Das E-Center in Offenburg verspricht ein Einkaufserlebnis der Extraklasse. Auf 5500 Quadratmetern Verkaufsfläche kann der Kunde in dem Supermarkt der Edeka-Gruppe, im Februar 2025 eröffnet, zwischen rund 55.000 Artikeln wählen. Auf der Unternehmenshomepage wird die kompetente Beratung an den insgesamt 56 Meter langen Bedientheken für Fleisch, Wurst, Käse und Fisch hervorgehoben.
Neben dem 110-köpfigen Team erwartet die Kundschaft vor allem eines: viel Technik. Acht Self-Scanning-Kassen stehen bereit, im ganzen Haus gibt es WLAN. Das ist wichtig, damit die Edeka-App reibungslos funktioniert – Treuepunkte sammeln, Coupons einlösen und natürlich am Payback-Bonusprogramm teilnehmen.
Für die Kunden ist das bequem, für Edeka ein effektives Instrument zur Kundenbindung und Datenauswertung.
Edeka: Die "Customer Journey" steigert den Umsatz
Früher endete der Einkauf im Supermarkt an der Kasse. Juristisch betrachtet handelte es sich schlicht um einen Kaufvertrag – Ware gegen Geld, Vertrag erfüllt. Doch diese einfache Transaktion gibt es heute kaum noch. Der Einkauf ist längst Teil einer vielschichtigen sogenannten „Customer Journey“, die weit über den Ladenbesuch hinausreicht.
Zwischen Kunde und Händler soll eine dauerhafte Beziehung entstehen – digital, personalisiert und datengetrieben. „Für Supermärkte bedeutet die Customer Journey: höhere Kundenzufriedenheit, effizientere Flächenbewirtschaftung und gesteigerter Umsatz“, erklärt Miriam Geppert.
Sie ist „Lead Shopper Experience“ bei der Beratungsfirma „GS1 Germany“ in Köln. Seit sechs Jahren berät sie Händler und Hersteller. Zudem gibt sie Schulungen, etwa im „The Shop“ – einem Test-Supermarkt. Drei Trends bestimmen die Zukunft: Nachhaltigkeit, digitale Touchpoints und die Verknüpfung von Online- und stationärem Handel. Im Mittelpunkt stehen Daten – genauer gesagt: Kundendaten. Programme wie Lidl Plus, die Rewe Card, Payback bei Edeka oder die Aldi-App liefern heute in Echtzeit Informationen darüber, wer wann was einkauft.
Statt sich nur auf Abverkaufszahlen zu stützen, können Händler ihr Sortiment nun nach tatsächlichen Verhaltensmustern und individuellen Vorlieben steuern. Nachhaltige oder regionale Produkte werden gezielt an solchen Standorten hervorgehoben, wo die Nachfrage besonders groß ist.
Wer in die App seiner Kundenkarte schaut, sieht Angebote und personalisierte Coupons, die auf das eigene Kaufprofil zugeschnitten sind. Oft verbunden mit günstigen Preisen. So wird der „Point of Sale“, der Verkaufsmoment, zum digitalen Kommunikationspunkt zwischen Händler und Kunde.
Wer die Daten besitzt, bestimmt
Die Händler sprechen von „Omnichannel-Integration“. Kritiker warnen allerdings, dass damit auch eine neue Form von Marktmacht entsteht – denn wer die Daten besitzt, bestimmt, was im Regal steht und zu welchem Preis. Der deutsche Lebensmittelhandel (LEH) wird vor allem von vier Unternehmen dominiert: Edeka, Rewe, Aldi und die Schwarz-Gruppe (Lidl/Kaufland) kontrollieren rund 85 Prozent des Marktes. Branchenprimus ist Edeka mit 11.000 Filialen in Deutschland. Die Folge ist eine nie dagewesene Marktkonzentration.
