Geheimdienstaktion - Operation Pager

Gleich die erste Verkaufspräsentation bei der Hisbollah überzeugte: Die neue Pager-Serie von Apollo schien genau auf die Bedürfnisse einer Miliz mit einem weitverzweigten Netzwerk von Kämpfern und einem gewissen Hang zur Paranoia zugeschnitten zu sein. Der AR-924 war zwar etwas klobig, aber robust und für den Einsatz unter Gefechtsbedingungen konzipiert. Er besaß ein wasserdichtes Gehäuse und einen leistungsfähigen Akku, der monatelang ohne Aufladen funktionierte. Das Beste jedoch: Es bestand keine Gefahr, dass die Pager jemals vom israelischen Geheimdienst abgehört werden konnten. Die Hisbollah-Führung war so beeindruckt, dass sie 5000 Stück orderte und damit begann, sie an Kämpfer der mittleren Hierarchieebene und an Hilfspersonal zu verteilen.

Keiner der neuen Besitzer ahnte, dass er von nun an eine hoch entwickelte israelische Bombe bei sich trug. Und selbst nachdem Tausende im Libanon und in Syrien explodiert waren, erkannten nur wenige die finsterste Eigenschaft der Pager: ein zweistufiges Entschlüsselungsverfahren, das sicherstellte, dass die meisten Benutzer das Gerät im Augenblick der Detonation in beiden Händen hielten. Bis zu 3000 Kämpfer der Hisbollah sowie eine unbekannte Zahl von Zivilisten wurden getötet oder verstümmelt, als der israelische Geheimdienst Mossad die Minibomben am 17. September 2024 per Fernzündung zur Explosion brachte.

Die simultanen Anschläge waren eine der erfolgreichsten und einfallsreichsten Geheimdienstoperationen in der jüngeren Geschichte. Wie genau sie ausgeführt wurde, kam allerdings erst nach und nach ans Licht. Dieser Bericht der „Washington Post“, der auf zahlreichen Interviews mit israelischen, arabischen und amerikanischen Eingeweihten sowie libanesischen Beamten und Hisbollah-Vertrauten beruht, lässt einen Plan erkennen, der im Mossad-Hauptquartier in Tel Aviv über Jahre entwickelt wurde und eine Gruppe von Agenten und ahnungslose Helfer in mehreren Ländern einbezog.

Die Idee für die „Operation Pager“ entstand demnach 2022 und konkretisierte sich mehr als ein Jahr vor den Angriffen der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023. Israelische Sicherheitsexperten hatten mit wachsender Besorgnis beobachtet, wie die libanesische Hisbollah neue Waffen ihrem Arsenal hinzufügte, das ohnehin längst groß genug war, um den jüdischen Staat mit Zehntausenden von Präzisionsraketen zu beschießen. Der israelische Auslandsgeheimdienst Mossad hatte jahrelang daran gearbeitet, die Miliz zu unterwandern. Die Hisbollah-Führung wiederum erkannte die Anfälligkeit ihrer Struktur für feindliche Überwachung und Hackerangriffe und befürchtete, dass gewöhnliche Mobiltelefone zu leicht abgehört werden konnten.

So sei die Idee entstanden, eine Art Kommunikationstrojaner zu entwickeln. Die Hisbollah suchte nach unangreifbaren elektronischen Netzwerken für die Nachrichtenübermittlung, und der Mossad dachte darüber nach, wie er die Miliz dazu bringen konnte, Geräte zu kaufen, die perfekt für den Zweck geeignet erschienen – Geräte allerdings, die der Geheimdienst in Israel selbst entworfen und gefertigt hatte.

Der erste Teil des Plans wurde bereits 2015 ungesetzt: Der Mossad platzierte präparierte Walkie-Talkies im Libanon. Die mobilen Funkgeräte enthielten extra große Batterien, versteckten Sprengstoff und ein Übertragungssystem, das Israel vollen Zugriff auf die Kommunikation der Hisbollah ermöglichte. Neun Jahre lang begnügten sich die Israelis damit, die Miliz auf diese Weise abzuhören, und behielten sich die Möglichkeit vor, die Walkie-Talkies während einer künftigen Krise in Bomben zu verwandeln. Doch dann kam eine neue Gelegenheit in Form eines ausgefeilteren Produkts: eines Funkrufempfängers, der mit einem starken Sprengstoff bestückt war. Erst Monate später sollte sich herausstellen, dass die Hisbollah die Israelis indirekt für die Bomben bezahlte, die viele ihrer Aktivisten töten oder verletzen sollten.

