Die Teilzeitquote steigt, die Vollzeit bröckelt, das Arbeitsvolumen stagniert: Viele deuten das als Faulheitsdebatte oder Lifestyle-Trend. Völlig falsch, sagt Enzo Weber im Interview mit FOCUS online. Der wahre Grund liegt ganz woanders und könnte Deutschland teuer zu stehen kommen.
FOCUS online: Steigt die Teilzeitquote, weil Vollzeitstellen wegbrechen? Wie groß ist das Risiko, dass Deutschland dadurch an Qualifikationen und Produktivität in einer Phase der wirtschaftlichen Transformation einbüßt?
Enzo Weber: In diesem Jahr hat die Teilzeitquote 40 Prozent erreicht, über die Jahrzehnte ist sie stark gestiegen. Tatsächlich sehen wir, dass die ganz hohen Arbeitszeiten in den vergangenen Jahren weniger gewünscht sind. Aber sehr viel Teilzeit ist auch einfach zusätzlich: Die Erwerbsbeteiligung der Frauen ist enorm gestiegen, heute arbeiten so viele Studierende wie noch nie und Ältere bleiben länger im Beruf, reduzieren aber häufig irgendwann. Lassen Sie es mich so zusammenfassen: Wir müssen mehr arbeiten, aber an den richtigen Stellen.
Der Wirtschaftswissenschaftler Enzo Weber ist Prognoseleiter am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), das zur Bundesagentur für Arbeit gehört.
Sie betonen, dass das Zuverdienstmodell, bei dem ein Partner voll verdient und der andere nur teilweise, überwunden werden muss. Warum gelingt es Deutschland nicht, die strukturellen Anreize zu ändern – etwa beim Ehegattensplitting, Minijobs oder in der Betreuung?
Weber: Viele Menschen haben sich auf solche steuerlichen Begünstigungen eingestellt. Daran etwas zu ändern, würde in diesen Konstellationen also unmittelbar erst einmal zu Nachteilen führen. Wie man damit umgehen kann: für jene, die steuerlich bisher profitierten, eine längere Übergangsperiode vorsehen. Und mit positiven Anreizen vorgehen.
Welche wären das?
Weber: Die Koalition möchte Prämien steuerlich fördern, die Arbeitgeber für Arbeitszeitaufstockung zahlen. Diese Förderung sollte besonders stark ausfallen, wenn die Minijobgrenze überschritten wird. Zudem muss man neben Anreizen auf Unterstützung setzen. Der Ausbau der Kinderbetreuung hat schon viel bewirkt, und auch für die gesellschaftliche Sicht auf das Zuverdienstmodell hat man hier einen Hebel in der Hand.
„Politik sollten Menschen nicht sagen, wie viel sie arbeiten sollen.“
Hält Deutschland vielleicht insgesamt zu sehr am Vollzeit-Ideal fest? Was müsste passieren, damit die Arbeitsqualität wichtiger wird als die Anzahl der geleisteten Arbeitsstunden?
Weber: Alles, was nicht Vollzeit ist, ist Teilzeit. Das wird bei einer Teilzeitquote von über 40 Prozent in der Tat fragwürdig. Trotzdem ist ein Fokus auf Arbeitsstunden nicht falsch, denn es gibt viele ungehobene Potenziale. Aber die Aufgabe von Politik ist es nicht, den Menschen Ansagen zu machen, wie viel sie arbeiten sollen. Sondern, Unterstützung bereitzustellen, gute Anreize zu setzen und Rahmenbedingungen zu gestalten, damit Menschen dann im Lebensverlauf wirklich frei ihre Wahl treffen können.
Wenn Nebenjobs und Teilzeit steigen, aber das Arbeitsvolumen stagniert: Ist das ein Indiz für eine soziale Schieflage oder ein Zeichen einer stillen Neuverteilung von Arbeit, die die Politik bislang ignoriert?
Weber: Wenn Menschen unter guten Bedingungen ihre Arbeitszeit selbst wählen, dann ist das ein Fortschritt. Die aktuelle Stagnation kommt aber nicht von einer Flucht aus der Vollzeit, sondern von einer Krise der Vollzeit: Die Industrie verliert im Moment mehr als 10.000 Jobs im Monat. Dieser Krise mit einer klaren Erneuerungspolitik entgegenzuwirken, ist eine zentrale Aufgabe. Und die Arbeitskräfte sind trotzdem knapp, die demographische Schrumpfung geht erst los. Deshalb müssen wir in der Fachkräftesicherung alle Register ziehen.
Minijobs bedeuten kaum Weiterentwicklung
Forschende verweisen darauf, dass Nebenjobs zunehmend bewusst für Karrierewechsel, Portfolio-Jobs oder Sinnsuche genutzt werden. Wird dieses “Multi-Jobbing” ein dauerhafter Trend? Und wie sollte die Arbeitsmarktpolitik darauf reagieren?
Weber: Wenn Nebenjobs aus Interesse oder Perspektive aufgenommen werden, dann sehe ich keinen politischen Handlungsbedarf. Der Hauptgrund für Nebenjobs ist aber, dass Minijobs steuer- und abgabenfrei sind. Eine solche Begünstigung ist schwer nachvollziehbar, wenn man sieht, dass es in diesen Minijobs weniger berufliche Entwicklung und kaum soziale Absicherung gibt. Wir müssen auf bessere Integration im Hauptjob setzen. Das bedeutet zum Beispiel auch, dass die starke Steuerprogression bei niedrigen Einkommen flacher werden sollte.