Doch nicht alle sehen darin eine bedrohliche Entwicklung. Michael Gerling, Geschäftsführer des „EHI Retail Institute“, einer Kölner Einrichtung, die den Handel erforscht, hält die Sorge vor einer übermäßigen Konzentration für überzogen: „Allein die genossenschaftliche Struktur von Edeka und das Netz der selbstständigen Kaufleute bei Rewe zeigen, dass der Markt keineswegs von nur vier Konzernen dominiert wird.“
Wer verstehen will, warum die Händler heute so mächtig sind, muss zurückblicken: Bis 1973 herrschte in Deutschland eine Preisbindung. Hersteller legten damals verbindlich fest, was Händler verlangen durften – ein echter Wettbewerb über den Preis war ausgeschlossen. Erst mit der Aufhebung der Preisbindung am 1. Januar 1974 änderte sich das grundlegend. Mit der Ölkrise Mitte der 1970er-Jahre stiegen die Preise – ähnlich wie heute.
Die Verbraucher reagierten, griffen verstärkt zu günstigeren Alternativen. Vor allem der Discounter Aldi bediente diesen Bedarf – und setzte die preislichen Referenzgrößen für den gesamten Lebensmittelhandel.
Ein erbitterter Preiskampf
Seitdem herrscht in Deutschland ein erbitterter Preiskampf im Supermarkt. Die „Big Four“ stehen in einem ständigen Wettbewerb miteinander. Wie hart der für alle Akteure ist, erklärt Gerling: 2015 nahm Aldi die beliebte Sorte „Chipsfrisch ungarisch“ von „Intersnack“ ins feste Sortiment auf – zum Preis von 1,29 Euro. Kurz darauf senkte Lidl den Preis für sein Produkt auf 1,19 Euro.
Solche Preise kannte man im klassischen Supermarkt bis dahin nur aus Angeboten – der reguläre Verkaufspreis lag zuvor bei 1,99 Euro. Solche Bewegungen zwangen und zwingen andere Händler zur Anpassung. Bis heute sind die Folgen festgefahrener Preisverhandlungen für die Kunden sichtbar: Durch Lieferstopps verschwinden zeitweise Waren aus den Regalen. Früher stoppte meist der Handel die Lieferungen, inzwischen reagiert auch die Industrie: 2023 belieferte Coca-Cola Edeka vorübergehend nicht, aktuell ist es JDE Peet’s (u. a. Jacobs-Kaffee).
Die Macht verschiebt sich
Welche Auswirkungen das für Markenhersteller hat, weiß Andreas Gayk, stellvertretender Hauptgeschäftsführer vom Markenverband. Die Berliner Organisation ist eine Interessenvertretung von Markenunternehmen zu der rund 300 Mitglieder aus verschiedenen Branchen zählen.
Aus der Lebensmittelindustrie sind das u.a. Vivil, Henkel, Ritter Sport, Dr. Schär und Hochland. Für Gayk gibt es ein klares Ungleichgewicht, das sich durch die Umsatzanteile ergibt: „Während ein einzelner Hersteller bei einem großen Händler oft nur ein bis drei Prozent zu dessen Gesamtumsatz beiträgt, kann umgekehrt ein einziger großer Händler bei einem mittelständischen Hersteller 30 bis 40 Prozent des Umsatzes ausmachen.“
Der Verlust solcher Anteile könne für Hersteller existenzbedrohend sein – während Händler einen Verlust von ein Prozent leichter kompensieren könnten. Doch wie gefährlich ist dieses Oligopol aus Edeka, Rewe, Aldi und Lidl wirklich? In einer gemeinsamen Stellungnahme des Bundesministeriums für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat (BMLEH) und des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWE) gegenüber FOCUS online heißt es: „Zwar hat sich die Marktkonzentration im Bereich des LEH in den letzten Jahren etwas weiter erhöht, dennoch ist weiterhin Binnenwettbewerb zwischen den vier großen LEH-Unternehmen zu verzeichnen.“
Ministerium: "Funktionierender Wettbewerb"
Das Bundeskartellamt gehe derzeit etwaigen Anhaltspunkten für kartellrechtlich relevantes Verhalten nach, heißt es aus Berlin. Hinweise auf kartellrechtswidrige Absprachen gebe es keine. Auch sehe man momentan keinen politischen Handlungsbedarf: „Funktionierender Wettbewerb trägt gerade dazu bei, dass Unternehmen einen Anreiz haben, gute Produkte zu angemessenen Preisen anzubieten.“
Die aktuelle Kaufzurückhaltung der Kunden ist für die Händler nicht einfach. Seit dem Ukraine-Krieg 2022 und der folgenden Inflation ist die Preissensibilität der Verbraucher stark gestiegen, die Ausgabenbereitschaft „am Boden“, so Handelsexperte Gerling. Aktionsartikel, so sagt er, machen inzwischen fast 30 Prozent des Supermarktumsatzes aus – „ein gigantischer Wert“.
