Auswanderin Svenja zieht Fazit: Was ich an Deutschland vermisse und was nicht

Was hat mich dazu gebracht, nach Portugal auszuwandern? Ich bin über Umwege vor fünf Jahren in Portugal gelandet - und seit dem nicht mehr gegangen. Ein Jahr zuvor hatte ich mich bereits selbständig gemacht, um von überall auf der Welt arbeiten zu können. Hauptsächlich da, wo es wärmer, schöner und stressfreier ist als in Deutschland. 

Außerdem fühlte ich mich in dem Arbeitstrott im Architekturbüro eingeengt und gleichzeitig nicht zu meinem vollen Potenzial ausgelastet. Irgendwas fehlte, also bin ich auf die Suche gegangen. Und wie man so schön sagt „man nimmt sich immer selber mit“, also hab ich mich und meine Gedanken bis ans andere Ende der Welt genommen - über Bali nach Australien - nur um dort festzustellen, dass ich weiterhin rastlos war. 

Als Corona ausbrach, bin ich zurück nach Europa gekommen und habe mir dort Portugal als Land zum Überwintern ausgesucht, ohne jemals vorher dort gewesen zu sein. Und es ist etwas passiert: es hat Klick gemacht! 

Der erste Tag: Ich wurde an die Hand genommen und bis zur Tür geführt! 

Vom ersten Moment an, wo mir eine liebe Portugiesin den Weg vom Flughafen in Lissabon nach Alfama erklärt hat, hab ich mich wohlgefühlt. Mit meinem Backpack bin ich durch die kleinen Gassen gelaufen und hab nach der Hausnummer meines Airbnb gesucht, und auch hier sind direkt zwei ältere Männer auf mich zugekommen und haben ihre Hilfe angeboten. 

Damals konnte ich noch kein Portugiesisch, aber das machte nichts. Ich wurde an die Hand genommen und bis zur Tür geführt! 

Was alles getoppt hat: Meine neuen Freunde

Das waren richtig tolle erste Eindrücke von den Einheimischen und als ich dann später am Tag zum Cais de Sodré gelaufen bin, die Septembersonne auf dem Tejo glitzerte, dort Straßenmusiker gespielt haben und ich ein Eis geschleckt habe, war es schon zur Hälfte um mich geschehen. Was alles getoppt hat und warum ich am Ende auch geblieben bin, waren meine neuen Freunde und vor allem wie einfach es war, diese zu finden! 

Ich habe damals in einer Facebook-Gruppe kostenlose Tanzstunden im Park angeboten - habe mich also selbst bemüht, mein soziales Netzwerk aufzubauen - und so ist es passiert. Lissabon ist eine sehr internationale Stadt und es gibt Leute aus aller Welt hier, viele, die aus ähnlichen Gründen ausgewandert sind, wie ich. 

Innerhalb weniger Wochen hatte ich mir einen Alltag aufgebaut und als meine 90 Tage Aufenthalt vorbei waren, fiel mir die Entscheidung nicht schwer: Ich bleibe! Hier fühle ich mich zugehörig, sicher und angekommen. Und die Option zurück nach Deutschland zu gehen hat mich total kaltgelassen.

Svenja Stapper ist 2021 nach Portugal ausgewandert und unterstützt heute vor allem Solo-Selbstständige dabei, den portugiesischen Bürokratie-Dschungel zu meistern. In Lissabon betreibt sie einen Podcast zum Leben vor Ort und hat bereits über 100 Menschen sicher durch Behördengänge und den Start in ihr neues Leben begleitet. Sie ist Teil unseres EXPERTS Circle. Die Inhalte stellen ihre persönliche Auffassung auf Basis ihrer individuellen Expertise dar.

Dezember in Portugal ich

Wie hat sich mein Lebensstil seit der Auswanderung verändert? Eine Sache, die für mich den größten Unterschied macht, ist das (fast durchgehend) gute Wetter, denn das ermöglicht es mir, ganz viel Zeit draußen an der frischen Luft zu verbringen. Anstelle der grauen Wolkendecke (oder Smog in Bali und extremer Hitze in Australien), habe ich hier blauen, wolkenlosen Himmel. Das macht so viel mit meinem Gemüt, ich bin viel besser drauf, motivierter, positiver. 

Ich stehe gerne jeden Morgen auf, vor allem wenn ich sogar im November noch meinen Kaffee morgens auf dem Balkon in der Sonne trinken kann. Auch zur Mittagszeit verlasse ich gerne das Haus, nehme meinen Salat mit und laufe zum Strand oder schnappe mir den Hund meiner Mitbewohnerin und gehe in den Park um die Ecke. 

Mittlerweile wohne ich etwas außerhalb von Lissabon, bei Cascais, und bin aber immer noch in 30 Minuten mit dem Zug in der Hauptstadt. Dort bin ich auch oft in der Woche, treffe Freunde (immer noch dieselben wie vor fünf Jahren) oder gehe zum Yoga. 

