Der Beginn der COP30 in Belém markiert einen historischen Moment in der Geschichte der internationalen Klimaverhandlungen. Rund 50 Staats- und Regierungschefs sind bei der COP30 in Belém anwesend, darunter Gastgeber Lula da Silva (Brasilien), Bundeskanzler Friedrich Merz (Deutschland), Ursula von der Leyen (EU-Kommission), Vertreter aus Großbritannien, China, Indien, Südafrika und weiteren BRICS-Staaten. Die USA sind durch Präsident Trump nicht vertreten. Im Fokus stehen neben Brasilien vor allem China und die großen Schwellenländer als entscheidende Akteure der Konferenz.
Der Amazonas rückt ins Zentrum der Weltklimapolitik
Zum ersten Mal findet die UN-Klimakonferenz im Amazonasgebiet statt – einem der empfindlichsten Ökosysteme der Erde und Sinnbild des globalen Kampfes gegen Entwaldung und Erderwärmung. Die Symbolik ist eindeutig: Der Amazonas steht für den Zustand des Weltklimas, der Amazonasdschungel für das Gleichgewicht zwischen Mensch, Wirtschaft und Natur. Doch während die tropische Kulisse Hoffnung auf Erneuerung weckt, spiegeln sich in den klimatisierten Konferenzsälen dieselben alten Konfliktlinien zwischen Nord und Süd, zwischen Wohlstand und Verantwortung, zwischen Ambition und Realität.
Brasilien, Gastgeber und Hoffnungsträger zugleich, versucht, dem Prozess neues Vertrauen einzuhauchen. Nach Jahren der politischen Polarisierung unter vorherigen Regierungen hat Präsident Lula da Silva die internationale Bühne genutzt, um Brasilien als Moderatorin eines neuen multilateralen Klimadialogs zu positionieren.
Seine Regierung will den Amazonas wieder stärker schützen und zugleich als Labor für eine nachhaltige Entwicklung des Globalen Südens etablieren. Die Konferenz in Belém ist damit auch ein Test dafür, ob sich ökologische Glaubwürdigkeit und wirtschaftlicher Fortschritt miteinander verbinden lassen.
Mit dem ersten globalen Bestandsbericht, dem sogenannten Global Stocktake, liegen die Fakten offen auf dem Tisch: Weder sind die bisherigen nationalen Beiträge ausreichend, noch existiert eine verbindliche Perspektive, die das 1,5‑Grad‑Ziel erreichbar macht. Die Emissionen steigen, während die Anpassungsfinanzierung hinter den globalen Bedürfnissen zurückbleibt. In diesem Spannungsfeld gewinnt die Rolle der großen Schwellenländer an Bedeutung – allen voran China, Indien, Brasilien und Südafrika. Ihre Entscheidungen darüber, wie schnelles Wachstum, soziale Stabilität und Dekarbonisierung vereinbart werden können, prägen die Zukunft der globalen Klimapolitik.
In diesem Jahr kommen die Staaten bei der UN-Klimakonferenz in Belém zusammen, um über den weltweiten Kampf gegen die Klimakrise zu diskutieren.
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Die Agenda von Belém
Der offizielle Verhandlungsrahmen der COP30 umfasst die Umwandlung der bisherigen freiwilligen Klimaversprechen in konkrete Umsetzungsprogramme. Die Prioritäten sind klar definiert:
- Nationale Beiträge (NDCs) sollen für die Zeit nach 2030 verbindlicher gestaltet werden;
- Energie-, Industrie- und Verkehrssysteme müssen dekarbonisiert werden;
- und die weltweite Anpassungsfinanzierung soll auf jährlich 1,3 Billionen US‑Dollar anwachsen.
- Zusätzlich will Brasilien Fortschritte beim Fonds für „Verluste und Schäden“ erreichen, der von Entwicklungsländern als zentrales Gerechtigkeitssignal betrachtet wird.
Darüber hinaus rückt die Transparenz-Agenda ins Zentrum. Künftig sollen Emissionsdaten nach einheitlichen Standards veröffentlicht werden, um Vertrauen zwischen den Vertragsstaaten aufzubauen.
Gerade hier ist China ein viel beobachteter Akteur. Mit seiner neuen Zielsetzung, die nationalen Emissionen bis 2035 um sieben bis zehn Prozent gegenüber dem Höchststand zu reduzieren, hat die Volksrepublik ein messbares, wenngleich vorsichtig formuliertes Ziel eingeführt. Während die EU diese Schrittfolge als unzureichend einstuft, sehen viele Länder des Globalen Südens darin ein pragmatisches Gleichgewicht zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und Klimaschutz.
Belém zeigt eine tektonische Verschiebung in der internationalen Klimadiplomatie. Die traditionellen Führungsmächte – USA und EU – stehen vor internen Belastungen. Die Vereinigten Staaten haben sich unter der neuen Administration weitgehend aus der aktiven multilateralen Klimapolitik zurückgezogen. Die EU kämpft mit wirtschaftlichem Druck, Energieabhängigkeiten und politischer Uneinigkeit zwischen Mitgliedstaaten, die den gemeinsamen Ton gegenüber China erschweren.
In diesem Vakuum streben Schwellenländer nach größerem Einfluss. Brasilien, China und Indien nehmen dabei eine koordinierende Rolle ein, die auf Kooperation, aber auch auf eigenständigem Selbstverständnis beruht. Die BRICS-Staaten betonen den Vorrang von Gerechtigkeit, Anpassungsfähigkeit und Entwicklungsspielraum.
