Wieder eine Empörungswelle. Wieder Thomas Gottschalk. Aber: Moment mal: Ich bin Jahrgang 1972. Ein klassisches Exemplar der Generation Golf. Wir sind Kinder des Fernsehens, nicht der Feeds. Für uns kam das Programm nicht durch einen Algorithmus, sondern aus einem Gerät, das warm wurde, wenn man es anmachte.
„Na sowas“ gehörte zu den frühen Kultursäulen meiner Jugend. Mein Vater nannte Thomas Gottschalk damals den „langhaarigen Bombenleger“ – halb irritiert, halb fasziniert. Und genau das war sein Zauber: ein Showmaster, der Regeln dehnte, um Unterhaltung zu erzeugen. Kein Performer, der Inhalte verkaufte, sondern ein Unterhalter, der Atmosphäre machte.
Gottschalk gehört für viele von uns zum Leben wie der Geruch von VHS-Kassetten
Später übernahm er „Wetten, dass..?“ von Frank Elstner, er hob die Sendung auf ein Niveau, das man heute nur noch in nostalgisch weichgezeichneten Erinnerungen findet. Diese Momente schufen ein Wir-Gefühl, wie es heute kaum noch existiert. Deshalb darf ich ganz persönlich sagen: Thomas Gottschalk gehört für viele von uns zum Leben wie der Geruch von VHS-Hüllen oder das Geräusch des Einwahlmodems. Deshalb verzeihe ich ihm alles.
Nun lief mein Postfach über, weil Menschen schrieben: „Sag doch mal was dazu“. Dafür lohnt ein genauer Blick auf Gottschalks Auftreten beim BAMBI.
Ein Satz, der zum Raunen führte
Der Auslöser ist bekannt: Gottschalk kündigte Cher an mit den Worten: „Hier ist sie, die einzige Frau, die ich in meinem Leben ernst genommen habe.“
Ein Satz wie ein Stolperstein – rhetorisch heikel, improvisiert, und so leicht zu missverstehen. Als Kompliment gemeint, als Abwertung anderer Frauen verstanden. Das Publikum reagierte mit ein paar Buhrufen. Der Saal, auf Glamour eingestellt, bekam plötzlich kommunikative Schwerkraft.
Gottschalk korrigierte sich, ohne Ausflüchte
Gottschalk wirkte an diesem Abend fahrig, verhaspelt, fast ein wenig verloren im Licht. Etwas neben sich. Er sprach danach auch offen drüber. Kein Teleprompter, viel Improvisation, wenig Vorbereitung. Normalerweise war das immer seine Stärke. Dieses Mal nicht. Er korrigierte sich später, entschuldigte sich klar und ohne Ausflüchte – ein Verhalten, das man heute seltener sieht als ein Faxgerät in freier Wildbahn.
Doch damit begann erst die eigentliche Show: die Empörung nach der Empörung. Manche Medien beschrieben Gottschalk als „desorientiert“, als „überfordert“, als „fremdschämig“. Die sozialen Netzwerke befeuerten die Dynamik: Zusammengeschnittene Ausschnitte, etliche Memes, schnelle Urteile, immer dabei: ganz viel Häme.
Empörung heute die Währung ist, die am schnellsten Rendite bringt
Und wie so oft, wenn eine Ikone schwächelt, zeigt die digitale Öffentlichkeit eine bemerkenswerte Leidenschaft dafür, Menschen nicht nur zu kritisieren, sondern sie gleich komplett aus ihrer bisherigen Biografie herauszulösen.
Eigentlich liebt Deutschland seine Helden. Aber Deutschland liebt es noch mehr, wenn diese Helden straucheln. Weil es sich moralisch dann gut anfühlt? Vielleicht, weil es die eigene Bedeutung erhöht. Vielleicht, weil Empörung heute die Währung ist, die am schnellsten Rendite bringt.
Gottschalks Satz öffnete den Raum für Missverständnisse
Eine Laudatio ist dramaturgisch eindeutig: Bühne frei für die zu Ehrende. Doch Gottschalk verschob mit seinem Satz den Fokus auf sich selbst.
Diese Rollenverwechslung öffnete den Raum für Missverständnisse. Der Humor, den er seit Jahrzehnten lebt, ist ein Humor aus einer Zeit, in der man sprachliche Grenzen anders setzte – nicht härter, nicht leichter, nur anders.
Der Gottschalk-Moment: Ein Spiegel dafür, wie sehr wir im permanenten Alarmmodus sprechen
Heute dagegen ist Sprache Vermessungsgebiet. Jede Pointe wird seziert, jede Ironie gewogen, jede Übertreibung auf Gesinnung abgeklopft. Ein Unterhalter, der in diesem Klima improvisiert, spielt ohne Netz. Das ist nicht gefährlich. Aber es ist riskant.
Der BAMBI-Moment ist weniger ein Fallbeispiel für Gottschalks Unfähigkeit, sondern ein Spiegel dafür, wie sehr wir als Gesellschaft im permanenten Alarmmodus sprechen. Dieser Fauxpas beschädigt seine Karriere nicht. Gottschalk hat längst den Status, bei dem einzelne Sätze keine Biografie mehr umschreiben.
Aber dieser Moment zeigt, wie sehr Kommunikationskulturen auseinanderdriften: Auf der einen Seite eine Generation, die mit Spontaneität und Humor aufgewachsen ist. Auf der anderen Seite eine Gesellschaft, die mit Achtsamkeit und sprachlicher Präzision neue Maßstäbe setzt.
Wir sollten den Moment nicht Skandal betrachten. Sondern als Chance, uns zu hinterfragen
Beides hat seine Berechtigung. Beides braucht Dialog. Und beides kollidiert – besonders dann, wenn ein 73-jähriger Showmaster improvisiert, während Millionen Menschen in Echtzeit ihre Empörung sortieren.
Vielleicht sollten wir diesen Moment weniger als Skandal betrachten und mehr als Gelegenheit, uns selbst zu hinterfragen: Warum urteilen wir so schnell? Warum sind wir so streng mit anderen und so großzügig mit uns selbst? Und weshalb fällt es uns schwer, einen Fehler einfach als das zu sehen, was er oft ist: ein Fehler.
Wenn wir anfangen, Unterhalter zu behandeln, als wären sie Gesetzgeber, dann verlieren wir nicht nur die Freude an der Unterhaltung. Sondern den Sinn für das Menschliche.
Michael Ehlers ist Rhetoriktrainer, Bestsellerautor und Geschäftsführer der Institut Michael Ehlers GmbH. Er coacht Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Sport und Medien. Er ist Teil unseres EXPERTS Circle. Die Inhalte stellen seine persönliche Auffassung auf Basis seiner individuellen Expertise dar.