Arbeitsunfähiger Lehrer kochte im TV: Jurist sagt, ob das illegal ist

FOCUS online: Herr Iske, gehen Sie gerne zur Arbeit?

Marcus Iske: Ja. Aber mein Job macht es mir auch leicht.

Warum?

Iske: Als Partner in einer internationalen Kanzlei habe ich gewisse unternehmerische Freiheiten. Ich kann zum Beispiel von verschiedenen Orten aus an interessanten Fällen arbeiten. Derzeit ist Entgeltfortzahlung ein großes Thema – und inzwischen eines meiner Spezialgebiete.

Sprich: Hohe Fehlzeiten und wie Unternehmen damit umgehen können?

Iske: So in etwa.

Wie schauen Sie auf den Fall des Lehrers, der lange krankgeschrieben war und währenddessen im TV kochte? Die Geschichte sorgte bundesweit für Aufregung.

Iske: An sich ist das nichts Besonderes. Hohe Fehlzeiten gibt es nicht nur bei Beamten. Fest steht, dass das Thema „Arbeitsunfähigkeit“ emotional aufgeladen ist. Wenn ein Lehrer, der krankgeschrieben ist, im Fernsehen Gäste bewirtet, denken Außenstehende schnell: Das kann ja wohl nicht wahr sein. Aber da muss man aufpassen.

Warum?

Iske: Erstens kommt es oft zu einer unzulässigen Verallgemeinerung. Ein einzelner Fall wirft ein schlechtes Licht auf eine ganze Berufsgruppe. 

Und zweitens?

Iske: Zweitens ist öffentlich nicht mal bekannt, wegen welcher Krankheit der Lehrer eigentlich ausgefallen ist.

Das wäre aber wichtig für die Bewertung des Falls.

Iske: Richtig. 

Heißt: An einer Fernsehshow teilzunehmen, wenn man krankgeschrieben ist, ist nicht grundsätzlich verboten.

Iske: Genau. Es kommt auf den Einzelfall an. Wenn ich krankgeschrieben bin, darf ich sämtliche Tätigkeiten ausüben, die meine Genesung fördern oder ihr zumindest nicht im Wege stehen.

Das klingt sehr abstrakt.

Iske: Dann schauen wir es uns am aktuellen Beispiel an. Ein Lehrer, der während seiner Arbeitsunfähigkeit an Fernseh-Kochshows teilnimmt. Würde dieser Lehrer an Depressionen leiden und sein Arzt hätte ihm empfohlen, zu kochen oder sich mit anderen zu treffen, dann hätte er vermutlich alles richtig gemacht. Auch wenn es unmoralisch wirkt. Wäre er wegen eines Beinbruchs krankgeschrieben und würde beim „Perfekten Dinner“ im Carrée springen, sähe die Bewertung anders aus.

Inzwischen läuft ein Disziplinarverfahren gegen ihn. Was bedeutet das?

Iske: Dass überprüft wird, inwiefern der Lehrer gegen seine Pflichten als Beamter verstoßen hat. Also beispielsweise, ob er seine Dienstunfähigkeit nur vorgetäuscht hat oder das Kochen im Fernsehen im Widerspruch zu seiner Diagnose stand.

Was passiert, wenn Verstöße festgestellt werden? 

Iske: Er könnte zum Beispiel zurückgestuft werden, eine Geldbuße zahlen müssen, seinen Beamtenstatus verlieren und im schlimmsten Fall eine fristlose Kündigung erhalten. Es kommt auf die Schwere der Pflichtverletzung an. Dabei wird auch berücksichtigt, ob der Beamte bislang pflichtbewusst und zuverlässig gehandelt hat. 

Sicher können Sie den Ärger verstehen, den der Fall ausgelöst hat.

Iske: Natürlich. Wenn Eltern mitbekommen, dass der Unterricht ihrer Kinder ausfällt und ein Lehrer, der krankgeschrieben ist, kocht im Fernsehen, dann sind ihnen die Hintergründe egal. Sie sehen nur: Der kommt nicht zur Arbeit, obwohl er arbeiten könnte.

