Geheimdienst-Kontrolleur warnt vor neuer Bedrohung: „Deutsche sind viel zu schwach auf der Brust“

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Deutsche Nachrichtendienste sollen leistungsfähiger werden, fordert der Chef des Kontrollgremiums. Derweil warnt er vor einem Risiko im Bundestag selbst.

Berlin – Ein unscheinbarer, abhörsicherer Raum, irgendwo im Keller des Bundestages: Wenn Marc Henrichmann seine Wächter-Kolleginnen und -Kollegen dort trifft, darf nichts nach außen dringen. Der CDU-Politiker ist seit Juli Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums. Der Ausschuss überwacht die deutschen Nachrichtendienste und soll dafür sorgen, dass sie sich an die Regeln halten.

Marc Henrichmann in seinem Berliner Büro.
Seit Juni 2025 ist Marc Henrichmann (CDU) Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums. Aktuell hat der Überwachungsausschuss drei Mitglieder von der Union, zwei von der SPD und ein Mitglied von den Grünen. © Peter Sieben

Vor allem der Bundesnachrichtendienst soll sich künftig wandeln und operativer werden, das hatte der neue BND-Chef Martin Jäger schon bei seinem Dienstantritt betont. Marc Henrichmann, der Einblicke in die Arbeit der Agenten Einblick hat wie nur wenige Menschen in Deutschland, spricht im Interview über hybride Gefahren aus Putins Russland – und über die Frage, ob der BND eine deutsche CIA werden soll.

Herr Henrichmann, müssen Sie aktuell Informationen hüten, die Sie manchmal nachts schlecht schlafen lassen?

Jein. Als politische Kontrolleure sind wir nicht unmittelbar in operative Maßnahmen eingebunden. Und wir wollen unsere Nachrichtendienste leistungsfähiger machen, unsere Arbeit ist sehr nach vorne gerichtet. Deshalb kann ich sagen, dass ich nachts ziemlich gut schlafen kann. Aber ich sehe Handlungsbedarf. Zu einigen Phänomenen mache ich mir schon ernste Gedanken.

Zum Beispiel? 

Ich formuliere es mal so: Beim Thema Awareness sind wir Deutschen immer noch viel zu schwach auf der Brust. Das Verständnis davon, wie ernst die hybride Bedrohung durch Putins Russland ist, ist noch nicht groß genug. 

Putins hybride Bedrohung gegen Nato-Staaten: Nachrichtendienste sollen leistungsfähiger werden

Die Bundesregierung könnte sich ein Beispiel an Skandinavien oder den baltischen Staaten nehmen und für mehr Aufklärung sorgen. Die Schweden etwa verteilen Infobroschüren an jeden einzelnen Haushalt.  

Tatsächlich sind die weiter als wir. Ich hab die Schweden-Broschüre hier liegen. Da steht drauf: Verhalten im Kriegs- und Krisenfall. Beim Infoblatt vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz steht was von Gasexplosionen. Tatsächlich müssen wir da noch klarer in der Sprache werden. Ex-Innenminister Thomas de Maizière ist seinerzeit für sein Zivilschutzkonzept von manchen ausgelacht worden. Rückblickend wird klar, wie weise er eigentlich war. 

Im Baltikum gibt es Kurse für Bürgerinnen und Bürger für richtiges Verhalten im Katastrophenfall oder bei einem kriegerischen Angriff. Braucht es das auch hierzulande? 

Ja, über solche Angebote müssen wir nachdenken und offen diskutieren, da ist das Bundesamt für Bevölkerungsschutz gefordert. Aber das ist erst der nächste Schritt. Erst einmal müssen wir als Bundesregierung die Kommunikation so abstimmen, dass die Leute nicht das Gefühl haben, für dumm verkauft zu werden, sondern hinreichend informiert zu sein, was wirklich los ist. 

Der neue BND-Chef Martin Jäger hat angekündigt, den Nachrichtendienst operativer gestalten zu wollen. Bisher dient der BND vor allem der Informationsbeschaffung und Auswertung, weniger dem aktiven Eingriff. Bekommt Deutschland künftig eine Art CIA?

Im Koalitionsvertrag ist vereinbart, die Dienste ans Niveau vergleichbarer europäischer Partnerdienste anzugleichen. Ohne Hinweise aus den USA etwa wären wir oftmals wirklich blank. Unsere Nachrichtendienste müssen mehr in die Lage versetzt werden, auch ohne die US-Amerikaner im Zweifel leistungsfähig zu sein. Als Donald Trump ein paar Tage lang Geheimdienst-Infos zum Ukrainekrieg gestrichen hat, war’s plötzlich ganz schön duster. Deshalb müssen wir vorsorgen, um verteidigungsfähig zu sein. Die US-amerikanische Ebene erreichen wir alleine eh nie. Aber wir müssen über Synergien nachdenken, am Beispiel der Five Eyes.  

Marc Henrichmann im Gespräch mit Parlamentskorrespondent Peter Sieben.
Marc Henrichmann (li.) im Gespräch mit Parlamentskorrespondent Peter Sieben. © Ippen.Media

Sie meinen das Geheimdienstbündnis, zu dem unter anderem Großbritannien, Kanada und die USA gehören? 

Genau, wir müssen in Europa ähnliche Allianzen schmieden. Wir Deutschen sind im Bereich Auswertung sehr stark. Die Nachbarn sind in anderen Bereichen gut. Das sollten wir nutzen. Und wir müssen angesichts der Zeitenwende Debatten von gestern hinter uns lassen.

Was meinen Sie? 

