Wer mit Felix Bertram spricht, guckt in ein Gesicht, das deutlich jünger aussieht als 49. Im Inneren allerdings scheint sein Alterungsprozess dramatisch schneller abzulaufen: Ein Bluttest schätzt ihn Anfang letzten Jahres auf 74 Jahre. Ein Schock für den Mediziner, der in Deutschland geboren wurde und in der Schweiz erst eine Klinikkette aufbaute und inzwischen als Investor in der TV-Show „Die Höhle der Löwen“ sitzt. Seither hat er sein Leben auf den Kopf gestellt – um das Rad der vorzeitigen Alterung im besten Fall zurückzudrehen und sich die 25 Jahre, die ihn viel Arbeit, Alkohol, wenig Schlaf und Bewegung gekostet haben, zurückzuholen.
Auf welche Longevity-Hacks er dabei schwört, wie er sich selbst austrickst, wenn die Motivation nachlässt und warum er gleichzeitig nichts von den vollmundigen Versprechen mancher Langlebigkeits-Gurus hält, die schon vom ewigen Leben träumen. FOCUS online hat Bertram kurz vor dem Launch seines neuen Buchs in München zum Interview getroffen.
FOCUS online: Herr Bertram, dieser Bluttest hat Ihr Leben verändert. Warum haben Sie ihn überhaupt gemacht?
Felix Bertram: Eigentlich war es reiner Zufall. Eine befreundete Wissenschaftlerin hatte mir den Test schon vor längerer Zeit gegeben, aber ich legte ihn beiseite und vergaß ihn. Erst im Dezember 2023 fiel er mir beim Aufräumen wieder in die Hände. Aus einer Laune heraus schickte ich doch ein paar Tropfen Blut ein. Ohne große Erwartungen, eher aus Neugier.
Kurz darauf bat Sie der Anbieter um einen Video-Call.
Bertram: Genau. Da wusste ich schon: Da stimmt etwas nicht. Unauffällige Ergebnisse kommen per Mail oder Telefon. Den direkten Austausch braucht es nur für schlechte Neuigkeiten. Das weiß ich als Arzt nur zu gut (schmunzelt).
Und dann die Nachricht: Ihr biologisches Alter liegt 25 Jahre über Ihrem tatsächlichen. Wie haben Sie reagiert?
Bertram: Es war ein Schock. Ich war gerade auf Sylt im Urlaub und dachte: Was, wenn mir nur noch zehn Sommer bleiben? Habe ich wirklich so einen Raubbau mit meinen Ressourcen betrieben?
Und: Haben Sie?
Bertram: Zumindest habe ich bis zu diesem Tag fast ausschließlich für den Erfolg gelebt. Ich war extrem gestresst, hatte viel zu viele Aufgaben. Abends trank ich oft Bier und nahm Schlaftabletten, weil ich glaubte, nicht anders abschalten zu können. Dass das ungesund ist, war mir klar. Aber wie sehr, das wurde mir erst durch den Test bewusst.
Dabei sind solche Tests umstritten. Kritiker werfen den produzierenden Unternehmen Geldmacherei vor.
Bertram: Das höre ich oft und es gibt natürlich ein paar schwarze Schafe. Doch seriöse Tests geben gute Hinweise, etwa auf chronische Entzündungen und die sogenannten Inflammaging-Prozesse.
Die was im Körper bewirken?
Bertram: Diese stillen Entzündungen führen dazu, dass sich die großen Alterskrankheiten wie Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetes Mellitus oder neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer mit einem höheren Risiko und früher als durchschnittlich entwickeln können. Von früheren Untersuchungen wusste ich, dass meine Arterien bereits erste Verkalkungen aufwiesen, was in diesem Umfang für mein Alter ungewöhnlich ist. Insofern passte das Testergebnis ins Bild.
Das Gute war: Ich hatte mein Leben ja schon einmal radikal umgekrempelt
Viele hätten es vermutlich dennoch als übertrieben abgetan. Warum Sie nicht?
Bertram: Ich wusste sofort, dass ich mich mehr um meine Gesundheit kümmern wollte. Ich wollte nicht mehr länger buchstäblich bis zum Umfallen arbeiten, nur um in zehn, fünfzehn Jahren mit einem Infarkt oder Schlaganfall umzukippen. Das Gute war: Ich hatte mein Leben ja schon einmal radikal umgekrempelt.