Hier verlaufen E-Mails ins Leere oder werden gar nicht erst beantwortet

Es gibt so viel Angebot hier, dass man eigentlich immer etwas Neues testen oder lernen kann. Und kostenlos hat man die Möglichkeit, den Tag am Strand zu verbringen oder bei einem Waldspaziergang in Sintra - dafür habe ich früher Urlaubstage genommen und Flugkosten gehabt. Heute ist das mein Alltag und ich bin jeden Tag dankbar.

Geburtstag in Portugal
Mein 31. Geburtstag ich

Welche Unterschiede haben mich im Alltag am meisten überrascht? Gut, dass ich vorher schon in anderen Ländern war, sonst hätte mich das in Portugal gewundert: Ich denke meistens in Lösungen und überlege, wie ich etwas schneller erledigen kann, besser machen kann oder effizient verbinden kann. So denkt nicht die ganze Welt und das durfte ich wirklich lernen, vor allem, als es in Portugal um meine Anmeldungen ging. 

Da verlaufen sich E-Mails ins Leere oder werden gar nicht erst beantwortet, man wird von A nach B nach C geschickt, weil man die Antwort nicht weiß und einen lieber weiterschickt, als das Problem lösen zu wollen.

Lissabon von miradouro
Miradouro da Graça ich

Es gibt natürlich Ausnahmen - auch ich hatte ein paar Wunder - aber ich kann auf jeden Fall nur dazu raten, ganz viel Geduld und vor allem auch Akzeptanz mitzubringen. Wir sind hier nicht in Deutschland und ich kann in keinster Weise einen Standard von einem anderen Land in Portugal verlangen. 

Ich habe gelernt, es mit Humor zu nehmen, habe meine eigenen Strategien über die Jahre entwickelt, wie ich zu einer Antwort komme. Eigentlich ist es ja auch genau das, was viele in Deutschland so stresst: dass es immer nur schneller, besser, weiter gehen muss. Hier ist es anders und das ist gut so. 

Beim Essen bin ich doch sehr Deutsch geblieben 

Ein weiterer Unterschied, den ich auch nach fünf Jahren noch nicht übernommen habe, ist das späte zu Abendessen. Also da bin ich doch sehr Deutsch geblieben und reserviere immer noch um 19 Uhr einen Tisch. Und wenn ich dann gehe um 21 Uhr, wird das Restaurant erst richtig voll! 

Dafür treffe ich die Portugiesen dann mittags, wenn man sich ein menu do dia in einer tasca oder pastelaria bestellt, meistens ist das eine Suppe, Hauptgang und ein Getränk, zu einem erschwinglichen Preis. 

Was auch etwas ist, was ich so nicht aus Deutschland kenne, zumindest nicht in dem Ausmaß, sind Kindergeburtstage in öffentlichen Parks - fullon mit Buffettisch, Luftballons und Deko in den Bäumen. Mindestens einmal die Woche steigt bei uns im Park eine Feier, egal welcher Wochentag und viele Eltern sind dabei - nicht nur zwei Aufseher für die Kinder zum Beispiel.

Sonnenuntergang über Cascais
Spaziergang am Abend ich

Vermisse ich bestimmte Dinge aus meiner Heimat? Da gibt es tatsächlich nur eine Sache, und die vermisse ich auch erst so richtig, wenn ich weiß, dass mein nächster Besuch in der Heimat ansteht: deutsches Essen! 

Was ich nicht vermisse? Die ungefilterten Beschwerden

Ob Brezel, Körnerbrot oder eine deftige Erbsensuppe ist egal. Da kommen Heimatgefühle auf - und auch ein bisschen Stolz, dass unsere deutsche Küche doch auch was kann. Aber dann dauert es auch nicht lange, bis ich den blauen Himmel und den Blick auf den Atlantik vermissen und wieder zurückmöchte. 

Was ich auf jeden Fall nicht vermisse, sind die ungefilterten Beschwerden, die ich links und rechts aufschnappe, weil man ja auf seiner eigenen Sprache auch schlecht weghören kann. Das heißt nicht, dass sich in Portugal nicht über Gott und die Welt beschwert wird, aber da kann ich bisher noch Durchzug stellen. 

Meine Familie sehe ich mindestens zweimal im Jahr, einmal komme ich heim und einmal bekomme ich Besuch, es freut mich auch sehr, ihnen dann meinen Alltag hier zu zeigen. Meine Mama hat sogar schon ihren Geburtstag in Portugal gefeiert, was besonders für sie war. 

Heutzutage ist es ja sehr einfach, in gutem Kontakt mit Freunden und Familie zu bleiben und durch meine Instagram-Stories weiß sogar jeder, was ich täglich mache. Andersrum lasse ich mich dann updaten, wenn ich in der Heimat bin, fahre von Stadt zu Stadt und besuche meine Freundinnen. Von daher, ich vermisse nichts so richtig aus Deutschland.