Gayk betont dagegen, dass der Handel gezielt mit sogenannten „Eckartikeln“ wie Butter oder Milch ein Bild von Preisgünstigkeit vermittelt. Die niedrigen Preise locken Kunden an – Gewinne werden dann an anderer Stelle im Warenkorb erzielt. „Die Monopolkommission hat in einer Voruntersuchung festgestellt, dass die Abgabepreise im Lebensmitteleinzelhandel selbst dann gestiegen sind, wenn die Abgabepreise der Hersteller gesunken sind – von der Differenz profitiert der Handel.“
Eine endgültige Bewertung steht noch aus – die Monopolkommission untersucht die Wettbewerbslage in der gesamten Lebensmittellieferkette derzeit in einem Sondergutachten, das Mitte November 2025 erscheinen soll. Während die Ministerien von funktionierendem Wettbewerb sprechen, zeigt sich die Macht des Handels heute vor allem digital. Treueprogramme, Apps und Bonuspunkte sind längst strategische Werkzeuge geworden – nicht nur für Markenbindung, sondern für Händlerloyalität.
„Payback ist kein Instrument zur Markenwerbung, sondern zur Händlerbindung“
So kritisiert Branchenkenner Gayk, dass Hersteller zunehmend für Programme zahlen müssen, von denen sie selbst kaum profitieren. „Edeka fordert etwa Geld aus der Payback-Kooperation – einen festen Prozentsatz vom Umsatz. Die Frage ist: Welchen Nutzen hat das überhaupt für den Hersteller?“ Für Gayk macht das Programm nur dann Sinn, „wenn tatsächlich valide Zahlen in großem Umfang an die Hersteller weitergegeben würden – Zahlen, die nicht ohnehin schon von Marktforschungsunternehmen wie Nielsen oder GfK verfügbar sind“. Und weiter: „Das grundlegende Problem ist: Hersteller interessiert vor allem, wie ihre Produkte insgesamt verkauft werden, unabhängig vom Händler.
Händler hingegen interessiert primär, wie viel sie selbst verkaufen, unabhängig vom Produkt. Hier entsteht ein klarer Interessenkonflikt.“ Der Unterschied zu klassischen Werbekostenzuschüssen sei gravierend: „Payback ist kein Instrument zur Markenwerbung, sondern zur Händlerbindung. Was hat der Hersteller davon, wenn der Kunde loyal zu Edeka ist?“
Unter dem Strich bedeuten solche Systeme: Hersteller zahlen, Kunden liefert Daten – und der Handel profitiert. So wird der Supermarkt zum Knotenpunkt eines digitalen Ökosystems, in dem jeder Scan, jeder Punkt, jeder Klick den Wettbewerb verdichtet. Was wir im Supermarkt sehen, ist das Ergebnis datengetriebener Marktanalysen – ein strategisch orchestrierter Kommunikations- und Preiskampf. Doch ein Großteil des Wettbewerbs spielt sich hinter den Kulissen ab – in den Produktionshallen, Verhandlungen und Eigenmarkenstrategien der Handelsriesen.