Tomas Casas Klett will mit einem Index zeigen, in welchen Ländern „Eliten“ zum Wohle aller agieren – und wo nicht. Deutschland erscheint als Spezialfall.
Tomas Casas Klett meint: Die Qualität von „Eliten“ lässt sich messen; in der Politik, wie in der Wirtschaft. Seit 2020 veröffentlicht ein wissenschaftliches Team der Universität St. Gallen jährlich einen „Elite Quality Index“ (EQx). Der soll vor allem eines zeigen – wo durch das Handeln von Entscheidern Wert für die Gesellschaft entsteht und wo nur Wert abgeschöpft wird. „Sie können neuen Wert schaffen oder Werte banal transferieren – Beispiel Trumps Zollpolitik“, sagt Casas Klett dem Münchner Merkur von Ippen.Media: „Wenn es genug wertschöpferische Eliten-Geschäftsmodelle gibt, wächst ein Land. Sonst stagniert es.“
Deutschland schneidet im EQx 2025 – gemessen an 149 Indikatoren aus länderübergreifenden Datensätzen – gut bis durchwachsen ab, je nach Betrachtungsfeld. Warum das so ist und welche Schlüsse daraus zu ziehen sind, erklärte Casas Klett im Interview. Eines schickt der Experte für Internationales Management voraus. „Wir sind apolitisch. Wir sind nicht links, wir sind nicht rechts – jedes Lager kann Wert schaffen.“ Bemerkenswert auch: Demokratie ist im EQx ein Faktor von vielen. Dahinter steht eine neue Entwicklungstheorie der Wirtschaft, eine „Elite Theory“.
Deutschlands kleine und mittlere Unternehmen „Weltspitze“ – Index zeigt dennoch Probleme
Herr Casas Klett, Sie versuchen, die Qualität von Eliten zu messen – am Maßstab, ob ihre Arbeit nur persönlichen Vorteil bringt, oder auch den Mitmenschen. Wie macht man das?
Ganz wichtig ist: Wir messen die Qualität der „Eliten“ – nicht die von Einzelpersonen. Wir reden also nicht über Elon Musk, sondern über SpaceX, Tesla oder X, wir analysieren die „Geschäftsmodelle“ der Eliten. Genau da liegt ein Problem in der öffentlichen Debatte. In der Öffentlichkeit redet man oft über Eliten als Personen, also psychologischer Größen, aber nicht über ihre Geschäftsmodelle. Die sind es aber, die Wert schaffen – oder eben nicht. Die Frage ist zum Beispiel: Warum kann SpaceX mehr als die NASA?
Und warum kann es das, aus Ihrer Sicht?
Weil sein Geschäftsmodell den Wert, den die Software-Kodierer oder -Architekten schaffen, besser koordinieren kann. Deshalb können SpaceX-Raketen Sachen, die jene der NASA nicht können. Eliten realisieren das Wachstumspotenzial einer Gesellschaft, in dem sie Koordinationskapazitäten anbieten. Deutschlands Forschung ist da auch ein Beispiel.
Kein positives vermutlich?
Viele deutsche Universitäten erzeugen im Technologie-Bereich weltweit führendes Wissen. Die TU oder LMU München etwa haben zunächst mal genauso viel und genauso gute KI-Leute wie das MIT in den USA. Aber es gibt in Deutschland kein Risikokapital-Elitengeschäftsmodell, das diese Potenziale hebt. Jedenfalls nicht in dem Maße wie in den USA oder sogar in China. Andererseits sieht man aber auch im EQx ganz klar: Der US-amerikanische Staat ist nicht in der Lage, Wert zu schaffen. Singapur, Südkorea, Japan, aber auch Deutschland haben hingegen politische Geschäftsmodelle, die im Gesundheitswesen, bei Fachkräfteausbildung oder öffentlicher Sicherheit erheblichen Wert schaffen.
Zunächst einmal: Was hat die US-Wirtschaft der deutschen voraus?
