Was TV-Experten aus Bayern-Talent Lennart Karl machen, ist unerträglich

Überlegen Sie mal, was Sie am 22. Februar 2008 so getrieben haben. Angela Merkel war erst zweieinhalb Jahre lang Kanzlerin, George W. Bush noch US-Präsident und das Smartphone eine sonderbare Innovation, die es bestimmt nicht in den Alltagsgebrauch der Menschen schaffen würde. Am 22. Februar 2008 kam außerdem Lennart Karl zur Welt. Keine 18 Jahre ist das her.

Das Geburtsjahr sollte beachtet werden, wenn die elitären TV-Experten nun urteilen über die neueste Sensation beim FC Bayern.

Zuletzt hat Karl ja zwei wunderbare Tore geschossen, in der Champions League gegen Brügge zog er wie ein Moped an mehreren Belgiern vorbei, ehe er den Ball wuchtig aus der Distanz ins Kreuzeck nagelte. Am Samstag, in der Bundesliga gegen Gladbach, vollführte er im Prinzip dasselbe; nur aus dem Stand.

Karl-Tor für den FC Bayern erinnert Matthäus an Messi

Karl, der Kleine (1,69 Meter) mit dem großen Selbstvertrauen, zählt zu den spannendsten Talenten des Fußballlandes, keine Frage. Aber noch ist er halt exakt das: ein Talent.

Oder etwa nicht? Kaum hat Karl eineinhalb ansprechende Auftritte hingelegt, soll er den deutschen Fußball retten, idealerweise sofort. Das ist zumindest der Subtext jener Aussagen, die Lothar Matthäus und Dietmar Hamann jüngst kundtaten.

Die Sky-Experten Dietmar Hamann (l.) und Lothar Matthäus
Die Sky-Experten Dietmar Hamann (l.) und Lothar Matthäus Imago

"Erst einmal", sagte Matthäus bei RTL, "soll Lennart Karl kontinuierlich aufgebaut werden und beim FC Bayern regelmäßig Einsätze bekommen". Er hielte es für "verfrüht, jetzt schon von der Nationalmannschaft zu reden", betonte Matthäus und redete deshalb von der Nationalmannschaft. Dort könne Karl "so ein bisschen die Geheimwaffe 2026 werden". Aha.

"Wir würden am besten jetzt die Vergleiche ziehen, mit Ronaldo, mit Messi in jungen Jahren. Aber wie gesagt: Lassen wir die Kirche mal im Dorf", insistierte Matthäus. Karls Treffer gegen Brügge jedoch, mein Gott, der hätte ihn glatt "an jemanden erinnert, der den Ballon d‘Or schon sieben oder acht Mal gewonnen hat, nämlich an Messi".

Karl soll "Hoffnungsträger für den gesamten deutschen Fußball" sein

Sky-Experte Hamann rühmte, Karl sei "nicht nur ein Hoffnungsträger für die Bayern, sondern für den gesamten deutschen Fußball". Bayern-Trainer Vincent Kompany habe ihn "eine Zeit lang versteckt gehalten, aber nach seinem Tor gegen Brügge kann er ihn in Zukunft nicht mehr verstecken".

Karls Anlagen sind unbestritten, er hat einen enormen Antritt, dribbelt frech, schießt präzise und lässt sich von Misserfolg nicht bremsen. Aber hätten wir's nicht eine Nummer kleiner, für den Anfang wenigstens? Matthäus nannte Messi, und Hamann flötete, Karl erinnere ihn "von seiner Art her an Franck Ribéry". Der feierte sein Länderspieldebüt übrigens im greisen Alter von 23 Jahren, damals.

Lennart Karl feiert ein Tor für den FC Bayern
Lennart Karl feiert ein Tor für den FC Bayern Getty

Was die TV-Experten dieser Tage aus Karl machen, ist unerträglich und teils aberwitzig. Diese überfrachteten Vergleiche, dieses verfrühte Pushen, dieser verbale Ballast. Bei Kölns Said El Mala (19) verhält es sich ähnlich. 

Das Ganze sendet, überdies, ein zweifelhaftes Signal an die Nationalelf: Liegt der deutsche Fußball denn derart brach, dass er zwei Teenager braucht, die nicht einmal ansatzweise nachgewiesen haben (können), auf Sicht dem knallharten Herrenbereich zu trotzen? 

Was Bayern-Legende Robben über Karl sagt, ist genau richtig

Im Smartphone-Hamsterrad, in dem die Attraktionen kommen und schnell wieder gehen, ist Lennart Karl mit derlei Erwartungen nicht geholfen. Im Gegenteil. Kommentatoren wie Matthäus und Hamann haben ihre Meinung, und die ist ihnen unbenommen. Was sie aufgrund ihrer Reputation und Reichweite aber auch haben: eine gewisse Pflicht.

Bayern-Legende Arjen Robben hat es richtig gesagt. Gerade in diesem blutjungen Alter "muss man jeden Tag an sich arbeiten und darf nicht denken: Ich habe jetzt ein super Spiel gemacht, alles wunderbar. Man darf nicht zufrieden sein mit sich selbst. Das ist der Unterschied, warum die richtig guten Spieler sehr lange oben bleiben. An diesen Punkt zu kommen, ist das eine, aber an der Spitze zu bleiben, ist etwas anderes."

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