„Das ist der Kreislauf hier“: Was auf Mallorca passiert, wenn die Touristen weg sind

Anfang November in Cala Millor. Wo vor wenigen Wochen noch Kinder im Sand buddelten und deutsche Stimmen aus den Strandbars hallten, weht jetzt nur der Wind über den fast menschenleeren Strand. 

Der letzte Beachclub in dem Ferienort an der Ostküste Mallorcas hat zugemacht, die Sonnenliegen sind längst wieder im Winterlager, Restaurants und Bars sind verrammelt, viele Straßenzüge wirken wie ausgestorben. Mallorca atmet aus – nach einem Sommer mit Millionen Besuchern. Bis Ende September wurden 13,7 Millionen internationale Besucher gezählt – ein Plus von etwa drei Prozent zum Vorjahr. Allein fünf Millionen Besucher kamen aus Deutschland.

Mallorca im Winter: Zwischen Erholung und Existenzangst

„Man spürt richtig, wie die Insel jetzt runterfährt“, sagt Juan Carlos aus Inca, der in der Hochsaison in einem Hotel in Alcúdia arbeitet. „Im Sommer arbeite ich 60 Stunden pro Woche. Jetzt habe ich zum ersten Mal Zeit, durchzuatmen. Aber die Zeit des Geldverdienens ist jetzt auch erst mal wieder vorbei.“ Wie Juan Carlos geht es vielen. Denn wenn die Touristen abreisen, kehrt Ruhe ein – aber auch Unsicherheit.

Was für Besucher nach Idylle klingt, ist für viele Inselbewohner wirtschaftlicher Stillstand. Hotels schließen, Strandbuden verriegeln ihre Tore, Saisonkräfte werden entlassen. Wer Glück hat, bekommt Arbeitslosengeld. Andere leben von Erspartem oder wechseln auf den Bau oder in den Handel.

„Das ist der Kreislauf hier“, sagt José, Taxifahrer aus Llucmajor. „Im Sommer geht’s rund, im Winter wartest du auf den Frühling.“

Die Regierung versucht, den Tourismus zu entzerren – etwa mit Wander- und Radsportkampagnen, um mehr Gäste im Winter anzulocken. Weil in diesem Jahr zudem weniger Besucher aus Deutschland kamen, will man künftig neue Gäste aus Osteuropa, Südostasien und vor allem aus Amerika und Kanada auf die Insel locken. Doch die Realität sieht anders aus: Während die Strände im August zum Teil überfüllt sind, bleiben im Winter nur rund 20 Prozent der Inselhotels geöffnet.

Mallorca
Die Strände auf Mallorca sind im Winter oft menschenleer. imago

Wenn Mallorca wieder den Mallorquinern gehört

Gleichzeitig beginnt für viele Inselbewohner die schönste Zeit des Jahres. Viele Mallorquiner gehen nun wieder in die Bars, die im Sommer zu voll sind. Überall hört man mallorquin, die Kellner haben wieder Zeit für einen Plausch mit ihren Gästen. In Orten wie Artà, Sóller oder Santanyí erwacht das ursprüngliche Leben. Auf den Plätzen sitzen ältere Männer in der Sonne, Kinder spielen auf der Straße. Die Insel wird wieder langsamer – und echter.

„Ich liebe den Winter hier“, sagt Katharina, 43, Deutsche, die seit acht Jahren auf Mallorca lebt. „Jetzt ist alles viel entspannter. Die Sonne ist weicher, die Insel grüner, in der Luft liegt der Geruch von Lager- und Kaminfeuern – das ist einfach magisch und authentisch.“

Mallorca
Das Landesinnere von Mallorca an einem sonnigen Wintertag. imago

Neues Leben in der Nebensaison

Ganz ausgestorben ist Mallorca im Winter freilich längst nicht mehr. Immer mehr digitale Nomaden und Langzeiturlauber entdecken die Insel in der ruhigen Jahreszeit. Coworking-Spaces in Palma, Yoga-Fincas in der Tramuntana und kleine Boutique-Hotels öffnen inzwischen das ganze Jahr. Die Besucher kommen mitunter für einige Wochen, um dem schlechten Wetter in Deutschland zu entfliehen. 

Auch kulturell tut sich in der Nebensaison einiges auf Mallorca: Jazzfestivals in Palma, Kunstmärkte in Deià, Oliven- und Mandelfeste in den Dörfern oder Mallorcas größtes Stadtfest – die Dijous Bou in Inca – zieht viele Besucher an. Der Winter wird zur Zeit der Einheimischen – und derer, die Mallorca wirklich kennenlernen wollen.

Palma
Die Playa de Palma im Winter. imago

Zwischen Sehnsucht und Realität

Doch die Insel kämpft mit einem Dilemma. Einerseits soll der Tourismus ganzjährig belebt werden, andererseits sehnen sich viele nach genau dieser Ruhe. „Wir brauchen Besucher, aber nicht zu viele“, sagt Juan Carlos, der Angestellte aus dem Hotel in Alcúdia. „Im Winter ist es zu still, im Sommer zu laut. Irgendwo dazwischen wäre ideal.“

Tourismusforscher sprechen längst von einer notwendigen Neuverteilung der Saison. Ein nachhaltigeres Modell, das weniger von Spitzenmonaten abhängt, gilt als Ziel – aber noch fehlt die Infrastruktur.

Das wahre Mallorca zeigt sich im Winter

Wer im November oder Dezember über die Insel fährt, erlebt ein anderes Mallorca: still, sonnig, oft 18 bis 20 Grad warm. Mandelbäume blühen schon im Januar, das Meer ist türkis, aber menschenleer. Die Sonne sinkt früh, und in den Bars von Inca oder Manacor riecht es nach Holzfeuer und Tapas.

Vielleicht ist der Winter die ehrlichste Jahreszeit hier. Keine Show, keine Selfies, keine All-Inclusive-Bändchen – nur Insel, Menschen und Meer. Wenn die Touristen weg sind, beginnt das echte Leben auf der Insel – langsamer, menschlicher, manchmal härter, aber auch authentischer. Für viele, die hier leben, ist das der Moment, in dem sie sich wieder in ihre Heimat verlieben. Und für Besucher, die die Stille mögen, ist es der beste Zeitpunkt, Mallorca wirklich zu entdecken. 

Wer einmal erlebt hat, wie still die Wellen im Dezember an den Strand rollen, der versteht, warum viele Einheimische sagen: „Mallorca gehört im Winter endlich wieder uns.“