Das Buch von Michaela Bayer aus Hausham und ihrer Kollegin Sara Loy schildert, wie Palliativpflege Ängste nimmt und neue Perspektiven für Angehörige eröffnet.
Hausham/München – Als Michaela Bayer 2012 zum ersten Mal die Palliativstation betritt, ist sie gerade volljährig. Und doch fühlt die Auszubildende etwas, das ihren weiteren Lebensweg prägen sollte: „Ich habe gespürt, dass ich angekommen bin“, erzählt die heute 31-jährige Haushamerin. Zwölf Jahre später geht auch Verena Schörner diesen Weg – als Begleiterin ihres schwerkranken Vaters. Und auch sie hat dieses warme, wohltuende Gefühl: „Für uns war es wie ein Segen“, erinnert sich die Verlegerin. „Ein Ort, an dem einem die Angst vor dem Tod genommen wird.“ Und weil sie diese Erfahrung nicht für sich behalten möchte, beschließt sie, dass es ein Buch darüber braucht. Über den Instagram-Kanal „elsa.palliative.care“ wird sie auf Bayer und ihre Kollegin Sara Loy aufmerksam – und hat damit ihre Autorinnen gefunden.
Eine Patientin hat mal zu mir gesagt, dass ich wie eine Hebamme bin – nur am anderen Ende des Lebens. Ein sehr schönes Bild, finde ich.
Anfang dieses Jahres haben die beiden Palliativpflegerinnen am Klinikum Großhadern mit dem Schreiben begonnen, kürzlich ist ihr Erstlingswerk „Am Ende zählt das JETZT“ in Schörners Münchner Komplett Media-Verlag erschienen. In nur wenigen Wochen war die Erstauflage von 3000 Stück verkauft – und das Buch auf der Spiegel-Bestsellerliste gelandet. „Einfach nur unglaublich“, schwärmt Bayer, die selbst gern liest und dabei auch auf Empfehlungen des Spiegel zurückgreift. Dass jetzt ihr eigenes, 200 Seiten dickes Buch den bekannten roten Sticker auf dem Cover tragen darf, fühlt sich für sie noch ziemlich unwirklich an. „Vor allem jetzt im Oktober, wo es ja so viele tolle Neuerscheinungen gibt“, betont die Haushamerin, die auch als Trauerrednerin arbeitet.
Autorinnen als „Pflegerinnen des Jahres 2022“ ausgezeichnet
Was sie mit ihrem Buch erreichen wollen, darüber waren sich die beiden 2022 als „Pflegerinnen des Jahres“ ausgezeichneten Autorinnen und ihre Verlegerin schnell einig: den Menschen zeigen, wie Palliative Care nicht nur das Sterben begleitet, sondern das Leben in den Mittelpunkt rückt. Geschichten erzählen, die unter die Haut gehen, ohne künstlich auf die Tränendrüse zu drücken. Von klaren Momenten, tiefen Gefühlen und übersinnlichen Erlebnissen, von Ritualen, die tragen, und von Augenblicken voller Humor, Leichtigkeit, Würde und Selbstbestimmtheit – mitten im Abschied. So vielfältig wie die Kapitel, die sich Bayer und Loy beim Schreiben aufgeteilt haben, ist auch die Zielgruppe: Angehörige von Sterbenden, Trauernde, aber auch alle, die die eigene Angst vorm Tod ablegen möchten. Deshalb der Titel, der sich auch als „Letztendlich zählt das Jetzt“ lesen lässt – mit der Botschaft, dass sich ein achtsames Leben nicht erst am Ende lohnt.
Nicht zuletzt geht es den Autorinnen laut Bayer aber auch darum, den eigenen Berufskollegen – vor allem Ärzten und Pflegern – die Scheu vor einer Überweisung an die Palliativmedizin zu nehmen. Denn auch hier herrsche oft der Eindruck vor, dass man dorthin nur zum Sterben gehe. „Menschen, die zu uns kommen, haben meistens vorher den Satz gehört: ,Wir können nichts mehr für Sie tun.´“, erzählt die Haushamerin. Das möge vielleicht für eine heilende Therapie gelten, nicht aber für eine qualitativ hochwertige und menschlich wertvolle Palliativmedizin. Nicht selten hätten die Patienten dadurch noch ein schönes Leben vor sich, befreit von der seelischen und körperlichen Belastung einer anstrengenden Therapie und ständigen Überwachung. „Manche können auch wieder nach Hause gehen und dort ambulant versorgt werden.“
Selbstreflexion beim Schreiben hat Palliativpflegerinnen bereichert
Für die Autorinnen selbst war das Schreiben, das sie wegen ihrer Vollzeit-Tätigkeit im Schichtbetrieb meistens nachts erledigten, auch eine Art Selbstreflexion, erzählt Bayer. Man denke anders über die eigene Arbeits- und Lebensweise nach. Sie selbst habe dabei unter anderem festgestellt, wie viel Lebenserfahrung sie – nicht zuletzt durch die vielen Gespräche mit Menschen auf ihrem letzten Weg – mit 31 Jahren schon gesammelt hat.
Die Bedeutung eines jeden Augenblicks erfuhr Bayer ausgerechnet während der Arbeit am Buch auch in ihrem engsten Umfeld. Binnen zwei Monaten musste sie sich von Oma und Opa verabschieden. Da merkte sie zum ersten Mal, wie sich der Gang auf eine Palliativstation als Angehörige anfühlt. Und trotz dieser – auch beim Schreiben des Buchs – nicht ganz einfachen Doppelrolle habe sie auch da gespürt, dass der letzte Weg eines lieben Menschen bei aller Schwere auch von Leichtigkeit geprägt sein kann. Und so fanden die Großeltern auch noch Platz im Buch. Nicht im Kapitel „Trauer“, sondern in „Dankbarkeit und Liebe“.