Fernzündung per SMS

Selbstverständlich konnten die Pager nicht aus Israel, den USA oder von einem anderen Verbündeten stammen. Stattdessen bekam die Hisbollah 2023 ein Angebot für eine Großlieferung von Apollo-Pagern aus Taiwan, einer bekannten Marke und Produktlinie mit weltweitem Vertrieb und ohne erkennbare Verbindung zu Israel. Die taiwanesische Firma wusste jedoch nichts von der Offerte, wie dortige Behörden versichern.

Der Verkaufsvorschlag kam von einer Marketingmitarbeiterin, der die Hisbollah vertraute und die Verbindungen zu Apollo unterhielt. Die Frau, deren Identität und Nationalität die Behörden nicht preisgeben wollen, war eine ehemalige Vertriebsmitarbeiterin des taiwanesischen Unternehmens für den Nahen Osten, die ihr eigenes Unternehmen gegründet und eine Lizenz für den Verkauf einer Reihe von Pagern der Marke Apollo erworben hatte. Irgendwann im Jahr 2023 bot sie der Hisbollah den robusten und so zuverlässigen AR-924 an.

„Sie war es, die mit den Hisbollah-Leuten in Kontakt stand und ihnen erklärte, warum der größere Pager mit der größeren Batterie besser sei als das Originalmodell“, sagt ein israelischer Beamter, der mit den Einzelheiten der Operation vertraut ist. Eines der Hauptargumente für den Verkauf des AR-924 war, dass er mit einem Kabel aufgeladen werden konnte und die Batterie besonders lange hielt.

Es stellte sich heraus, dass die tatsächliche Produktion der Geräte ausgelagert worden und die Marketingmanagerin nicht in die Operation eingeweiht worden war, und dass sie auch nicht wusste, dass die Pager in Israel unter der Aufsicht des Mossad zusammengebaut wurden, so die Behörden. Die Pager des Mossad, die jeweils weniger als 85 Gramm wogen, verfügten über ein einzigartiges Feature: eine Batterie, in der sich eine winzige Menge eines starken Sprengstoffs verbarg. Mit hoher Ingenieurskunst wurde die Bombe so sorgfältig versteckt, dass sie praktisch nicht zu erkennen war, selbst wenn das Gerät auseinandergenommen wurde. Israelische Beamte glauben, dass die Hisbollah einige der Pager zerlegt und möglicherweise sogar durchleuchtet hat, ohne Verdacht zu schöpfen.

Die Fernzündung der Bomben konnte elektronisch erfolgen. Um den größtmöglichen Schaden anzurichten, war es jedoch auch möglich, die Explosion durch ein spezielles zweistufiges Verfahren auszulösen, das für das Anzeigen von verschlüsselten Sicherheitsmitteilungen erforderlich war. „Man musste zwei Knöpfe drücken, um die Nachricht zu lesen“, erklärt ein Beamter. Bei der anschließenden Explosion würde man sich also mit hoher Wahrscheinlichkeit an beiden Händen so sehr verletzten, dass man „kampfunfähig“ wäre.

Eskalation nach der Eskalation

Bis zum 12. September wussten die meisten hochrangigen israelischen Politiker nichts von dem Plan. An diesem Tag berief Premierminister Benjamin Netanjahu seine Geheimdienstberater zu einem Treffen ein, um mögliche Maßnahmen gegen die Hisbollah zu diskutieren. Laut einem Protokoll gaben die Mossad-Agenten erstmals Einblick in die geplante Operation. Zu diesem Zeitpunkt hatten sie bereits Tausende von Hisbollah-Kämpfern mit den manipulierten Pagern ausgestattet. Die Geheimdienstler sprachen auch von einer lang gehegten Befürchtung: Mit der Eskalation der Krise im Südlibanon wuchs das Risiko, dass die Sprengsätze entdeckt werden würden. Jahrelange sorgfältige Planung und Täuschung könnten so schnell zunichtegemacht werden.

Im gesamten israelischen Sicherheitsapparat sei eine heftige Debatte entbrannt, berichten Zeugen. Alle, einschließlich Netanjahu, erkannten, dass Tausende explodierender Pager der Hisbollah unermesslichen Schaden zufügen, aber auch eine heftige Reaktion auslösen könnten, etwa einen massiven Vergeltungsangriff mit Raketen durch überlebende Hisbollah-Führer, wobei der Iran möglicherweise in den Kampf eingreifen könnte.