Für viele Länder in Afrika, Lateinamerika und Südostasien sind diese Positionen attraktiver als westliche Forderungen nach schneller Dekarbonisierung, die oft mit Handelsbarrieren wie dem europäischen CO₂‑Grenzausgleichssystem verknüpft sind.
China versucht, seine internationale Position mit einer diplomatisch kalkulierten Mischung aus Eigenständigkeit und Partnerschaft auszubauen. Die 2035‑Strategie soll der Startpunkt eines neuen Modells werden, das grünes Wachstum, Technologieexporte und Süd‑Süd‑Kooperation verbindet. Ziel ist es, die eigene wirtschaftliche Stärke in politische Glaubwürdigkeit zu übersetzen. Dazu gehören Programme für erneuerbare Energien in Afrika, Kooperationen zur Anpassungsfinanzierung in Asien und Unterstützung lateinamerikanischer Staaten bei nachhaltiger Infrastruktur.
Brasilien wiederum will mit seiner Rolle als Vermittler und moralischer Akteur punkten. Der Schutz des Amazonas bleibt innenpolitisch ein heikles Thema – wirtschaftliche Interessen, Agrarlobby und soziale Ungleichheit stehen der Vision des globalen Vorbilds entgegen. Dennoch gilt Belém als Versuch, Politik und Realität miteinander zu versöhnen: durch lokale Projekte zur Wiederaufforstung, durch internationale Fonds und durch Dialog mit beiden Lagern, Industrie- wie Entwicklungsländern.
Konfliktlinien und Chancen
Das zentrale Problem der Klimadiplomatie bleibt unverändert: die Glaubwürdigkeitslücke zwischen Ankündigungen und Umsetzung. Die Industrieländer haben ihr Versprechen, jährlich 100 Milliarden Dollar an Klimafinanzierung bereitzustellen, nur teilweise erfüllt. Gleichzeitig bleibt unklar, wie neue Finanzmechanismen – öffentliche Banken, private Kapitalmärkte, Klimaanleihen – dauerhaft zur Stabilisierung beitragen können. China und Brasilien drängen darauf, multilaterale Entwicklungsbanken stärker einzubinden und den Fokus von kurzfristiger Projektfinanzierung auf langfristigen Strukturwandel zu verlagern.
Technologische Zusammenarbeit bietet theoretisch ein Gegengewicht zu den politischen Spannungen, ist aber praktisch schwer umzusetzen. Fragen des geistigen Eigentums und die Abhängigkeit von Lieferketten verhindern oft, dass saubere Technologien schnell global verbreitet werden. Ein Ansatzpunkt könnte der Aufbau gemeinsamer Produktionskapazitäten in Lateinamerika oder Afrika sein – ein Modell, das sowohl lokale Arbeitsplätze schafft als auch den Exportdruck senkt.
Hinter technischen Differenzen steckt zunehmend ein geopolitischer Unterton. Die Verhandlungen in Belém sind mehr als ein Klimagipfel: Sie sind ein Schauplatz einer neuen Weltordnung, in der Machtverhältnisse, wirtschaftliche Interessen und normative Ansprüche miteinander konkurrieren. Während westliche Länder auf Regeln und Märkte setzen, betonen Brasilien und China Solidarität, Respekt und Eigenverantwortung. Ob diese Narrative zusammenfinden, hängt von der Fähigkeit ab, Vertrauen in gemeinsamen Strukturen zu verankern – nicht nur in Lippenbekenntnissen.
Unsere Zukunft
Die Ergebnisse von Belém werden über den künftigen Kurs des internationalen Klimasystems entscheiden. Drei Szenarien zeichnen sich ab: Ein Erfolg – etwa durch Einigung auf verbindliche Finanzierungspfade und neue Transparenzmechanismen – könnte die Glaubwürdigkeit des Pariser Abkommens festigen. Ein moderater Fortschritt würde Stabilität sichern, aber die Dynamik begrenzen. Ein Scheitern hingegen würde das Vertrauen in multilaterale Prozesse weiter aushöhlen und eine Renaissance nationalistischer Energiepolitik befördern.
Für Brasilien steht dabei nicht nur klimapolitisches, sondern auch diplomatisches Kapital auf dem Spiel: Gelingt es, die Konferenz als inklusives Forum zu etablieren, wächst die Chance, dass Belém als Ort der Erneuerung in Erinnerung bleibt. Für China wiederum bedeutet die COP30 einen Test seiner neuen Rolle: zwischen ehrgeizigem Führungsanspruch und dem Versprechen, Entwicklungsländern auf Augenhöhe zu begegnen.
Ob Belém zum Wendepunkt oder zur vertanen Gelegenheit wird, entscheidet sich an der Glaubwürdigkeit des Handelns. Der Amazonas sendet ein klares Signal – wer seine Zerstörung stoppt, schützt mehr als nur ein Ökosystem. Er schützt das Vertrauen in die Fähigkeit der Menschheit, gemeinsam auf eine lebenswerte Zukunft hinzuarbeiten.
Dr. Berthold Kuhn ist Politikwissenschaftler mit Promotion in Leipzig und Habilitation in Berlin. Er berät internationale Organisationen und Denkfabriken zu nachhaltiger Entwicklung. Er ist Teil unseres EXPERTS Circle. Die Inhalte stellen seine persönliche Auffassung auf Basis seiner individuellen Expertise dar.