Mit „Dein ist mein ganzes Herz“ hat Heinz Rudolf Kunze 1985 deutsche Musikgeschichte geschrieben. 2025 erschien sein 47. Album „Angebot und Nachfrage“. Im FOCUS-online-Interview spricht der bei Hannover lebende Rocksänger, Liedermacher und Schriftsteller nicht nur über seine neuen Songs und seine anstehende Tournee. Er äußert sich auch zu gesellschaftspolitischen Themen – und liefert ehrliche, schonungslose Standpunkte.
FOCUS online: Sie gehen mit offenen Augen durchs Leben und machen bei Missständen den Mund auf. Welche Probleme sehen Sie aktuell in Deutschland?
Heinz Rudolf Kunze: Ich mache Beobachtungen, die sich decken dürften mit denen aller Menschen, die einigermaßen wach und bei Bewusstsein in unserem Land leben. Die Probleme, die wir haben, liegen auf der Hand. Bei dem ganzen Irrsinn, der um uns herum passiert, hat man manchmal kaum noch die Kraft, Musik zu machen.
Was meinen Sie konkret?
Kunze: Ich mache mir Sorgen um die geistige Zukunft unserer Kinder und Enkel. Unser Bildungssystem ist in einigen Gegenden eine Katastrophe. Wenn in einer Klasse 85 Prozent Migrantenkinder sitzen, die zuvor kaum mit der deutschen Sprache und der deutschen Kultur in Berührung gekommen sind, kann kein sinnvoller Unterricht stattfinden.
Heinz Rudolf Kunze: "Leute wählen verstärkt an den Rändern"
Sind Sie zufrieden mit der Regierungspolitik?
Kunze: Die Reform-Anstrengungen der Koalition mit einem nach Format suchenden Kanzler und dieser SPD, die einiges Sinnvolle blockiert, empfinde ich als zu wenig druckvoll. Nehmen wir das Thema Rente. Jede bisherige Bundesregierung, auch die aktuelle, ist zu feige, das Problem an der Wurzel anzupacken. Da wird sich weiter gegenseitig in die Tasche gelogen und die Leute werden vertröstet.
Wie beeinflusst das die Stimmung im Land? Was macht das mit den Menschen?
Kunze: Sie wählen verstärkt an den Rändern, insbesondere rechts. Solange die etablierten Parteien nicht imstande sind, die Probleme des Landes gründlich und spürbar zu lösen, wird es immer schwieriger, die Menschen zu erreichen!
Bereitet Ihnen das Sorgen?
Kunze: Ja, selbstverständlich.
Von Ihnen verehrte Rockmusiker wie Bruce Springsteen und Neil Young stellen sich offen gegen US-Präsident Donald Trump. Wird es demnächst ein Protestkonzert von Heinz Rudolf Kunze gegen die AfD geben?
Kunze: Nein, das wird es sicherlich nicht geben. Denn auf all meinen Konzerten nehme ich zu den Problemen unserer Gesellschaft ganz klar Stellung. Es brennt an allen Ecken und Enden, die Demokratie ist massiv in Gefahr. Bedroht wird sie allerdings nicht nur von rechts, sondern auch vom linken Rand.
Würden Sie Deutschland verlassen, wenn die AfD bei der nächsten Bundestagswahl an die Macht käme?
Kunze: Gute Frage. Nein, ich glaube nicht.
Sollte man die AfD verbieten?
Kunze: Nein, das kann man auch gar nicht mehr. Die AfD ist mittlerweile in allen Umfragen bundesweit die stärkste Partei. Man muss sich mit der AfD politisch und inhaltlich auseinandersetzen und so die Menschen in die Mitte zurückholen.
"Leute brüllen sich entweder an oder schweigen komplett"
In einem Ihrer neuen Stücke singen Sie: „Die Angst geht um, sich zu verraten, allein durch Worte, nicht mal Taten. Ein heißes Eisen anzupacken und dann die Schläge in den Nacken.“ Was wollen Sie uns damit sagen? Haben wir in Deutschland keine Meinungsfreiheit mehr?
Kunze: Die Meinungsfreiheit steht zumindest unter Druck. Die demokratische Fähigkeit, andere Meinungen zu tolerieren, fehlt leider immer mehr. Die Leute brüllen sich entweder an oder schweigen komplett.