Anderes Thema. In Online-Foren wie Reddit taucht immer wieder die Frage auf, ob Krankgeschriebene in den Urlaub fahren dürfen. Dürfen sie?

Iske: Fördert der Urlaub die Genesung oder steht ihr zumindest nicht im Weg, spricht erst mal nichts dagegen. Allerdings sollten wir nicht von „Urlaub“ reden. Urlaub und Krankheit schließen sich aus. Es geht ums „Unterwegssein“, wenn man arbeitsunfähig ist. 

Das heißt was genau?

Iske: Um keine Angriffsfläche zu bieten, macht es Sinn, mit offenen Karten zu spielen. Also den Arbeitgeber einzuweihen, wenn man während der Arbeitsunfähigkeit ans Meer fahren oder Bergwandern gehen will.

Immer mehr Schüler, immer mehr Bürokratie: Viele Lehrer fühlen sich überlastet. (Archivbild)
Immer mehr Schüler, immer mehr Bürokratie: Viele Lehrer fühlen sich überlastet. (Archivbild) Marijan Murat/dpa

Was sollten Arbeitnehmer grundsätzlich über Krankschreibungen wissen?

Iske: Erst mal: Wer krank ist und nicht arbeiten kann, muss sich unverzüglich beim Arbeitgeber melden. Er muss außerdem angeben, wie lange er vermutlich ausfallen wird. Das ist für die Planung wichtig.  

Nach mehr als drei Tagen ist ein Attest nötig, manchmal auch eher, wenn der Arbeitgeber es verlangt. Das heißt: Ein Arzt muss die Arbeitsunfähigkeit rechtzeitig feststellen, sonst kommt es zur Pflichtverletzung. Wissen sollten Arbeitnehmer in der freien Wirtschaft auch, dass sie sechs Wochen lang bei gleicher Erkrankung einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung haben. Danach rutschen sie ins sogenannte Krankengeld.

Gibt es Besonderheiten bei Beamten? 

Iske: Ja. Sie bekommen auch nach sechs Wochen Arbeitsunfähigkeit weiterhin die vollen Bezüge ausgezahlt - und zwar solange die vorübergehende Dienstunfähigkeit besteht und das Beamtenverhältnis dauert. Eine große Unwucht, sage ich immer. Das beste Beispiel ist der Fall der Lehrerin aus NRW, die 16 Jahre lang krankgeschrieben war und die ganze Zeit fröhlich ihre Bezüge kassiert hat.

Ja, auch diese Geschichte hat viele Menschen verärgert.

Iske: Verständlicherweise! Ich behaupte: Das wäre in der freien Wirtschaft ganz anders gelaufen. Das Schlimme daran – der eigentliche Skandal – ist ja, dass es 16 Jahre gedauert hat, bis überhaupt jemand gemerkt hat, dass die Frau schon ewig im Krankenstand ist. Vielleicht sorgt der öffentliche Druck jetzt für mehr Kontrollen und Sorgfalt in den Behörden.

Zurück zur freien Wirtschaft. Wie ist es denn auf Arbeitgeberseite? Da gibt es in Sachen Arbeitsunfähigkeit sicher einige Probleme.

Iske: Natürlich. In dem Bereich läuft leider auch einiges schief.

Erzählen Sie mal.

Iske: Mein Eindruck ist, dass viele Unternehmen – auch größere – keine geeigneten Strukturen haben, um mit hohen Fehlzeiten umzugehen. Das fängt schon bei der Frage an, wo sich Arbeitnehmer melden müssen, wenn sie ausfallen. 

Eigentlich sollte es gar nicht zu hohen Fehlzeiten kommen. Jedenfalls nicht dauerhaft.

Iske: Hohe Fehlzeiten sind meiner Meinung nach häufig kein reines Krankheits-, sondern ein Führungsthema. Viele Arbeitnehmer haben das Gefühl, dass gar nicht auffällt, wenn sie weg sind und es die Unternehmen auch nicht wirklich interessiert.

Es geht also um Wertschätzung?

