Russland testet ominösen Marschflugkörper – jetzt sucht Norwegen nach Strahlung

Nach dem Test des nuklear angetriebenen Marschflugkörpers vom Typ Burewestnik („Sturmvogel“) in der russischen Arktis herrscht in Norwegen gespannte Ruhe. Zwar wurden bislang keine erhöhten Strahlungswerte gemessen – doch die Behörden bleiben in erhöhter Alarmbereitschaft und warten auf die nächsten Ergebnisse.

Bislang keine erhöhten Strahlungswerte

Der norwegische Strahlenschutz- und Atomsicherheitsdienst (DSA) bestätigte gegenüber dem Fachportal „Barents Observer“, dass bisher keine Auffälligkeiten registriert wurden. „Wir haben an unseren Messstationen in Norwegen nichts Ungewöhnliches festgestellt“, sagte Hallfrid Simonsen, Sprecherin der DSA. Sie fügte hinzu: „Wenn es bei dem Test eine Freisetzung radioaktiver Stoffe gegeben hat, dauert es eine Weile, bis diese nach Norwegen gelangen und messbar sind.“

Norwegen setzt auf hochsensible Luftfilterstationen

Norwegen betreibt ein Netz empfindlicher Luftfilterstationen – von Ny-Ålesund auf Spitzbergen bis zum Festland. Diese Geräte würden selbst minimale Mengen radioaktiver Partikel erkennen, erklärte Simonsen dem „Barents Observer“. „Unsere Routineüberwachung ist äußerst sensibel. Aber es gibt eine gewisse Transportzeit – und die Filter werden nur einmal pro Woche gewechselt.“

Derzeit warten die Experten auf die nächsten Messergebnisse. Besonders im nördlichen Finnmark, nur rund 900 Kilometer vom russischen Testgelände entfernt, verfolgt man die Entwicklung aufmerksam.

Geheimer Testflug über 14.000 Kilometer

Zuvor hatte Russlands Generalstabschef Waleri Gerassimow Präsident Wladimir Putin über einen erfolgreichen Test der Burewestnik-Rakete informiert. Der Marschflugkörper habe am 21. Oktober eine Strecke von 14.000 Kilometern zurückgelegt und sei 15 Stunden in der Luft gewesen – so Gerassimow laut dem vom Kreml veröffentlichten Gesprächsprotokoll.

Der genaue Startort blieb geheim. Doch der „Barents Observer“ weist auf so genannte NOTAM-Warnungen hin, mit denen Russland den Luftraum über Nowaja Semlja großflächig gesperrt haben soll. Dort, in einem abgeschotteten Militärgebiet im hohen Norden, befindet sich der bekannte Teststandort Pankowo.

Putin selbst zeigte sich bei der Verkündung des Tests sichtlich zufrieden. „Ich erinnere mich gut daran, wie Fachleute mir sagten, das sei ein unrealistisches Ziel“, sagte er. „Jetzt sind die entscheidenden Tests abgeschlossen.“

Skepsis bleibt – Erinnerungen an frühere Zwischenfälle

Trotz aller Erfolgsrhetorik bleibt die Skepsis groß. Bereits 2019 kam es bei einem ähnlichen Projekt zu einer Explosion bei Njonoksa am Weißen Meer. Damals starben fünf Mitarbeiter des russischen Atomkonzerns Rosatom, und im nahegelegenen Sewerodwinsk stieg die Strahlung kurzfristig messbar an.

Auch deshalb betont Simonsen gegenüber dem „Barents Observer“, dass ihre Behörde die Lage „sehr genau“ verfolge. Eine automatische Alarmierung sei jederzeit möglich, falls sich die Werte verändern sollten.

Was hinter der „Burewestnik“ steckt

Der Burewestnik – NATO-Codename SSC-X-9 „Skyfall“ – gilt als eines der gefährlichsten Prestigeprojekte des Kremls. Der Marschflugkörper soll mit einem Mini-Kernreaktor angetrieben werden und dadurch eine nahezu unbegrenzte Reichweite erreichen. Laut russischen Angaben kann die Rakete im Flug Kurs und Flughöhe beliebig ändern – und so jede westliche Raketenabwehr umgehen.

Kritiker warnen allerdings, dass das System schon beim normalen Betrieb radioaktive Partikel in die Atmosphäre abgeben könne. Im Westen trägt die Waffe daher den Spitznamen „fliegendes Tschernobyl“.

Nowaja Semlja
Nowaja Semlja ist eine abgeschiedene arktische Inselgruppe im Norden Russlands. Seit den 1950er-Jahren war sie Kerngebiet für Atomwaffentests der Sowjetunion, darunter die berühmte Zar-Bombe 1961. imago

Frühere Hinweise: US-Spürflugzeug im Einsatz

Bereits im September hatte der „Barents Observer“ berichtet, dass Russland den Luftraum über Nowaja Semlja sperrte – mutmaßlich zur Vorbereitung des jetzigen Tests. Zeitgleich erschien über der östlichen Barentssee ein US-Aufklärungsflugzeug vom Typ WC-135R „Constant Phoenix“, auch bekannt als „nuklearer Spürhund“. Es ist darauf spezialisiert, radioaktive Partikel in der Atmosphäre zu detektieren.

Norwegens Geheimdienst hatte schon damals vor den Risiken gewarnt. Selbst ohne Explosion könne das Kühlsystem des Mini-Reaktors radioaktive Stoffe freisetzen, hieß es im jährlichen Sicherheitsbericht.