Ich arbeite seit vielen Jahren als Busfahrer. Auf den ersten Blick wirkt mein Beruf vielleicht unspektakulär: morgens ins Fahrzeug steigen, Schicht fahren, Pausen machen, wieder nach Hause. Doch hinter der Frontscheibe spielt sich oft ein ganz anderes Leben ab – eines, das mich an die Grenzen meiner Belastbarkeit gebracht hat.
Ich möchte hier erzählen, wie schnell man in diesem Job ausgebrannt sein kann, warum Burnout und Depressionen keine Seltenheit sind und was man selbst, aber auch die Verkehrsunternehmen dagegen tun müssen.
Martin Binias, bekannt als „Herr Busfahrer“, ist Influencer und aktiver Busfahrer. Mit Humor und Reichweite macht er den ÖPNV nahbar, schafft Verständnis für den Berufsalltag und wurde mehrfach ausgezeichnet. Er ist Teil unseres EXPERTS Circle. Die Inhalte stellen seine persönliche Auffassung auf Basis seiner individuellen Expertise dar.
Der Alltag hinterm Steuer
Als Busfahrer und Busfahrerinnen trage wir Tag für Tag Verantwortung für Dutzende Menschenleben. Jeder Fahrgast vertraut darauf, dass wir aufmerksam, konzentriert und zuverlässig sind. Gleichzeitig arbeite wir nach streng getakteten Fahrplänen. Oft haben wir kaum eine Minute Puffer – wenn überhaupt. Kommt ein Stau, eine Umleitung oder ein verspäteter Anschluss, sitze wir mitten im Spannungsfeld zwischen Termindruck, Fahrgästen und Vorgesetzten.
Dazu kommen Schichtdienste, geteilte Dienste und unregelmäßige Pausen, die nicht nur unseren Schlafrhythmus, sondern auch unser Privatleben dauerhaft durcheinanderbringen.
Die schleichende Erschöpfung
Lange Zeit habe ich geglaubt, das sei normal. Stress gehört doch zum Job, dachte ich. Doch irgendwann merkte ich, dass ich immer erschöpfter wurde. Nach Schichten kam ich nach Hause und war nicht mehr ansprechbar. Ich hatte keine Kraft mehr für Familie oder Freunde. Schon der Gedanke an den nächsten Dienst löste Druck in mir aus. Fahrgastkonflikte, Verspätungen und der ständige Blick in den Rückspiegel verstärkten das Gefühl, permanent unter Hochspannung zu stehen.
Es begann schleichend: Schlafstörungen, Gereiztheit, Konzentrationsschwierigkeiten. Irgendwann fühlte ich mich wie leergebrannt – ein klassisches Burnout. Später kamen depressive Symptome hinzu: Lustlosigkeit, Selbstzweifel, das Gefühl, nichts mehr zu schaffen. Es ist ein bedrückender Zustand, wenn man merkt, dass man zwar den Bus noch steuert, aber das eigene Leben kaum noch.
Die Gefahren im Beruf
Die Risiken für Busfahrer liegen auf der Hand:
- Monotones Sitzen über Stunden führt zu Verspannungen und Rückenschmerzen.
- Psychische Belastungen wie Zeitdruck, Schichtarbeit und Konflikte mit Fahrgästen zermürben.
- Fachkräftemangel sorgt dafür, dass Dienste dichter getaktet werden, Ausfälle kaum abgefedert werden können und der Druck steigt.
- Tabu-Thema Psyche: Über Probleme wie Burnout oder Depressionen zu sprechen, ist in vielen Betrieben immer noch schwer.
Viele Kollegen kämpfen mit denselben Problemen, doch die wenigsten trauen sich, darüber zu sprechen. Angst vor Stigmatisierung oder vor Konsequenzen spielt eine große Rolle.
Was ich selbst gelernt habe
Der erste Schritt war für mich, mir einzugestehen: „Ich kann nicht mehr.“ Ich suchte das Gespräch mit meinem Hausarzt und bekam eine Krankschreibung. Das war schwer – denn als Busfahrer habe ich das Gefühl, gebraucht zu werden. Aber ohne Pause hätte ich mich selbst kaputtgefahren.
Wichtig war, kleine Schritte zur Selbstfürsorge einzubauen:
- Bewegung in den Pausen, auch wenn es nur ein kurzer Gang um den Bus ist.
- Gesunde Routinen wie feste Essenszeiten, ausreichend Schlaf und bewusste Erholung.
- Psychologische Beratung – zunächst über die Krankenkasse, später durch einen Therapeuten.
- Offene Gespräche mit Kollegen, die mir zeigten, dass ich nicht allein bin.
Heute achte ich stärker auf meine Grenzen. Ich sage „Nein“ zu Überstunden, wenn ich merke, dass es nicht geht. Ich nutze Angebote wie Gesundheitskurse und tausche mich regelmäßig mit anderen Fahrern aus.
Was die Unternehmen tun – und wo es hakt
Viele Verkehrsunternehmen haben inzwischen Programme zur Gesundheitsförderung: Rückenschulen, Stressbewältigungskurse oder Mitarbeitergespräche. Auch Betriebsärzte und Betriebsräte sind wichtige Anlaufstellen.
Doch in der Praxis hapert es oft:
- Fahrpläne sind zu eng, Pausen zu kurz.
- Psychische Probleme werden häufig noch nicht ernst genug genommen.
- Fachkräftemangel führt zu Überstunden und damit zu noch mehr Belastung.
- Führungskräfte sind oft nicht ausreichend geschult im Umgang mit Burnout oder Depression.
Es reicht nicht, bunte Broschüren zu verteilen. Was wir brauchen, sind realistische Arbeitsbedingungen: echte Pausen, planbare Schichten, psychologische Unterstützung ohne Stigma und vor allem eine Unternehmenskultur, die offen über Belastungen spricht.
Fazit: Busfahren ist ein wichtiger, verantwortungsvoller Beruf. Aber er darf nicht krank machen. Ich habe am eigenen Leib erfahren, wie schnell man im Hamsterrad aus Stress, Schichtarbeit und Konflikten die eigene Gesundheit aufs Spiel setzt.
Burnout und Depression sind reale Gefahren – und sie verschwinden nicht, wenn man sie verschweigt. Jeder Fahrer sollte lernen, auf Warnsignale zu achten und rechtzeitig Hilfe zu suchen. Und jedes Verkehrsunternehmen muss Verantwortung übernehmen: durch bessere Strukturen, mehr Personal, offene Gespräche und echte Unterstützung.
Nur so können wir langfristig gesund und mit Freude hinterm Steuer sitzen – für uns selbst und für die Menschen, die uns täglich ihr Vertrauen schenken.