Ein Problem in Deutschlands Wirtschaft ist, dass es keine Elitenzirkulation, keinen Austausch der Eliten, gibt. Deutschland hatte mit den neuen Industrien im 19. Jahrhundert einst eine sehr dynamische Entwicklung, frisches Blut wertschöpferischer Emporkömmlinge bei Stahl, Chemie oder Pharma. Die Autoindustrie war in der Nachkriegszeit und jahrzehntelang unheimlich wertschöpferisch und ist weiterhin sehr mächtig.
Aber?
Aber Deutschland fährt dieses Geschäftsmodell des 19. und 20. Jahrhunderts weiter. Seine Eliten schaffen es nicht, mit der Ungewissheit und den Verhältnissen des 21. Jahrhunderts zurechtzukommen und zu skalieren. Es gibt kein „Big Tech“, kein „Big Finance“. Da sind wir auch wieder beim Beispiel KI: Es gibt genug finanzielles und menschliches Kapital in Deutschland, aber am Ende fließt es in US-Finanzdienstleistungsfirmen mit Geschäftsmodellen, die Forschungsergebnisse und Ideen in Produkte umsetzen können. Diesen Eliten-Vorteil haben die USA – davon profitieren sie auch sehr stark im Ranking, anderen Schwächen zum Trotz. Ihn hat übrigens auch China. Die beiden Länder sind sich da sehr, sehr ähnlich.
Die USA und China, tatsächlich?
Wenn man genauer hinschaut, sieht man: China hat in den letzten 40 Jahren in jedem Jahrzehnt neue Eliten-Geschäftsmodelle entwickelt. Früher hat es Sportschuhe und Spielzeug produziert, dann gab es Stahlwerke und Schwerindustrie, dann war es eine Weile die Immobilienwirtschaft, dann Alibaba, Tencent und E-Commerce, jetzt Elektrofahrzeuge, Clean-Energy oder Roboter. Diese Wandlungsfähigkeit ist auch ein Vorteil der Amerikaner. Wobei man mit Trump abwarten muss. Er hat eine neue Zirkulation der Eliten in Gang gesetzt und enorm beschleunigt. Die Frage ist, ob das im Wertschöpferischen Fort- oder Rückschritte zur Folge haben wird.
Der „Elite Quality Report“
Seit 2020 veröffentlicht Tomas Casas Klett mit Guido Cozzi und einem fachübergreifenden Team aus Wirtschaftswissenschaftlern, Management- und Finanzexperten an der für ihre Wirtschaftsforschung renommierten Universität St. Gallen (HSG) den „EQx“. Der Index fußt auf einem Grundgedanken: Gute „Eliten-Geschäftsmodelle“ – in Wirtschaft wie Politik – mobilisieren menschliche, finanzielle und Wissens-Potenziale und schaffen damit mehr Allgemeinwohl, als sie Nutzen für sich abschöpfen. Schlechte vereinnahmen Werte für sich oder transferieren sie nur und erhöhen damit politische und wirtschaftliche Risiken. Die zugrundeliegenden Daten für 149 Indikatoren stammen etwa aus dem „Rule of Law Index“, von der Weltbank oder dem Weltwirtschaftsforum.
Neben dem Gesamtranking betrachtet der EQx auch die Faktoren „Macht“ und „Wert“ – wirtschaftlich und politisch. Dabei geht es etwa darum, ob Machtwechsel und „kreative Zerstörung“ möglich sind und ob Eliten Wert schaffen.
Ausgewählte Rankings in den Kern-Kategorien:
EQx gesamt: 1. Singapur, 2. USA (+ 14 Plätze zum Vorjahresranking), 3. Schweiz (-1), ... 6. Katar (+ 12), (...) 8. Deutschland, (...) 36. Italien (-5), 42. Ungarn (-2), 57. Saudi-Arabien (-3), 84. Türkei (-22), 99. Russland (+4), 114. Ukraine (-6), 151. Afghanistan (-4).