Sie hingegen schweigen nicht. Haben Sie keine Angst, dass Menschen aufgrund Ihrer politischen Aussagen Ihre Konzerte boykottieren könnten oder nicht mehr für Ihre Musik zahlen?
Kunze: Eigentlich nicht. Ich bin bisher gut damit gefahren, immer zu formulieren, was ich denke, sowohl in gesungener als auch in gesprochener Form. Und ich gedenke nicht, davon abzulassen. Und ich glaube, es würde unserem Land guttun, wenn das mehr Leute täten.
Was meinen Sie damit?
Kunze: Ich bin enttäuscht über die Zurückhaltung vieler Kollegen, sich auch innerhalb ihrer Arbeit, also musikalisch, politisch zu äußern. Da waren wir schon mal weiter. In den 80er Jahren wurde von uns Deutschrockern allgemein erwartet, dass wir Stellung beziehen und Farbe bekennen. Heute passiert das nur noch sehr selten, und das finde ich sehr betrüblich.
Eines Ihrer neuen Lieder heißt „Sie sind Migranten“. Darin singen Sie: „Man lässt sie nicht zur Arbeit gehen, beim Warten wird man bitter. So muss auf Dauer Wut entstehen, entlädt sich als Gewitter.“ Zeigen Sie damit Verständnis dafür, dass Migranten zum Teil schwerste Straftaten begehen?
Kunze: Ja, natürlich. Das heißt jedoch nicht, dass ich das billige! Aber ich kann mir zumindest erklären, woher das kommt. Es liegt daran, dass wir keine kontrollierte Einwanderungspolitik haben, sondern die Menschen hier vergammeln lassen in Containern und Lagern. Männer, die nicht arbeiten dürfen oder vielleicht auch gar nicht arbeiten können. Und dass da dann bisweilen ein gewaltiger Aggressionsdruck entsteht, ist doch völlig klar. Schuld daran sind wir selbst, durch eine völlig falsche Asylpolitik.
Stadtbild-Debatte: "Fühle mich an bestimmten Orten unwohl"
An anderer Stelle singen Sie, Migranten seien „Menschen so wie wir“. Vor diesem Hintergrund: Können Sie nachvollziehen, was Bundeskanzler Friedrich Merz mit seiner „Stadtbild“-Äußerung meinte? Hat er da einen Punkt?
Kunze: Zum Teil ganz sicher. Ich bin selten ohne meinen Assistenten oder ohne meine Tourleute unterwegs. Aber wenn ich nach Einbruch der Dunkelheit mal allein durch Hannover gehe, fühle ich mich nicht mehr wohl, zumindest in der Innenstadt und im Hauptbahnhofsbereich.
Was bereitet Ihnen Unbehagen?
Kunze: Teilweise eben diese jungen Männer, von denen wir gerade gesprochen haben – die keine Arbeit bekommen und keine Zukunft sehen und deshalb in die falschen Milieus abrutschen.
Sie haben privat Angst vor Migranten, die sie als Musiker verteidigen?
Kunze: Angst ist ein überzogenes Wort. Aber ich fühle mich an bestimmten Orten unwohl – wie viele andere Menschen auch.
Das heißt, Sie nehmen die Realität, gerade die Folgen der Migration, teilweise negativer wahr, als Sie es in Ihren Liedern darstellen?
Kunze: Meine Lieder sollen Mut machen, und dabei reden sie die Lage manchmal auch schöner als sie ist. Wir müssen uns folgende Fragen stellen: Wer kann hier eine Heimat finden? Und sind das auch Menschen, die bereit sind, unsere politischen, unsere kulturellen Werte zu akzeptieren und über ihre eigenen religiösen, dogmatischen, voraufklärerischen Werte zu stellen?
Das sind starke Worte. Ich hatte Sie immer für einen den Sozialdemokraten nahestehenden Musiker gehalten…
Kunze: Das bin ich schon lange nicht mehr. Ich bin vor Jahrzehnten aus der SPD ausgetreten.
Wo würden Sie sich heute politisch verorten?
Kunze: Ich bin ein melancholischer Konservativer. Wer in meinem Alter kein Konservativer ist, hat irgendwas vergessen oder verpasst.
Sie werden in wenigen Tagen 69 Jahre alt…
Kunze: Das stimmt. Übrigens sehe ich mich im wortwörtlichen Sinne als Konservativer. Im Lateinischen heißt es „conservare“, also bewahren, erhalten, retten.