„Es war klar, dass es Risiken gab“, sagt ein israelischer Beamter. Einige, darunter hochrangige Offiziere der israelischen Streitkräfte, warnten vor einer möglichen Eskalation mit der Hisbollah, selbst als israelische Soldaten ihre Operationen gegen die Hamas im Gazastreifen fortsetzten. Andere, vor allem der Mossad, sahen jedoch eine Gelegenheit, die Situation mit „etwas Intensiverem“ zu verändern. Die USA, Israels engster Verbündeter, waren weder über die mit Sprengsätzen versehenen Pager noch über die interne Debatte über deren Einsatz informiert, wie US-Beamte erklären.

Letztendlich stimmte Netanjahu zu, die Aktion auszuführen, solange sie maximalen Schaden anrichten konnte. In der folgenden Woche begann der Mossad mit den Vorbereitungen für die Sprengung der bereits im Umlauf befindlichen Pager und Walkie-Talkies.

In Jerusalem und Tel Aviv weitete sich unterdessen die Debatte über die Aktion gegen die Hisbollah auf ein weiteres, äußerst folgenreiches Ziel aus: Hassan Nasrallah, den Führer der Hisbollah, selbst.

Der Mossad wusste seit Jahren, wo Nasrallah sich im Libanon aufhielt, und verfolgte seine Bewegungen genau. Dennoch schreckten die Israelis vor einem Angriff zurück, weil sie sich sicher waren, dass ein Attentat zu einem umfassenden Krieg mit der Miliz und vielleicht auch mit dem Iran führen würde. Amerikanische Diplomaten hatten Nasrallah gedrängt, einem separaten Waffenstillstand mit Israel zuzustimmen, der nichts mit den Kämpfen in Gaza zu tun haben sollte. Sie hofften, dass solch ein Abkommen zum Abzug der Hisbollah-Kämpfer aus den südlibanesischen Stützpunkten führen könnte, die Israels grenznahe Gemeinden bedrohten. Hochrangige israelische Beamte geben an, sie hätten den Vorschlag unterstützt, aber Nasrallah habe seine Zustimmung verweigert und auf einem Waffenstillstand für Gaza bestanden.

Während am 17. September in den höchsten israelischen Sicherheitskreisen intensiv über einen Angriff auf den Hisbollah-Führer debattiert wurde, summten oder vibrierten im ganzen Libanon und in Syrien gleichzeitig Tausende von Pagern der Marke Apollo. Auf dem Display erschien ein kurzer Satz auf Arabisch: „Sie haben eine verschlüsselte Nachricht erhalten.“

Die Hisbollah-Aktivisten folgten pflichtbewusst den Anweisungen und drückten beide Knöpfe am Gerät gleichzeitig. In Häusern und Geschäften, in Autos und auf Bürgersteigen fügten die Explosionen ihnen schwere Verletzungen zu: Hände wurden zerfetzt, Finger abgerissen, Arme verstümmelt.

Weniger als eine Minute später explodierten Tausende weiterer Pager per Fernsteuerung, unabhängig davon, ob der Benutzer sein Gerät jemals berührt hatte. Am nächsten Tag, dem 18. September, detonierten Hunderte von Walkie-Talkies und verletzten oder töteten die Benutzer und Umstehende.

Es war der erste einer Reihe von Schlägen, die auf das Herz eines der erbittertsten Feinde Israels zielten. Als die Hisbollah ins Wanken geriet, schlug Israel erneut zu und bombardierte die Hauptquartiere, Waffenlager und Logistikzentren der Organisation.

Die größte Serie von Luftangriffen fand am 27. September statt, zehn Tage nach der Explosion der Pager. Der Angriff, der sich gegen eine unterirdische Kommandozentrale in Beirut richtete, wurde von Netanjahu angeordnet, als er nach New York reiste, um vor den Vereinten Nationen eine Rede zu halten, in der er an die Adresse der Hisbollah sagte: „Genug ist genug. Wir werden keine Terrorarmee an unserer Nordgrenze dulden, die in der Lage ist, ein weiteres Massaker wie das vom 7. Oktober zu verüben.“

Am nächsten Tag bestätigte die Hisbollah, was der Großteil der Welt bereits wusste: Hassan Nasrallah, der Führer der Organisation und erklärte Feind Israels, war tot.