Subindex „Macht“ (politisch und wirtschaftlich): 1. USA (+1), 2. Deutschland (+2), 3. Kanada (+3) (...), 60. Ukraine (-5), 75. Türkei (-9), 106. Russland (-31), 151. Afghanistan (-3)
Subindex „Wert“: 1. Singapur, 2. Katar (+1), 3. Schweiz (-1), 6. Vereinigte Arabische Emirate (+18), 19. Deutschland (-2), 93. Russland (+27), 94. Türkei (-28), 138. Ukraine (0), 151. Haiti (-1).
Deutschland sorgt sich stark um seine Zukunftsfähigkeit. Dabei liegt es im EQx gar nicht so schlecht. Was täuscht, das Gefühl oder der Ranking-Platz?
Im Ranking des „politischen” Wertes liegt Deutschland auf Platz 13, beim wirtschaftlichen Wert auf 23. Im Bereich „Macht” liegt Deutschland sogar auf Platz 2 – das bedeutet, dass es große politische Konkurrenz gibt, ein sehr gutes institutionelles System. Die Deutschen haben allen Grund, darauf stolz zu sein. Die relativen Versager sind die Wirtschaftseliten. Nicht die kleinen und mittleren Unternehmen, die sind Weltspitze. Sondern die großen Unternehmen. Die sind ultrakonservativ. Bürokratien. Sie haben oft mittelmäßige Strategien und mangelhafte Kreativität – man kann sie nicht mit den Riesen aus USA oder China vergleichen. Trotz der weltbesten KI-Forschung, Ärzte, Ingenieure und vor allem der hochproduktiven deutschen Arbeiter stagniert die Wirtschaft.
Was also tun, aus Ihrer Sicht?
Diese Wirtschaftseliten sind durch bürokratische Prozesse an ihre Posten gekommen. Nötig wären Leute, die unternehmerisch denken und das Konzept Risiko verstehen: Wer nichts wagt, der nichts gewinnt. Früher waren deutsche Unternehmer risikofreudig, heute ist es das genaue Gegenteil. Aber auch das Pensions- und Rentenkassen-System ist ein Desaster, weil es Kapitalakkumulation und Investition in risikoreiche Projekte nicht unterstützt. In den USA dürfen seit 1979 Pensionskassen in Risikokapital-Fonds investieren. Ohne dieses Kapital gäbe es kein Silicon Valley, wie wir es kennen.
Deutschland punktet im „EQx“ bei Bildung, Gesundheit, Politik – „Etwas sehr Positives“
Auf der anderen Seite liegt Deutschland in einem weiteren Ihrer Indizes, dem „Next-Gen-Value-Barometer” ganz ausgezeichnet. Das sollte doch eigentlich für gute Zukunftsaussichten sprechen?
Richtig. Und das ist eine Schwäche der USA und Chinas: Man muss die Wirtschaft von heute und die von morgen ausbalancieren. Das Bildungs-, das Gesundheitssystem sind in Deutschland und Europa sehr viel besser. Man gibt der nächsten Generation relativ viel mit. Das ist etwas sehr Positives. Aber es kostet auch Ressourcen und Risikobereitschaft, um jetzt Wert zu schaffen. Wir glauben aber, dass es möglich wäre, beide Stärken miteinander zu kombinieren.
Wie sähe das aus?
China ist auf diesem Weg, Singapur hat es schon realisiert. Singapur hat eine sehr gute Wertschöpfung der Eliten, aber auch ein sehr starkes Sozialsystem.
Was mich überrascht hat: Ihr Report nennt Katar als „steigenden Stern” des Rankings. Dabei ist Erdölförderung ein sehr endliches Modell. Und es gibt dort in Sachen Arbeitsverhältnisse und Demokratie bekanntermaßen große Mängel.
Die arabischen Länder haben historisch eine tief verwurzelte globale Handelstradition. Heute erhalten sie massive Investitionen aus China, sind aber oftmals auch gute Freunde des Westens; sie betreiben Geschäfte mit Indien, mit Russland, mit Afrika. Sie sind also sehr offen und international orientiert. Und sie nutzen ihre angesammelten Reserven, um sich vom alten Geschäftsmodell zu lösen. Statt Öl werden sie Europa KI-Tokens liefern. Das könnte funktionieren, aber weitere Reformen sind nötig.
