Der "Stahlgipfel" im Kanzleramt soll helfen, dass Unternehmen in Deutschland mit klimafreundlichem Stahl Geld verdienen können. Daran hängen Hunderttausende Jobs.
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hat die Ministerpräsidenten der Bundesländer mit Stahlindustrie, Vertretern von Unternehmen und Arbeitnehmern sowie Kabinettskollegen heute zum Austausch eingeladen. Dabei sind unter anderem Vizekanzler und Finanzminister Lars Klingbeil (SPD), Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) sowie Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD).
Die Gruppe muss vier Mega-Probleme lösen.
1) China flutet den Markt mit Billigstahl
Das Problem: China produzierte im Jahr 2024 laut der Worldsteel Association über eine Milliarde Tonnen Stahl: Das ist weltweiter Spitzenwert, mehr als die übrigen Top-10 der größten Stahlhersteller-Länder zusammen und rund 30 Mal so viel wie Deutschland.
Die Stahl-Nachfrage wuchs in China aber deutlich langsamer als die Produktion. Laut EU-Kommission produziert die Welt daher jedes Jahr mehr als 600 Millionen Tonnen Stahl mehr als sie verbraucht, berichtet der Spiegel. Viel Angebot, begrenzte Nachfrage: Das drückt den Preis pro Tonne Stahl. Darunter leiden besonders Firmen, die CO2-ärmer, aber teurer produzieren als die chinesische Billigkonkurrenz. Etwa die deutschen.
Europa hat in den vergangenen Jahren daher als einzige Region nennenswert Stahlproduktion abgebaut. Dieser Trend könnte sich fortsetzen: Die 600 Millionen Tonnen Stahl Überproduktion sind mehr als die EU insgesamt in einem Jahr herstellt. Die Produktion in Europa, erst recht in Deutschland, könnte also verschwinden, ohne dass sie jemand auf der Weltbühne vermisst.
Bis zu 600 000 Arbeitsplätze könnten dann in Deutschland verloren gehen, berechnet jüngst das Institut der deutschen Wirtschaft (IW).
Das kann der Stahlgipfel tun: Die EU will künftig nur noch 30,5 statt 18,3 Millionen Stahl zollfrei in die EU lassen. Den Rest will sie mit 50 statt 25 Prozent Zoll belegen. Das mindert die Konkurrenz. Gut für die Stahlindustrie.
Unter dieser Entscheidung leiden aber Firmen, die derzeit günstigen Stahl verwenden. Rund ein Drittel des europäischen Stahl stammte im Jahr 2024 von außerhalb der EU. Autos könnten dadurch beispielsweise teurer werden. Die ohnehin angeschlagene deutsche Autoindustrie fürchtet zudem Gegenzölle in China, die sie zusätzlich belasten.
Die Regierung muss heute beim Stahlgipfel entscheiden, wie sie diese gegensätzlichen Ziele am besten vereint. Rettet sie die Arbeitsplätze in der Stahlindustrie, gefährdet dadurch aber jene im Automobilbau, verbessert sie die Lage nicht zwingend.
2) Teure Energie
Das Problem: Die Preise für Strom und Gas sind in den vergangenen Jahren in Deutschland deutlich gestiegen. Dadurch verteuerte sich die Herstellung einer Tonne Stahl von rund 440 Euro auf rund 550 Euro. Ein Plus von rund einem Viertel, wodurch immer mehr andere Länder günstiger produzieren.
Das kann der Stahlgipfel tun: Die Regierung will einen Industriestrompreis einführen, der energieintensive Firmen entlasten soll. Die Stahlindustrie bezieht aber bereits die Strompreiskompensation. Eine Doppelsubvention ist laut EU verboten. Das IW bezweifelt daher, dass die Stahlindustrie den Industriestrompreis bekommen darf.
Der Stahlgipfel muss heute entscheiden, ob und wie die Regierung Stahlfirmen trotzdem entlastet. Kann sie den Strompreis schneller senken? Überzeugt sie die EU, beide Förderungen zu erlauben? Vereint sie beide in einem Zuschuss?
3) Teure CO2-Ziele
Das Problem: Weil die Stahlindustrie für rund acht Prozent der deutschen CO2-Produktion verantwortlich ist, treffen Maßnahmen gegen den CO2-Ausstoß die Branche hart. Der Umstieg auf Wasserstoff als CO2-freie Alternative könnte die Herstellungskosten je Tonne Stahl um rund drei Viertel verteuern. Auch in andere klimaschonende Verfahren müsste die Branche Milliarden investieren, ohne ihr Grundproblem, die teuren Kosten, zu lösen.
Das kann der Stahlgipfel tun: Die Regierung kann sich in Brüssel klar für Übergangsregelungen einsetzen, die der Stahlindustrie Investitionssicherheit bieten. Beispielsweise könnte diese länger kostenlose CO2-Zertifikate erhalten als bislang geplant. Derzeit soll die Zuteilung im kommenden Jahr auslaufen. Oder die Politik könnte der Industrie den Einsatz von nicht CO2-neutralem Wasserstoff erleichtern, bis mehr und günstigerer CO2-freier Wasserstoff zur Verfügung steht.
4) Schwache Nachfrage im Inland
Das Problem: Neben dem Preisproblem hat die deutsche Stahlindustrie auch ein Nachfrageproblem. Die Stahlnachfrage ist in Deutschland seit 2017 um rund ein Drittel zurückgegangen. Maschinenbau und Autoindustrie kriseln, der Hausbau lahmt.
Hinter allen drei Entwicklungen stecken grundsätzliche Probleme, die ein günstiger Preis nur begrenzt lösen kann.
Das kann der Stahlgipfel tun: Die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) fordert vom Stahlgipfel Leitmärkte für „grünen Stahl“. Beispielsweise könnten staatliche Aufträge für Schienen, Brücken, Rüstung und Energie-Infrastruktur nur an Stahlfirmen mit wenig CO2-Ausstoß gehen. Das liefert den Firmen eine planbare Geschäftsgrundlage, mit der sie teure Milliardeninvestitionen rechtfertigen können. Angesichts der geplanten Rieseninvestitionen in die Infrastruktur ein wichtiger Punkt.