„Es war eine Kriegshandlung. Es war ein Verbrechen. Das muss vor den Internationalen Gerichtshof“, klagt Hassan Nasreddine. Das Hisbollah-Mitglied hatte am 17. September 2024 von einer „seltsamen Nummer“, wie er sagt, eine Nachricht erhalten.
„Ich dachte, der Pager sei defekt.“ Das Licht war schwach. Nasreddine muss das Gerät, das der Hisbollah als Kommunikationsmittel dient, weil ihnen die Handynutzung zu unsicher erscheint, nahe vor sein Gesicht halten. In dem Moment explodiert der Pager. Nasreddine fällt in Ohnmacht. Ein Splitter dringt in sein Gehirn. Er verliert sein linkes Auge.
Ähnlich ergeht es Hisbollah-Offizier Ali Ibrahim. „Ich hörte ein lautes Piepsen und holte mein Handy aus der Tasche.“ Auf dem Display sei der Hinweis „Error“ erschienen. Er soll auf „Okay“ drücken. Da explodiert das kleine Gerät.
Angriff auf die Kommandoebene der Hisbollah
Israels Geheimdienst „Mossad“ schaltet am 17. und 18. September 2024 mit der Zündung manipulierter Pager die Kommandoebene der Terrororganisation Hisbollah weitgehend aus. Es ist die erfolgreichste Geheimoperation der Geschichte. 3000 Hisbollah-Mitglieder werden verletzt, rund 40 Menschen werden getötet. Der Mossad ist ins Innerste der Hisbollah vorgedrungen.
Die sehenswerte und zugleich spannende ZDF-Doku rekonstruiert minutiös, wie es zu dem Angriff kam, der letztlich zum Beginn einer Neuordnung des Nahen Ostens führte. Die Doku rückt vom Terroranschlag der Hamas am 7. Oktober 2023 über die Hisbollah-Angriffe auf Nordisrael bis zum Waffenstillstand in Gaza im Oktober 2025 die Konfliktlinien der vergangenen zwei Jahre in den Fokus und macht deutlich: Der Nahe Osten steht erneut vor einer ungewissen Zukunft. Die erfolgreiche Pager-Mission war dabei nur eine weitere Etappe.
„Der Definition nach legitime Ziele“
Dass ein Hisbollah-Kämpfer bezüglich der Pager-Aktion von einem Kriegsverbrechen spricht, erscheint vor dem Wirken der Hisbollah als absurd. Der ehemalige BND-Chef Gerhard Schindler erklärt: „Die Hisbollah ist kein Haufen ideologischer Flüchtlinge oder Palästinenser, sondern eine gut organisierte, straff geführte Privatarmee. Die Ideologie ist klar: Werft die Juden in das Meer, tötet sie, zerstört Israel.“
Die Hisbollah habe ihren Sitz zwar im Libanon, werde jedoch von den Ajatollahs im Iran geführt. Ehud Olmert, Israels ehemaliger Ministerpräsident, sagt: „Die Angriffe wurden durchgeführt, um die Feinde Israels zu töten.“ Er hält die Aktion für legitim. „Das ist kein Problem, denn alle Menschen, die wir getötet haben, waren Terroristen. Deshalb hatten sie diese Pager. Deshalb sind sie der Definition nach legitime Ziele.“
Der Mossad stellte 5000 Geräte mit Sprengstoff her
Die Doku zeigt vor allem, mit welcher Nüchternheit die Mission durchgeführt wurde. „Das strategische Konzept war, möglichst viele Kommandeure der Hisbollah auf einmal auszuschalten“, so Oded Eliam, ehemaliger Leiter der Einsatzabteilung Mossad. Viele Menschen waren an der Aktion beteiligt. Sie führten Tests zur Bestimmung der Menge des Sprengstoffs durch, gründeten eine Scheinfirma und benutzten eine leichtere Lithiumbatterie als im Originalpager der taiwanesischen Firma Gold Apollo.
„Das Gefühl in der Hand ist das gleiche – so kann man alle täuschen“, meint Sprengstoffexperte Eran Tuval. 5000 Pager wurden hergestellt. Ein ehemaliger Einsatzoffizier berichtet: „Das Ziel war nicht, ihn zu töten. Wenn er tot ist, ist er tot. Aber wenn einer verwundet ist, muss man sich um ihn kümmern, muss ihn ins Krankenhaus bringen, muss Geld und Zeit investieren. Menschen ohne Hände und Augen, die im Libanon herumlaufen, sind lebender Beweis dafür, dass sie sich nicht mit uns anlegen sollten.“
Fast wäre die Aktion noch aufgeflogen
Für so eine Aktion „braucht man auch viel Glück“, befindet Ex-Mossad-Einsatzleiter Oded Eliam. Das sei immer eine Gratwanderung. Um den maximalen Schaden zu bewirken, müsse man abwarten, man dürfe aber auch nicht zu lange warten, weil dann die Gefahr bestehe, einen Fehler zu machen.
Fast wäre die Operation noch aufgeflogen. Die Batterien waren etwas größer als bei den Ursprungsgeräten, dennoch war die Akkulaufzeit geringer als die versprochenen 48 Stunden. Die Hisbollah schöpfte Verdacht und kontaktierte einen Techniker im Irak, er solle die Geräte untersuchen. Dazu aber kam es nicht mehr. Die israelische Armee flog einen Angriff und tötete den Techniker, bevor er die Pager untersuchen konnte.
Die Aktion gilt als einer der Wendepunkte im Konflikt in der Region. Oded Eliam meint: „Die Schwächung der Achse Syrien–Irak–Iran trägt dazu bei, eine andere und vielleicht bessere Welt zu erreichen.“ Bislang sieht es allerdings nicht nach einer nachhaltigen Verbesserung in der Region aus.