Der Freistaat zahlt zu wenig für übertragene Aufgaben. Die Grünen im Landkreis Ebersberg sprechen von einem Skandal und fordern eine Klage.
Zieht CSU-Ministerpräsident Markus Söder dem Landkreis Ebersberg zig Millionen Euro aus der Tasche? So sehen es die Grünen, die fordern: Der Landkreis um Landrat Robert Niedergesäß (CSU) soll die Staatsregierung verklagen, Tenor: Der Freistaat soll gefälligst seine Schulden zahlen! Was die Grünen als „systematisch“ und „skandalöse Praxis“ beschreiben, trägt das schüchterne Etikett „Kostenunterdeckung des staatlichen Landratsamts“. Aufhorchen lässt die Gesamtsumme von rund 60 Millionen Euro, die seit 2012 aufgelaufen sei. Mit so viel Geld wären die geplanten Schulneubauten in Grafing-Bahnhof (Berufsschule) und Poing (Gymnasium) wohl größtenteils finanziert.
Dieser Dauer-Skandal muss ein Ende haben. Der Landkreis muss sich sein Geld vom Freistaat zurückholen.
Dazu muss man wissen, dass bayerische Landratsämter eine Doppelrolle erfüllen: Einerseits als eigenständige, politisch vom Kreistag kontrollierte, kommunale Selbstverwaltungsbehörde: Diese baut Schulen und Straßen, finanziert Buslinien, Müllabfuhr und die Kreisklinik und unterstützt das Sport- und Kulturgeschehen. Andererseits als staatliche Verwaltungsbehörde, die auf amtliche Weisung von oben Erfüllungsaufgaben wie das Baurecht, Gesundheits- und Veterinäramt, Kfz-Zulassung, Sozial- und Jugendhilfe oder den Denkmalschutz verantwortet. Beides, mit dem Landrat an der Spitze, aber eben einmal als Politiker und einmal als Verwaltungsbeamter.
Wer zahlt, schafft an – und wer anschafft, zahlt: Nach diesem Prinzip fließt für die lediglich übertragenen, staatlichen Aufgaben Geld aus München nach Ebersberg. Aber eben nicht genug; das kritisieren jedenfalls nicht nur die Grünen: In einer aktuellen Analyse des Kreis-Finanzmanagements heißt es: „Die Defizite aus der Erfüllung von Staatsausgaben steigen ungebremst!“ In Zahlen: Allein 2024 sind knapp 8,3 Millionen Euro weniger an den Landkreis Ebersberg geflossen, als die übertragenen Pflichtaufgaben gekostet haben. Und das Ebersberger Landratsamt sähe „Möglichkeiten zur Konsolidierung und für Investitionen“, wenn dieses Geld zurückflösse. Mehr Schulen, weniger Schulden, wenn man so will.
60-Millionen-Lücke: Kreistag wird diskutieren - Landrat skeptisch
Grünen-Landratskandidat Thomas von Sarnowski fordert gegenüber der EZ, die seit 2012 aufgelaufene 60 Millionen Euro Unterfinanzierung gerichtlich einzuklagen: „Dieser Dauer-Skandal muss ein Ende haben. Der Landkreis muss sich sein Geld vom Freistaat zurückholen.“ Der Schuldenstand in Ebersberg liege bei rund 50 Millionen Euro. Heiße: Söders Staatsregierung finanziere ihre schwarze Null auf Kosten der Landkreise. „Wenn Ebersberg sich jetzt traut, werden sich viele weitere Landkreise anschließen“, so der Grünen-Kreisrat. Auch die Landkreise Bad Tölz-Wolfratshausen mit 9,3 Millionen und Erding mit 6,8 Millionen Euro 2024 zahlen etwa jährlich drauf.
Diskutieren wird über den Grünen-Antrag der Kreisausschuss des Kreistags am kommenden Montag, 1. Dezember. Gegenüber der EZ nennt Landrat Niedergesäß die Erfolgsaussichten einer Klage „sehr unsicher, das müsste juristisch geprüft werden“. Für die Aufgabenmehrung könne man die Staatsregierung nicht verantwortlich machen, auch wenn dort die Rechnung lande: Die Mehrarbeit resultiere vor allem aus Bundesgesetzen wie der Wohngeldnovelle oder Erleichterung im Ausländerrecht – und sei gerade unter der Ampelkoalition ausgeufert. Die neue Bundesregierung habe Besserung gelobt.
Draufgezahlt hat der Landkreis halt schon. Und das Bayerische Finanzministerium sieht auf EZ-Anfrage keine Notwendigkeit, die Kostenunterdeckung zurückzuzahlen: „Entscheidend ist, dass den Kommunen insgesamt ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung stehen“, so ein Sprecher. Das erreiche man über den kommunalen Finanzausgleich, etwa die Schlüsselzuweisungen, und mehr staatliche Personalstellen für die Landratsämter. In die Ebersberger Kommunen seien 2020 bis 2024 ganze 462 Millionen Euro geflossen, davon die Hälfte an den Kreis selbst.