In den USA und Teilen Europas gewinnt die Gegenbewegung gegen die Energiewende an Schwung. In New Jersey haben Behörden jüngst ihre Unterstützung für ein großes Offshore-Windprojekt zurückgezogen – angeblich nicht wirtschaftlich. In Deutschland wird über ein späteres Ende des Verbrennungsmotors nachgedacht. Die Rechtfertigung klingt vertraut: Energiepreise und Inflation seien zu hoch, die Transformation überfordere Haushalte und Industrie. Doch dieses Argument trägt nicht. Es beruht auf einer falschen Diagnose – und führt politisch wie wirtschaftlich in die Irre. Die hohen Kosten, die Industriebelastungen und die Preissteigerungen der vergangenen Jahre sind nicht die Folge der Energiewende. Sie sind das Ergebnis unserer anhaltenden Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen – und der geopolitischen Schocks, die damit unweigerlich verbunden sind.
Die wahren Preistreiber heißen Gas, Öl und Kohle
Der russische Angriff auf die Ukraine löste einen historischen Preissprung bei Gas, Kohle und Öl aus. Die Inflation wanderte von den Energie- in die Strommärkte, in Lieferketten, den Transportsektor und die Industrie – und wirkt bis heute nach. Es war nicht Wind- oder Solarenergie, die diese Krise ausgelöst hat. Es waren fossile Brennstoffe.
Trotzdem wird die Energiewende politisch oft als Hauptverantwortliche hingestellt. Das hat Folgen: Klimaziele werden verwässert, Projekte verschoben und Investitionen in moderne Technologien ausgebremst. Dabei gehen gerade damit jene Instrumente verloren, die unsere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen langfristig verringern würden.
Maßnahmen wie das Abschwächen von Effizienzstandards oder das Stoppen von Wind- und Solarprojekten mögen kurzfristig populär erscheinen. Doch sie lösen kein einziges der strukturellen Probleme. Im Gegenteil: Sie verlängern die Verwundbarkeit unserer Volkswirtschaften und unterminieren die Wettbewerbsfähigkeit in einer globalen Ökonomie, die sich rasant um moderne und zunehmend günstigere Clean-Tech-Technologien organisiert. Nicht zufällig erlebt selbst Pakistan derzeit einen massiven Ausbau erneuerbarer Energien – allein aus ökonomischer Logik.
Teure Illusionen: Warum Rückschritte uns langfristig mehr kosten
Viele Debatten ignorieren, wie Energiesysteme funktionieren. Noch immer decken fossile Brennstoffe den Großteil unserer Energieversorgung. Selbst Strompreise hängen in vielen Ländern entscheidend vom Gas ab: Gas-Kraftwerke sind oft die teuersten, die zur Deckung der Nachfrage eingesetzt werden – und setzen so den Preis für den gesamten Strommarkt. Steigt der Gaspreis, steigen alle Stromrechnungen.
Das Streichen eines Windparks ändert daran nichts. Entscheidend sind die Preise der fossilen Energieträger – nicht die Existenz von Anlagen, die günstigen Strom produzieren könnten.
Das Gleiche gilt für Elektrofahrzeuge. Kritiker behaupten, sie seien unerschwinglich. Doch ein verzögerter Umstieg bedeutet lediglich, dass wir uns länger dem globalen Ölmarkt und seiner Unberechenbarkeit ausliefern. E-Autos, betrieben mit zunehmend preiswerter, heimischer Elektrizität, schützen Verbraucher vor genau dieser Volatilität. Politische Rückschritte verkehren die ökonomische Logik ins Gegenteil.
Europa zwischen fossiler Abhängigkeit und globaler Realität
Europa liefert ein drastisches Beispiel. Abhängigkeit von importiertem Gas machte Haushalte und Industrie verletzlich, als der Krieg die Versorgung unterbrach. Produktionskosten stiegen, Fabriken drosselten ihre Kapazitäten, die Angst vor Deindustrialisierung wuchs.
Statt diese Krise als Warnung zu verstehen, lockern manche Regierungen nun Klimapolitik und verschieben Modernisierungspläne. Deutschland denkt über ein späteres Aus für den Verbrennungsmotor nach – während China längst klare strategische Ziele verfolgt: Weltmarktführer bei Batterien, Elektroautos und Solartechnik zu werden. Noch vor wenigen Jahren spielte China im globalen Autoexport praktisch keine Rolle. Heute ist es Exportweltmeister.
Wer heute in Europa oder den USA die Energiewende bremst, schützt nicht die heimische Industrie. Er spielt China die wirtschaftliche Führungsrolle direkt in die Hände.
Die USA – steigende Nachfrage, zu wenig günstiger Strom
Auch in den USA wächst die Stromnachfrage massiv – durch Rechenzentren, E-Mobilität, neue Industrieprojekte und Bevölkerungswachstum. Doch statt den Ausbau günstiger sauberer Energie zu beschleunigen, bremsen manche Bundesstaaten ihn aus. Die Folge ist absehbar: Wenn Nachfrage steigt, aber günstige Stromquellen fehlen, steigen die Preise weiter. Das wird dann absurderweise als Beleg dafür genutzt, dass die Energiewende zu teuer sei. Ein Zirkelschluss, der die Realität verkennt.
Kurzfristige Politik – langfristige Schäden
Der aktuelle Gegenwind gegenüber sauberer Energie ist Ausdruck eines tiefen politischen Problems: dem Wunsch nach schnellen Antworten in einem Politikfeld, das langfristige Strategien braucht. Ja, saubere Technologien kosten zu Beginn Geld. Aber sie sparen später ein Vielfaches durch niedrigere Brennstoffkosten, höhere Versorgungssicherheit und wirtschaftliche Stärke.
Fossile Brennstoffe dagegen wirken vertraut und kurzfristig bezahlbar – bis die nächste Krise ihre Instabilität offenbart. Wer jetzt bremst, riskiert, dass die nächste Preisexplosion noch härter trifft.
Die eigentliche Gefahr ist nicht zu viel Tempo – sondern zu wenig
Das größte Risiko besteht heute nicht darin, zu schnell auf erneuerbare Energien, E-Autos oder Effizienzmaßnahmen umzusteigen. Das Risiko besteht darin, zu langsam zu handeln. Jeder Aufschub verlängert unsere Abhängigkeit von fossilen Quellen, die Preisvolatilität erzeugen. Jeder Rückzug in alte Technologien verschiebt Wettbewerbsfähigkeit zu jenen Ländern, die längst konsequent investieren.
China hat früh verstanden, dass Energiewende keine moralische Frage ist – sondern wirtschaftliche Strategie. Wer heute die Ursachen hoher Preise falsch deutet und die Transformation verantwortlich macht, verschärft die Probleme von morgen.
Wir stehen vor einer Wahl
Wir können auf kurzfristige Ängste mit Rückzug reagieren. Oder wir entscheiden uns für eine Strategie, die Preise senkt, Resilienz stärkt und unsere Industrie global konkurrenzfähig hält.
Die Gegenbewegung gegen saubere Technologien beruht auf einer falschen Diagnose. Die Lösung für hohe Energiepreise ist nicht, die Transformation auszubremsen – sondern sie zu beschleunigen.
Dieser Beitrag stammt aus dem EXPERTS Circle – einem Netzwerk ausgewählter Fachleute mit fundiertem Wissen und langjähriger Erfahrung. Die Inhalte basieren auf individuellen Einschätzungen und orientieren sich am aktuellen Stand von Wissenschaft und Praxis.