Mit erschütternden Schicksalen konfrontiert: Beratungsstelle stellt Arbeit vor – Betroffener erzählt

  1. Startseite
  2. Lokales
  3. Weilheim
  4. Weilheim

Kommentare

Vorstand und Team des „Netz gegen sexuelle Gewalt“ feierten mit Gästen das Zehnjährige der Beratungsstelle. Vorgestellt wurde deren Arbeit von Dr. Rautgunde Lammerer (sitzend), Angelika Flock (stehend 2.v.l.; sie sprach auch als 2. Bürgermeisterin) sowie den Beraterinnen Constanze Off (3.v.l.), Monika Reindl und Christina Auer (5. und 6.v.l.). Ebenfalls in der Beratung tätig ist Michael Kosler (4.v.l.). © Uehlein

An der Lohgasse in Weilheim finden seit zehn Jahren Menschen eine Anlaufstelle, die Opfer von sexualisierter Gewalt, etwa von Missbrauch, geworden sind: Das „Netz gegen sexuelle Gewalt“ hilft ihnen mit „Herzblut, Fachwissen und Ausdauer“, wie Vorstandsmitglied Angelika Flock sagte. Seit ihrer Gründung hat die Beratungsstelle klar an Bedeutung gewonnen.

2025 wird beim „Netz gegen sexuelle Gewalt“ ein Rekord gebrochen, das stand schon Mitte November beim „Tag der offenen Tür“ fest, der anlässlich des zehnjährigen Bestehens der Beratungsstelle stattfand: Seit Januar waren nämlich bereits 100 Beratungsfälle in die Statistik eingegangen – so viele wie in noch keinem Jahr zuvor. Vor allem anfangs waren die Zahlen bei der Einrichtung deutlich niedriger gewesen. 2016 wurden 19 Fälle registriert, ein Jahr später 29. In der Summe sind es seit 2015 etwa 600.

Hinter den nüchternen Zahlen verbergen sich erschütternde Schicksale – zum Beispiel von Frauen, die Vergewaltigung in der Ehe erleben mussten, und von Kindern, die Missbrauchsopfer wurden. Ausdrücklich zur Zielgruppe der Beratungsstelle gehören Jungen und Männer, denen eine „geschlechtssensible Beratung“ angeboten wird.

Ein Betroffener erzählt von seinem Weg

Charlie Förster aus Weilheim wurde mit 17 Jahren als Klient beim „Netz gegen sexuelle Gewalt“ aufgenommen. Er war in Kita und Schule unterschiedlichen belastenden Erfahrungen ausgesetzt gewesen, wie der inzwischen 19-Jährige im Gespräch mit der Heimatzeitung schilderte. Das Durchlebte habe bei ihm zu einer Reihe psychischer Probleme geführt, sagte der an einer Borderline-Störung Erkrankte, der schon als junger Mensch Depressionen, Panikattacken und soziale Phobien kennenlernen musste. Behandelt wurde er ambulant, aber auch bei mehreren Klinikaufenthalten. Derzeit sei er „einigermaßen stabil“, erklärte Förster. Bilder, die er gemalt hat, waren beim „Tag der offenen Tür“ in der Beratungsstelle zu sehen. „Ich habe schnell gemerkt, dass es mir guttut, Gefühle durch Malen auszudrücken“, so der 19-Jährige, der Abitur machen und Kunsttherapie studieren will.

Persönliche Beratung und Prävention

Die Beratung für Opfer sexualisierter Gewalt sowie für deren Bezugspersonen (wie Eltern oder Lehrer) ist beim „Netz gegen sexuelle Gewalt“ kostenfrei und erfolgt auf Wunsch anonym. Sie wird in Präsenz, telefonisch und online angeboten.

Die Berater werden selbst nicht therapeutisch tätig, möchten ihren Klienten aber helfen, sich zu stabilisieren. Sie unterstützen zum Beispiel bei der Einschätzung sexualisierter Handlungen (die auch durch Worte erfolgen können) und bei der Suche nach Therapeuten und Ärzten. Zudem informieren sie über finanzielle Hilfen. Mehr Auskünfte: www.beratungsstelle-netz.de.

Kontakt zur Beratungsstelle an der Lohgasse 3 in Weilheim – auch zur Vereinbarung von Präventionsschulungen – unter Telefon 0881/92792294 (dienstags bis donnerstags von 8.30 bis 13.30 Uhr) und per E-Mail an info@beratungsstelle-netz.de.

Bei der Veranstaltung zum Zehnjährigen der Beratungsstelle wurde deutlich, dass die Präventionsarbeit beim „Netz gegen sexuelle Gewalt“ heute einen hohen Stellenwert hat. Zu Schulungen für Eltern und andere Erwachsene kamen im Lauf der Zeit Projekte hinzu, die Kita- und Schulkinder für das Thema „Sexualisierte Gewalt“ sensibilisieren sollen. Für die Präventionsangebote gibt es eine Warteliste, wie Martha Rauscher-Stähler sagt, die bei der Beratungsstelle für die Verwaltungsarbeit zuständig ist.

Schnelle Hilfe sollen Menschen bekommen, die sich als Betroffene von sexualisierter Gewalt an das „Netz“ wenden: Die Wartezeit bis zum Ersttermin betrage „maximal zwei Wochen“, so Rauscher-Stähler.

Vereinsarbeit schon seit 1993

Dass es den Verein „Netz gegen sexuelle Gewalt“ schon deutlich länger gibt als dessen Beratungsstelle, machte 1. Vereinsvorsitzende Dr. Rautgunde Lammerer in einer Rede deutlich. Die Organisation besteht seit 1993. Gitta Christ führte den Verein laut Lammerer „20 Jahre lang mit großem Engagement und Fachkompetenz“ und leitete auch eine Informationsstelle am Gesundheitsamt Weilheim-Schongau, die sich um Opfer sexualisierter Gewalt kümmerte. Als sie diese Arbeit nicht mehr fortführen konnte, entschied sich der Verein, eine eigene Beratungsstelle zu gründen. Derzeit sind beim „Netz gegen sexuelle Gewalt“ – neben Rauscher-Stähler – drei Beraterinnen in Teilzeit und ein Berater in geringfügiger Beschäftigung angestellt. Sie werden von Honorarkräften unterstützt.

Spenden sind willkommen

Finanziert wird die Arbeit der Beratungsstelle an der Lohgasse derzeit vor allem von den Landkreisen Weilheim-Schongau und Garmisch-Partenkirchen sowie vom Bayerischen Sozialministerium, aber etwa auch aus Spenden. Das Spendenkonto hat die IBAN DE 38 7035 1030 0000 9859 52 (Empfänger: Netz gegen sexuelle Gewalt e.V.).