Es gibt historisch gute Gründe für das Trennungsprinzip. Aber wir haben jetzt gute historische Gründe, über mehr Zusammenarbeit zwischen Sicherheitsbehörden wie der Polizei mit dem BND oder der Bundeswehr nachzudenken. Aktuell gibt es praktisch keinen Datenaustausch. Das sollten wir ändern.

Datenschützer würden jetzt Bedenken anmelden.

Ich glaube, wenn wir offen debattieren, können wir viele Vorbehalte abbauen. Und hätten am Ende dafür großen Nutzen. Hypothetisches Beispiel: Durch engere Vernetzung und mehr Operativität wäre vielleicht nicht nur die Aufklärung einer feindlichen Drohnenfabrik möglich. Sondern auch der Eingriff in Konstruktionspläne. Wenn dann ein paar Dutzend Drohnen so konstruiert würden, dass sie nur noch im Kreis fliegen, könnte man viele Leben retten. Eine CIA könnten wir in Deutschland aber schon allein wegen unserer Kontrollmechanismen nie haben. 

Wobei manche das Parlamentarische Kontrollgremium für einen „zahnlosen Tiger“ halten. Was sagen Sie dazu? 

Das Gremium ist ein scharfes Schwert. Richtig ist: Falls beim BND was schiefliefe, könnten wir gegebenenfalls nicht über konkrete Vorfälle sprechen. Aber in der zweiten, dritten Ebene würde es Gegenstand von Beratungen. Und wir können jederzeit Sachverständige bestellen und Kontrollbesuche machen, um uns Vorgänge anzuschauen. 

Aber nur nach Ankündigung.

Ich bin selber schon vor Ort gewesen, und mir hat niemand die Tür vor der Nase zugeschlagen. Das läuft kooperativ, und die Kontrollmechanismen funktionieren.

Die oft genutzte Formulierung „hybride Bedrohung“ klingt diffus. Wie würden Sie einem Bürger erklären, inwieweit er persönlich betroffen ist?

Es ist in den meisten Fällen keine unmittelbare Bedrohung für Leib und Leben. Aber durch Sabotage und Kampagnen vermittelt ein Feind ständig das Gefühl, dass der Staat nicht mehr funktioniert. Dieses Unterlegenheitsgefühl macht was mit den Menschen, das ist demokratiegefährdend. Befeuert wird das von Parteien wie der AfD, die, wie sie selbst sagt, offene Kanäle nach Russland hat.

AfD und die Nachrichtendienste: „Dann können wir Putin auch direkt anrufen“

Wie gefährlich ist das?

Es ist keine Partnerschaft auf Augenhöhe. Vor allem russische Kräfte nutzen die AfD als Instrument aus, um – so mein Eindruck – billig an Informationen zu kommen. Denen ist egal, mit wem sie zusammenarbeiten, und bei der AfD haben sie vielleicht willfährige Büttel gefunden, die in ihrem Auftrag unterwegs sind. Ich finde es aber auch spannend, wie inkonsistent die AfDler sind. Erst waren die USA der Feind und Russland über jeden Zweifel erhaben. Jetzt spaltet sich das: Alice Weidel hofiert Amerika und Chrupalla Russland. 

Im Bundestag haben Sie mal gesagt, die AfD lasse sich „vom Kreml am Halsband führen“

Nach dieser Rede haben wir Zuschriften von einigermaßen wirren AfD-Köpfen bekommen, die uns mitteilen wollten, dass Weidel vom Verfassungsschutz bezahlt würde und als Schläferin oder Spionin agiere.

Das klingt ziemlich extrem.

Ja, und die Partei radikalisiert sich immer mehr. Man hätte die AfD nicht von Anfang an in die Nazi-Ecke stellen sollen, das war ein Fehler. Jetzt ist sie völlig abgedriftet. Das konnte man auch in Gießen bei der Gründung der neuen AfD-Jugend sehen. Björn Höcke hatte zeitweise gar den Hitlerjugendleitsatz „Jugend muss durch Jugend geführt werden!“ gepostet. Das zeigt, wo die AfD inzwischen angekommen ist. 

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Wie stehen Sie zu einem AfD-Verbot?

Sobald ein Verbotsverfahren eine gute Aussicht auf Erfolg hat, bin ich sofort dabei. Aber das Schlimmste, das passieren kann, ist ein scheiterndes AfD-Verbotsverfahren. Denn dann erzählt die Partei die Geschichte: Guckt mal, wir sind lupenreine Demokraten. Die Behörden werden sich aber nun auch das Personal der neuen AfD-Jugend anschauen, das teilweise deckungsgleich mit der Jungen Alternative ist. Es kommen also neue Bausteine für ein Verbotsverfahren zusammen.

Im Kontrollgremium für die Nachrichtendienste sitzen weder Vertreter der AfD noch der Linken. Beide Fraktionen sind zahlenmäßig breit im Bundestag vertreten. Ist das nicht unfair?

Die Mitglieder im Gremium müssen mit absoluter Mehrheit gewählt sein. Heißt, Kandidaten sollten für das Parlament über jeden Zweifel erhaben sein. In anderen Bereichen gibt es zum Beispiel mit Dietmar Bartsch im Vertrauensgremium oder Bodo Ramelow im Präsidium Leute, die selbstverständlich einfach gewählt werden. Die Kandidatur von Heidi Reichinnek indes haben selbst Grüne für eine Spaßkandidatur gehalten. Bei der AfD ist die Sache aber nochmal ganz anders, und da bin ich eisern. Wenn wir einen von denen im Gremium haben, können wir Putin auch direkt anrufen und ihm erzählen, was unsere Nachrichtendienste wissen.