Demokratie ist also gar kein so entscheidender Faktor für Ihre Bewertung?
Zentral für die Bewertung ist: Man muss Wert für die Allgemeinheit schaffen, statt ihn der Gesellschaft zu entziehen – also zu „extrahieren“. In einigen Demokratien sind die Geschäftsmodelle sehr extraktiv und in einigen autoritären Systemen weniger. Demokratie ist wichtig, weil sie Konkurrenz im politischen Feld schafft. Dass politische Geschäftsmodelle Wert schaffen – jetzt und morgen – ist entscheidend. Europa muss vorsichtig sein. Wenn Demokratien extraktiv werden, etwa durch Inflation, übermäßige Barrieren und Regulierungen, geraten sie ins Hintertreffen.
Es geht Ihnen also explizit nicht um eine Maßgabe in Sachen Demokratie, sondern um eine reine Beschreibung des Ist-Zustands, vor allem des geschaffenen Werts für die jeweilige Bevölkerung?
Absolut. In Demokratien gibt es mehr politische Konkurrenz – und Konkurrenz ist immer gut. Aber bei uns ist Singapur die Nummer Eins. Dort hat in den vergangenen 60 Jahren immer dieselbe Partei die Wahl gewonnen, bei Joe Bidens „World Democracy Summit“ zählte das Land nicht zu den 110 Eingeladenen. Deshalb verliert Singapur in der Machtindikatoren-Wertung Punkte. Aber es kompensiert das, weil es unheimlich viel Wert schafft. Sowohl die Regierung, als auch die Unternehmen. China würde gerne dorthin kommen. Im Politische-Macht-Ranking schneidet China als 68. von 151 Staaten übrigens erheblich besser ab, als etwa Russland als 129. – auch weil es sehr viel dezentralisierter ist, als wir im Westen denken.
Ukraine leidet im Krieg – und auch im Ranking: Experte sieht wichtigen Faktor für Wiederaufbau
Sie haben Russland angesprochen. Ins Auge sticht: Russland und das Opfer seines Angriffskrieges, die Ukraine, schneiden im Ranking beide schlecht ab – obwohl sie sehr unterschiedliche Systeme und Ausrichtungen haben. Wie großen Einfluss haben im Ranking Faktoren von außen, etwa ein zerstörerischen Angriff?
Das hat im Falle der Ukraine tatsächlich mit dem Krieg zu tun. Weil alle Ressourcen der Verteidigung gewidmet werden müssen. Krieg ist ein außerordentlich extraktives und tragisches Geschäftsmodell. Junge Leute sind an der Front, kämpfen oder sterben, sie könne keine Unternehmen gründen oder mit ihrer Arbeit die Wirtschaft unterstützen. Die Ukraine hat zwar beispielsweise die beste Drohnenabwehr der Welt entwickelt – aber der Krieg ist ein Schock, eine Katastrophe. Da muss man jetzt früh an den Wiederaufbau denken. Zentrale Fragen sind: Wo kommen die Ressourcen dafür her? Und wo fließen Sie hin?
Haben Sie eine Antwort auf diese Fragen?
Das Geld muss aus dem Westen kommen, aus Europa und auch aus Deutschlands Staatskasse. Dass die Amerikaner viel geben werden, glaube ich nicht. Dann ist eben wichtig, wer in der Ukraine das Geld bekommt. Es gibt hunderte von Firmen, die Subventionen, Darlehen oder Staatsaufträge wollen und brauchen. Das darf nicht auf Basis von Connections passieren. Man muss Eliten mit wertschöpferischen Geschäftsmodelle unterstützen. Ohne Wertschöpfung und ohne Eliten wird es keinen Wiederaufbau geben. Dafür entwickeln wir übrigens ein „Value Creation Rating“ über Wirtschaftsunternehmen: Man kann auch das messen. (Interview: Florian Naumann)