"Gewaltaufruf nicht, aber Zeichen der Entschlossenheit"
Noch ein bemerkenswertes Zitat aus einem Ihrer neuen Lieder: „Farbenfroh ist die Gemeinde, tolerant / doch militant gegen alle Freiheitsfeinde“. Das könnte als Gewaltaufruf gegen die AfD verstanden werden. Was sagen Sie dazu?
Kunze: Gewaltaufruf nicht, aber ein Zeichen der Entschlossenheit. Wir müssen entschieden gegen alle kämpfen, die unsere Demokratie nicht wollen. Und die haben wir sowohl am linken als auch am rechten Rand und als Teil einiger Religionen.
Wenn ich das Wort „militant“ höre, denke ich an Gewalt, an körperliche Angriffe…
Kunze: Ich brauchte ein Reimwort auf tolerant. Mir ist kein anderes eingefallen.
Das glaube ich Ihnen nicht. Sie sind ein Meister der Sprache, wägen jedes Wort perfekt ab…
Kunze: Schön, dass Sie mir so viel zutrauen, aber gelegentlich habe auch ich als Reimer Schwächen. Ich bin gerne der Meinung, ich sei perfekt, aber das stimmt nicht.
Sie wurden schon einmal missverstanden, bei „Willkommen liebe Mörder“ aus dem Jahr 2015. Rechte feiern dieses Lied bis heute als Statement gegen Ausländerkriminalität, dabei richtete es sich gegen gewaltbereite Rechtsextremisten. Was können Sie gegen die Vereinnahmung tun?
Kunze: Nichts. Das Lied gibt keinen Anhaltspunkt dafür. Wer es trotzdem tut, kann einfach nicht hören und lesen, und dagegen kann man nichts tun. Gegen Dummheit ist kein Kraut gewachsen.
In „Jeder Tote einer zuviel“ singen Sie: „Blut erzeugt nur immer wieder Blut“. Würden Sie Ihre Enkel in den Krieg schicken?
Kunze: Natürlich nicht. Wer würde schon seine Enkel in den Krieg schicken? Ich möchte nicht, dass wir durch eine falsche Muskelprotzerei und Aufrüstungspolitik in einen bewaffneten Konflikt schlittern. Mir wurde schon etwas blümerant, als ich neulich in den Nachrichten hörte, dass der zu erwartende Wirtschaftsaufschwung Anfang nächsten Jahres ganz wesentlich durch Aufträge an die Bundeswehr und an die Militärindustrie zustande kommen soll.
Menschen im Osten "haben immer schon besser zugehört"
Sie sind seit über 40 Jahren im Geschäft und gelten als begnadeter Rock-Poet, haben zuvor Germanistik und Philosophie auf Lehramt studiert. Nun fordern immer mehr Schüler, dass Songtexte von Rappern wie Haftbefehl im Unterricht behandelt werden. Von Ihren Liedern ist keine Rede. Kränkt Sie das?
Kunze: Das stimmt so nicht, wir erhalten häufig Anfragen von Lehrern und Schulen, die sich mit meinen Texten auseinandersetzen, was mich sehr freut. Ich habe mich mit Haftbefehl nicht beschäftigt und kann daher nicht beurteilen, ob seine Texte was taugen. Dass einige junge Leute mich nicht kennen, damit muss ich leben. Irgendwann werden die Leute vielleicht auch nicht mehr wissen, wer die Beatles sind. Das wird allerdings das Ende der Welt sein.
Sie starten Ihre „Angebot und Nachfrage“-Tour am 9. Oktober 2026 in Leipzig, im Haus Auensee. Ticken die Menschen im Osten nach ihrer Wahrnehmung anders? Nehmen die Ihre Texte anders wahr?
Kunze: Ja, die Älteren schon, auf jeden Fall. Die sind in meiner Wahrnehmung sprachlich sensibler erzogen als so manche Westdeutsche. Die haben immer schon besser zugehört und werden das auch immer tun. Die Jugend, die ich auf meinen Konzerten wieder vermehrt zu sehen kriege, ist hinreichend amerikanisiert. Deswegen bin umso stolzer und glücklicher über jeden jungen Menschen, der zu mir kommt, egal ob in Kaiserslautern oder in Rostock.