Sie hatten kurz nach dem Abitur einen schweren Motorrad-Unfall, verloren dabei Ihren linken Unterschenkel. Wie kam es dazu?
Bertram: Ich wollte damals Schauspieler werden und freute mich auf eine aufregende Zukunft. Nach einem Billardabend jedoch nahm mir ein Autofahrer die Vorfahrt, ich prallte frontal in sein Auto, flog mehrere Meter durch die Luft. Mein Fuß und Unterschenkel waren zerstört, der Oberschenkel glatt durchgebrochen und nach hinten abgeknickt, der Knochen ragte durch meine zerrissene Jeans. Die Hauptschlagader im Bein war durchtrennt – wodurch ich rapide Blut verlor. Wäre der Unfall nicht mitten in Hamburg passiert, sondern auf dem Land, wäre ich verblutet. Der Rettungswagen hätte nicht schnell genug vor Ort sein können.
Seitdem tragen Sie eine Prothese, wurden nicht Schauspieler, sondern Arzt. Inwiefern prägt Sie diese Erfahrung noch heute?
Bertram: Der Unfall hat mir gezeigt, wie dicht Leben und Tod beieinander liegen. Mit etwas mehr Glück wäre mir gar nichts passiert. Mit etwas mehr Pech wäre ich gestorben. Ich habe dadurch gelernt, wie verletzlich und endlich das Leben ist. Dieses kostbare Geschenk möchte ich nicht verschwenden.
Trotzdem sind Sie mit Ihrem Körper über Jahrzehnte nicht gerade zimperlich umgegangen. Was machen Sie konkret anders, seit Sie wissen, welche Folgen das hat?
Bertram: Vor allem mache ich viel mehr Sport. Meistens trainiere ich anderthalb bis drei Stunden pro Tag, wechsle Kraft- und Ausdauertraining ab. Am Anfang war es hart, aber irgendwann wird es zur Gewohnheit und fängt sogar an, Spaß zu machen. Bewegung ist für mich mit Abstand der wichtigste Hebel.
Felix Bertram ist Facharzt für Dermatologie, Unternehmer mit eigener Klinikkette und Hautpflege-Marke, Investor sowie Inhaber eines Zwei-Sterne-Restaurants. Bertram wohnt im Schweizer Kanton Aargau bei Zürich. Am 21. Oktober erscheint sein Buch „Hacking Age“ im GU-Verlag.
Was haben Sie noch verändert?
Bertram: Ich habe Alkohol fast komplett aus meinem Alltag gestrichen, achte auf meinen Schlaf und meine Ernährung, esse viele Proteine und Ballaststoffe, kaum Zucker. Außerdem halte ich jeden Freitag ein Meeting mit mir selbst ab.
Das müssen Sie genauer erklären.
Bertram: Ich weiß, dass das keine typische Empfehlung für gesundes Altern ist (lacht). Ich halte es aber für einen wichtigen Baustein, weil mir dieser Termin einen Rahmen gibt, meine Ziele bewusst zu setzen und regelmäßig zu überprüfen. Jeden Freitagabend frage mich: Was lief diese Woche gut? Wo habe ich Fortschritte gemacht? Was will ich ändern?
Wie eine Art Check-In also. Warum ist Ihnen das so wichtig?
Bertram: Ich glaube, dass wir insbesondere in stressigen Phasen oft schnell in den Autopilot-Modus schalten. Statt darüber nachzudenken, warum wir etwas tun, arbeiten wir einfach nur ab. So ging es mir früher auch. Die Forschung zeigt aber: Gestresste Menschen treffen schlechtere Entscheidungen. Longevity hört für mich deshalb nicht beim Körper auf.
In Ihrem Buch sprechen Sie von drei Säulen eines guten Lebens. Welche sind das?
Bertram: Gesundheit ist natürlich die Basis. Ohne sie geht nichts. Die zweite Säule ist für mich die persönliche Entwicklung. Damit meine ich die bestimmenden Tätigkeiten, die uns herausfordern und an denen wir als Menschen wachsen, sei es im Beruf, in der Familie, im Sport oder im Ehrenamt.
Und die dritte Säule?
Bertram: Gute Beziehungen. In diesem Zusammenhang werde ich einen Satz meines Vaters nie vergessen. Er war nicht lange, nachdem meine Eltern sich getrennt hatten, an Krebs erkrankt und sagte ihn kurz vor seinem Tod. Ich war damals Anfang 20 und weiß noch, wie ich neben seinem Bett saß und ein Buch über den Finanzmarkt las, während er schlief.
Und?
Als er aufwachte und meine Lektüre sah, sagte er zu mir: „Investiere in Erinnerungen, nicht in Aktien“. Dieser Satz hat mich sehr geprägt und begleitet mich durch mein Leben. Dass stabile soziale Bindungen ein relevanter Faktor für Langlebigkeit sind, belegen aber auch Studien. Was habe ich davon, kerngesund und erfolgreich zu sein, wenn die Menschen fehlen, mit denen ich mein Glück teilen kann?
Mir ist eigentlich egal, wie alt ich werde
Ihnen geht es also nicht nur darum, möglichst alt zu werden.
Bertram: Nein. Mir ist eigentlich egal, wie alt ich werde. Zehn Lebensjahre mehr, die ich nur damit verbringe, verbissen auf meine Gesundheit zu achten oder chronisch krank auf der Couch zu liegen, wären für mich kein Gewinn. Es ist sogar okay, wenn ich nur 70 werde. Wichtig ist mir, dass ich die Jahre, die ich habe, genießen kann.
Manche Longevity-Cracks wie der amerikanische Tech-Milliardär Bryan Johnson träumen derweil schon vom ewigen Leben. Was halten Sie von solchen Unsterblichkeits-Fantasien?
Bertram: Nichts. Es gibt derzeit nichts Seriöses in der Pipeline, das uns tatsächlich Unsterblichkeit oder auch nur 120 gesunde Lebensjahre ermöglichen würde. Und ich weiß nicht einmal, ob das überhaupt erstrebenswert wäre. Auch was einige Start-ups mit Nahrungsergänzungsmitteln und Ähnlichem versprechen, sehe ich kritisch. Diese ganzen Longevity-Shortcuts funktionieren nicht.
Was meinen Sie?
Bertram: Mit Longevity ist es wie mit dem Zinseszins-Effekt. Du musst über viele Jahre konsequent investieren, um einen spürbaren Effekt zu haben. Seriöse Wissenschaftler sagen, dass man mit einem gesunden Lebensstil fünf bis sieben zusätzliche Jahre gesunder Lebensspanne gewinnen kann – vorausgesetzt, man stirbt nicht vorher an einem Unfall oder Krebs. Nur weil ich hin und wieder irgendein Pulver nehme oder in die Infrarot-Sauna gehe, werde ich nicht signifikant länger gesund leben.
Damit das tatsächlich möglichst viele Menschen können: Mit welchem Longevity-Hack würden Sie starten?
Bertram: Ich würde damit anfangen, mehr zu Fuß zu gehen. Schon 7000 Schritte am Tag senken das Risiko, vorzeitig zu sterben, um 40 bis 50 Prozent. Das ist doch gigantisch! Also: eine Station früher aussteigen, die Treppe statt den Aufzug nehmen. Mit der Zeit summieren sich die kleinen Schritte.
Allerdings geht vielen Menschen auf dem Weg dorthin die Motivation flöten. Wie bleiben Sie langfristig motiviert?
Bertram: Ich verknüpfe Sport mit Dingen, die mir Freude machen. Meinen Lieblingspodcasts höre ich zum Beispiel nur beim Training. So freue ich mich darauf und es ist gar keine Option, nicht hinzugehen. Aber auch soziale Anreize helfen enorm.
Inwiefern?
Bertram: Ich mache beispielsweise immer wieder Challenges mit Freunden. Nächstes Jahr fahren wir mit einer Gruppe unter anderem ein Radrennen in Hamburg. Dazu tauschen wir uns schon jetzt in einer Chat-Gruppe aus, schicken uns unsere Zeiten und Werte. Das pusht total.
In Ihrem Buch schreiben Sie auch, dass Sie vor 12 Uhr keine Termine mehr annehmen, um genügend Zeit für sich und beispielsweise den Sport zu haben. Das klingt für die meisten, die dieses Interview lesen, utopisch und realitätsfern. Können Sie das nachvollziehen?
Bertram: Absolut. Mir ist bewusst, dass das eine Freiheit ist, die nur wenige Menschen haben und die auch ich mir erst erarbeiten musste. Aber es geht auch nicht darum, mein Leben zu kopieren, sondern sich generell mit dem Thema Langlebigkeit auseinanderzusetzen und im Kleinen zu überlegen, was man verändern kann. Es geht nicht darum, alles perfekt zu machen, sondern darum, einfach mal anzufangen.
Jetzt 70 Jahre alt zu sein, ist ein Erfolg
Angefangen haben Sie vor inzwischen 18 Monaten. Ein neuerlicher Test taxierte Ihr Alter kürzlich auf 70 Jahre. Ganz ehrlich: Ist das ein Erfolg oder eine Enttäuschung?
Bertram: Ein Erfolg. Klar, ich hätte mir vielleicht ein paar Jahre mehr erhofft. Aber man holt Jahrzehnte nicht in einem gesunden Jahr zurück. Wichtig ist: Ich fühle mich fitter und klarer als je zuvor. Ich wache morgens erholt auf, bin weniger gereizt, konzentrierter, kann mehrere Termine nacheinander wahrnehmen. Und mein Körpergefühl ist deutlich besser.
Und wie geht’s weiter?
Bertram: Ich will diesen gesünderen Lebensstil beibehalten und den Alterungsprozess, der schon stattgefunden hat, so weit wie möglich wieder zurückdrehen, damit ich möglichst lange selbstbestimmt und halbwegs fit bleibe. Wenn ich damit noch dazu andere inspirieren kann, ihr Leben ebenfalls gesünder zu gestalten, freut mich das umso mehr.
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Bildquelle: GU Verlag
Age Hacking
»Hacking Age« ist das Protokoll eines radikalen Selbst-Check-ups. Von einem Arzt, der sich traut, endlich den Blick auf sich selbst zu richten – und von dem wir alle viel lernen können.
Auszug aus "Hacking Age" von Felix Bertram
Bewegung ist die wichtigste Longevity-Stellschraube
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt Erwachsenen pro Woche mindestens zweieinhalb bis fünf Stunden moderate Bewegung und mindestens 75 bis 150 Minuten Bewegung mit hoher Intensität. Zusätzlich sollte man an mindestens zwei Tagen in der Woche Übungen machen, die möglichst alle Muskelgruppen stärken. Um dieses Pensum zu schaffen, hat Felix Bertram vier Tipps:
- Ich habe mit dem Radfahren einen Sport gefunden, der mir viel Spaß macht. Wer noch auf der Suche ist, dem rate ich: unbedingt viel ausprobieren!
- Besser wenig als gar nicht: Gerade in den ersten Wochen und Monaten habe ich mir bewusst nicht zu viel vorgenommen. Wichtig ist, dass der Sport zur Gewohnheit wird, um nicht vor jedem Training mit dem inneren Schweinehund verhandeln zu müssen.
- Motivationstrigger schaffen: Etwas zu finden, was mich zuverlässig motiviert, war der Schlüssel, um das Krafttraining regelmäßig durchzuziehen. Bei mir sind es Podcasts, für andere mag es Musik sein, das gemeinsame Training mit Freunden, Bewegung in der Natur, das anschließende Wellness-Programm oder etwas ganz anderes.
- Gemeinsam macht es doppelt Spaß: Ich trainiere oft zusammen mit Freunden.
Und: Ein Hoch auf die Joker-Regel! Es gibt Gründe, weshalb ein geplantes Training mal ausfallen muss. Das ist okay. Wichtig ist, darauf zu achten, es nicht zweimal hintereinander sausen zu lassen.
Wer „seinen“ Sport noch nicht entdeckt hat, dem empfiehlt der Mediziner sich diese Fragen zu stellen:
- Möchte ich Sport zusammen mit anderen Menschen ausüben oder allein?
- Daran anschließend: Würde mir die gemeinsame Verpflichtung beim Mannschaftssport helfen, dranzubleiben?
- Brauche ich die soziale Komponente, Teil eines Teams oder Duos zu sein, um mich dauerhaft für Sport zu begeistern?
- Steigert Wettbewerb meine Freude am Sport?
- Will ich Sport damit verbinden, draußen zu sein?
- Will ich so wenig Zeit wie möglich dafür aufwenden?