen.
„Wolfsrudel“ im Schwarzen Meer: Neue Taktik bringt Putins Schwarzmeerflotte in Bedrängnis
Nach Einschätzung Howards entwickeln sich die ukrainischen Seedrohnenverbände zu hochflexiblen „Wolfsrudeln“, die meist in Paaren oder kleinen Gruppen operieren. „Dies ist der Beginn einer dauerhaften Anstrengung, Novorossiysk als Ölexporthafen unbrauchbar zu machen“, sagt er, und sprach mit Blick auf die Angriffe auf Offshore-Verladeanlagen von einem „Novum in der Seekriegsführung“. Häufig würden Ruderanlagen gezielt anvisiert, um Tanker manövrierunfähig zu machen und zurück in den Hafen zu zwingen.
Der strategische Hebel liegt im Kostenverhältnis: Nach Rechnungen von Militärexperten, berichtet Naval News, kann eine Seedrohne im Wert von vielleicht zweihunderttausend Dollar einen Tanker oder ein Kriegsschiff im zweistelligen Millionenbereich lahmlegen. Naval-Analyst Frederik Van Lokeren verweist darauf, dass die russische Schwarzmeerflotte bereits zwischen 2022 und 2024 erhebliche Verluste erlitt – vom Kreuzer „Moskwa“ bis zu modernen Korvetten – und dadurch weitgehend in den Hafen von Noworossijsk gedrängt wurde.
Dilemma für Russlands Marine: Eskortieren oder im Hafen bleiben
Howard formuliert das Problem für den Kreml als strategische Zwickmühle. „Moskau hat zwei Möglichkeiten“, erklärt er wiederum in der Kyiv Post: „entweder tatenlos zuzusehen, wie die Ukraine ihr Schattenflotten-Netzwerk angreift, oder aus den Schutzhäfen herauszukommen und Tanker zu eskortieren – und damit die Kriegsschiffe dem Risiko von Drohnen-Angriffen auszusetzen.“ Je mehr Ressourcen die Marine zum Schutz von Tankern auf See binde, desto verwundbarer würden andere Ziele.
Gleichzeitig verweisen Analysten des Institute for the Study of War darauf, dass Russland die eigene Lage propagandistisch zu kaschieren versucht. Während Militärblogger über angespannte Fronten und hohe Verluste berichten, zeichnen staatliche Medien ein Bild kurz vor dem angeblichen ukrainischen Zusammenbruch. In diesem Spannungsfeld versucht Kiew, mit Drohnenschlägen auf Öl- und Hafeninfrastruktur genau jene Ressourcen zu treffen, die Moskau für langfristige Offensiven benötigt.
Drohnenkrieg gegen Russlands Ölsektor und Wirtschaft: Rjasan und Co. im Visier
Parallel zur Offensive im Schwarzen Meer intensiviert die Ukraine ihre Langstreckenangriffe auf russische Raffinerien und Energieanlagen. Die ukrainische Armeeführung bestätigte zuletzt einen „erfolgreichen Treffer“ gegen die große Rjasan-Raffinerie südöstlich von Moskau – bereits der neunte Angriff auf diesen Standort im laufenden Jahr, schreibt The Kyiv Independent. Videos von Drohnenschlägen zeigen Brände und Explosionen, während russische Behörden nur von „schnell gelöschten“ Bränden berichten.
Energieexpertinnen wie Tatjana Mitrowa schätzen, dass die wiederholten Angriffe inzwischen rund zehn Prozent der russischen Raffineriekapazität beeinträchtigt haben, wie bei Radio Free Europe/Radio Liberty heißt. Infolge dessen kam es zu Benzinknappheit, Exportstopps für Kraftstoffe und einer Verschiebung hin zu mehr Rohölausfuhr – ein Geschäft, das für Moskau weniger einbringt als der Verkauf veredelter Produkte. Wolodymyr Selenskyj selbst bezeichnete Schläge gegen Raffinerien als „die wirksamsten Sanktionen – jene, die am schnellsten wirken“.
Globale Folgen des Ukraine-Kriegs: Höhere Risiken, weniger Spielraum für den Kreml
Die mittelfristigen Auswirkungen der Angriffe auf Noworossijsk, die CPC-Anlagen und die Schattenflotte dürften über den Ukraine-Krieg hinausreichen. Broker und Branchenbeobachter rechnen mit anhaltend höheren Versicherungsprämien für Fahrten im Schwarzen Meer und möglichen Umlenkungen von Lieferketten hin zu US- und nordafrikanischen Ölsorten, konstatiert auch The Maritime Executive. Schon jetzt meldet Reuters, dass die Exportmengen aus Noworossijsk im November um rund eine Million Tonnen hinter dem Plan zurückgeblieben seien.
Für Russland bedeutet dies, dass eine zentrale Einnahmequelle unter militärischen und politischen Druck gerät – in einer Phase, in der Moskau Steuern erhöht und den Binnenmarkt stärker belastet, um die Kriegskosten zu stemmen. Howard zieht daher ein klares Zwischenfazit: „Die Ukraine, ein Land ohne konventionelle Marine, hat das Schwarze Meer in eine Zone verwandelt, in der der Kreml nicht mehr mit Straflosigkeit agieren kann“, sagt er der Kyiv Post.
Die Regeln maritimer Machtprojektion werden neu geschrieben – und die Rollen von Jäger und Beute haben sich sichtbar verschoben. (Quellen: Kyiv Post, Saratoga Foundation, Institute for the Study of War, Reuters, Naval News, Splash247, The Maritime Executive, The Kyiv Independent, Radio Free Europe/Radio Liberty, CPC-Pressemitteilung, Energieministerium Kasachstan, Tass) (chnnn)