Iske: Auch. Arbeitgeber sollten ihren Mitarbeitern zeigen, dass sie gesehen werden und Unterstützung anbieten. Wichtig ist aber genauso, ihnen klarzumachen, dass es zum Problem wird, wenn sie häufig fehlen. Dann müssen nämlich Kollegen einspringen, Überstunden machen. Das drückt schnell auf die Stimmung im gesamten Team. Vor allem, wenn so etwas ständig passiert. Das kann nicht im Interesse eines Unternehmens sein.

Wie macht man es Ihrer Meinung nach richtig?

Iske:  Soziale Kontrolle ist das A und O. Ich bekomme regelmäßig mit, dass Krankenrückkehrgespräche ausbleiben und Langzeitkranke zu spät identifiziert werden. Dazu kommen Fehler beim gesetzlich vorgeschriebenen betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM). Immer wieder werde ich angerufen: Herr Iske, es reicht uns, Herr Maier ist dieses Jahr schon wieder vier Monate nicht erschienen. 

Und was sagen Sie dann?

Iske: Ich frage zum Beispiel nach dem BEM-Verfahren. Oft wurde es noch gar nicht durchgeführt. Viel besser wäre es, die betreffenden Fälle von Anfang an konsequent arbeitgeberseitig zu begleiten. Gespräche zu führen. Die Wiedereingliederungsarbeit zu leisten. Dann müssten sich viele Arbeitgeber auch nicht bei mir melden. Ich werde leider oft erst kontaktiert, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist.

Was bedeutet für Sie eigentlich das Wort „Arbeitsmoral“?

Iske: Da gibt es zwei Richtungen. Einmal das Pflichtbewusstsein der Mitarbeiter: Jeder soll sein Bestes geben und arbeiten, wenn er arbeiten kann. Dafür haben sie schließlich unterschrieben. Noch dazu besteht eine moralische Verpflichtung gegenüber den Kollegen. 

Jetzt die zweite Richtung.

Iske: Von Arbeitgeberseite finde ich es wichtig, Mitarbeiter zu unterstützen, die ihre Arbeit gut machen – gerade bei Krankheit. Gleichzeitig gilt es, Personen, die das System ausnutzen, direkt anzusprechen und auf die richtige Bahn zu lenken. Und beim Scheitern Konsequenzen zu ziehen. Ansonsten riskiert man einen Dominoeffekt und die Motivation sinkt im gesamten Team. 

Wie steht es um die Arbeitsmoral der Deutschen? Merken Sie über die Jahre Veränderungen?

Iske: Was ich sagen kann, ist, dass sich das Klima verändert hat. Arbeitnehmer sind nicht mehr 20, 30 oder 40 Jahre im selben Unternehmen. Die Welt ist schneller geworden. Durchs Homeoffice sieht man sich weniger. Die soziale Kontrolle hat abgenommen, genauso die Identifikation mit dem Arbeitgeber. Und hier und da vielleicht auch das Pflichtbewusstsein. 

Abschlussfrage: Gibt es einen Fall, der Ihnen als Arbeitsrechtler besonders in Erinnerung geblieben ist?

Iske: Spontan fällt mir ein Fall ein, in dem sich ein Mitarbeiter immer wieder wegen starker Kopfschmerzen für einzelne Tage krankmeldete. Ein Kollege wurde misstrauisch und gab dem Arbeitgeber den Hinweis, sich die Spieltagswertungen der regionalen Dartliga anzusehen. 

Tatsächlich zeigte sich: Der Mitarbeiter hatte während seiner Krankmeldungen regelmäßig an Turnieren teilgenommen. Als er keine überzeugende Erklärung liefern konnte, wie das mit seiner Arbeitsunfähigkeit vereinbar sein sollte, folgte die fristlose Kündigung. Bei dem anschließenden Prozess war er dann übrigens weniger erfolgreich als bei den Dart-Turnieren. 

Über den Interviewpartner

Marcus Iske ist ein deutscher Jurist und Partner am Düsseldorfer Standort der Kanzlei Fieldfisher. Sein Schwerpunkt ist Arbeitsrecht. Iske berät sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber.