Getarnt als Klima-Wunder rettet die CO2-Technologie vor allem fossile Strukturen

Immerhin: Den Anspruch, in recht naher Zukunft Klimaneutralität für Deutschland zu erreichen, stellt politisch niemand ernsthaft in Frage. Über den Weg gibt es allerdings Auseinandersetzungen. Insbesondere die Unionsparteien möchten so wenig Veränderung wie möglich - weswegen eine Technologie aus der Mottenkiste erneut als Heilsbringer verkauft wird: Kohlenstoffabscheidung und -speicherung, oder kurz CCS (für Carbon Capture & Storage) schien mit dem Kohleausstieg in Deutschland eigentlich abgeräumt - und bereits damals gab es große Zweifel an der Machbarkeit und starken Widerstand von Umweltschützenden. 

CCS: Teure Technik ohne Klimaschutz

Der Reiz von CCS ist schnell erklärt: Es könnte weiterhin klimaschädliches Gas gefördert und verfeuert werden, die dabei entstehenden Emissionen - so zumindest der Plan - würden abgeschieden, verpresst, und über lange Pipelines in Endlager unter der Nordsee verfrachtet. Die Technologie würde es der Gasindustrie ermöglichen, ihr Geschäftsmodell kaum zu verändern, deswegen ist es dort so beliebt. 

Die Industrietransformation zu einer wirklich klimaneutralen Wirtschaft funktioniert aber nicht, indem nichts transformiert wird - jeder Cent, der in lebenserhaltende Maßnahmen für fossile Energieträger gesteckt wird, fehlt bei Speichertechnik und dem Ausbau der erneuerbaren Energien: also innovativen, wirklich klimafreundlichen Lösungen für die deutsche Energieversorgung. Kohlenstoffspeicherung hingegen ist das energiewirtschaftliche Pendant zu Abnehmspritzen: Sie nimmt sich nicht der Ursachen des Problems an, nur seiner Auswirkungen - auf zweifelhafte Art und Weise, verbunden mit beträchtlichen Gefahren.

Anike Peters, Diplomingenieurin, hat an der Fachhochschule Braunschweig-Wolfenbüttel Umweltverfahrenstechnik studiert. Seit 2009 arbeitet sie im Energie-Team von Greenpeace als Kampaignerin mit besonderem Schwerpunkt auf dem Thema Kohleausstieg. Gemeinsam mit 3 Bauernfamilien hat sie für Greenpeace die erste Klimaklage gegen die Bundesregierung initiiert, aus der später die erfolgreiche Klima-Verfassungsbeschwerde wurde. Aktuell arbeitet sie zu den Themen Gasausstieg und CCS.

Bundesregierung will CO2-Speicherung ermöglichen
Für die Industrie spielt eine Abscheidung und Speicherung von CO2 eine Schlüsselrolle. Das Bundeskabinett beschließt Gesetzespläne. dpa

CCS – ineffizient, riskant, teuer

Die Bilanz der Technologie ist ernüchternd. Von über 800 weltweiten CCS- oder CCUS-Projekten sind nur eine Handvoll tatsächlich in Betrieb – und alle bleiben weit hinter den eigenen Zielen zurück. In Norwegen, wo CCS als Vorzeigemodell gilt, zeigen sich gravierende Probleme: Im Projekt Sleipner, wo jährlich eine Million Tonnen Kohlenstoffdioxid eingelagert werden sollten, machte sich das dort entsorgte CO2 deutlich schneller als erwartet auf den Weg Richtung Meeresoberfläche und sammelte sich in einer Schicht, die es nach den geologischen Modellen eigentlich gar nicht hätte geben dürfen. Mit einer Tiefe von etwa 800 Metern liegt sie auch viel näher an der Oberfläche, als in der Planung für die langfristige Speicherung als sicher gilt.

Trotzdem plant die Bundesregierung, künftig gigantische Mengen CO2 unter der Nordsee zu verpressen. Die geplante Injektionsrate von 10 Millionen Tonnen pro Jahr übertrifft die des Sleipner-Projekts um das 10- bis 100-Fache und ist aus wissenschaftlicher Sicht ausgesprochen unrealistisch. Es gibt keine belastbaren Langzeitstudien, die belegen, dass CO2 über Jahrtausende sicher im Boden bleibt. Und wer haftet, wenn doch etwas schiefgeht? Nach 40 Jahren soll die Verantwortung an den Staat übergehen – also an die Allgemeinheit.

Gefahren für Umwelt und Nordsee

Dabei ist die Nordsee eines der artenreichsten und zugleich am stärksten belasteten Ökosysteme Europas. Leckagen könnten den Meeresboden versauern, mit fatalen Folgen für Korallen, Muscheln und Fische. Die für Erkundung und Monitoring notwendigen Schallkanonen gefährden Schweinswale und andere Meeressäuger. Und auch an Land drohen Risiken. CO2-Leckagen können Trinkwasservorräte verunreinigen, einer der wichtigsten Gründe, warum die Kohlenstoffverpressung bislang in Deutschland nicht erlaubt war.

CCS gaukelt den größten Emittenten – Stahl, Zement, Chemie – ein „Weiter so“ vor. Dabei können sie mittels CCS immer nur einen Teil der Treibhausgase abscheiden. Die Technik kann nie wirklich klimaneutral sein. Wer CO2 bloß lagert, statt es zu vermeiden, verschiebt die Verantwortung in die Zukunft. Fossile Lock-ins drohen. Das heißt: Milliarden für Infrastruktur, die die Abhängigkeit von fossilen Energien auf Jahrzehnte festschreibt. Dabei gibt es für viele Industrien, die gerne als Beispiel für “unvermeidliche Restemissionen” herangezogen werden, bereits wirklich klimafreundliche Lösungen, etwa Power-to-Heat-Modelle in der Stahlindustrie. Für die dezentrale Zementherstellung in Deutschland ist CCS überhaupt keine Option: Jedes Werk müsste eigene Abscheidungsanlagen aufbauen und das CO2 per Lkw, Bahn oder Pipeline abtransportieren. Der dafür nötige Aufbau einer Transportinfrastruktur über tausende Kilometer wäre ökonomisch und ökologisch absurd. 

Ein fossiler Lock-in statt echter Klimaschutz

Branchenvertreter stellen Deutschland teilweise so dar, als würde es in der Etablierung einer CO2-Infrastuktur allen anderen hinterherhinken. Doch Fakt ist, dass bislang kaum ein Land nennenswerte Baumaßnahmen geschaffen hat. Norwegen ist bislang das einzige europäische Land, das CO2 verpresst. Dafür gibt es zwei Hauptgründe: Das Land führte 1991 als eines der ersten weltweit einen CO2-Preis ein und schuf damit einen Markt für den Abfallstoff. Zudem ist es Europas Gas-Nation Nummer eins und verfügt daher über große finanzielle Förderspielräume. Das Interesse der Industrie hat es dort geschafft, die CCS-Technologie als Wirtschaftszweig zu etablieren. Das hat CCS übrigens mit Atomenergie gemeinsam: Sie ist von sich aus nicht wirtschaftlich, sondern immer abhängig von enormen Steuergeldzuwendungen.

Echte Lösungen liegen längst bereit

Wer das Klima schützen will, muss Emissionen vermeiden, nicht verpressen. Deutschland hat längst Alternativen: Grüner Wasserstoff kann Stahlproduktion dekarbonisieren, alternative Bindemittel und Recyclingverfahren machen die Zementindustrie sauberer, und in der Chemiebranche entstehen CO2-freie Produktionspfade.

Auch naturbasierte Lösungen sind weit effizienter. Wiedervernässte Moore, gesunde Wälder und intakte Meeresökosysteme binden CO₂ dauerhaft – und fördern zugleich Biodiversität, Wasserhaushalt und Klimastabilität. Diese Projekte sind sicher, sofort wirksam und gesellschaftlich sinnvoll.

Als Fazit: CCS ist keine Lösung für die Klimakrise, sondern eine riskante Scheinlösung. Sie verlängert die Ära fossiler Energien, verschlingt öffentliche Gelder und gefährdet Umwelt und Gesundheit. Deutschland sollte sich nicht vom Charme technischer Allheilmittel blenden lassen.