Arzneimittel-Check: Experte erklärt, warum Zulassung nicht gleich Wirkung bedeutet

Arzneimittel müssen vor ihrer Zulassung sowohl Wirksamkeit als auch Sicherheit nachweisen. Dennoch kommt es vor, dass Medikamente auf den Markt gelangen, deren Nutzen später infrage gestellt wird. Während Sicherheitsbedenken häufig zu Warnungen oder gar zur Marktrücknahme führen, haben Zweifel an der Wirksamkeit nicht automatisch dieselben Konsequenzen. Dies liegt daran, dass die Zulassung eines Medikaments nicht garantiert, dass es in allen Patientengruppen gleichermaßen wirksam ist. 

Oft reichen marginale Effekte oder Ergebnisse aus frühen Studien aus, um eine Zulassung zu erhalten und zu behalten – selbst wenn spätere Untersuchungen diese Effekte nicht bestätigen können. Ein strengerer Umgang mit solchen Fällen könnte nicht nur Patienten besser schützen, sondern auch das Vertrauen in die Arzneimittelversorgung nachhaltig stärken.

Dr. Christoph Nitsche ist Facharzt für Innere Medizin und Notfallmedizin. Seine Facharztausbildung absolvierte er am Marienhospital Euskirchen mit Schwerpunkt in der Kardiologie und Notfallmedizin. Er ist Teil unseres EXPERTS Circle. Die Inhalte stellen seine persönliche Auffassung auf Basis seiner individuellen Expertise dar.

Wie wird die Wirksamkeit und Sicherheit von Medikamenten vor der Zulassung geprüft?

Die Entwicklung eines Medikaments erfolgt in einem klar strukturierten, mehrstufigen Prozess, der darauf abzielt, sowohl die Wirksamkeit als auch die Sicherheit des Präparats zu gewährleisten. 

Zunächst werden in der präklinischen Phase Labor- und Tierversuche durchgeführt. Diese liefern erste Hinweise auf die pharmakologische Wirkung sowie mögliche Nebenwirkungen des Wirkstoffs. Anschließend folgen klinische Studien, die in drei Phasen unterteilt sind:

  • In Phase I wird das Medikament an gesunden Freiwilligen getestet, um grundlegende Informationen zur Sicherheit und zu möglichen Nebenwirkungen zu gewinnen.
  • In Phase II wird die Wirksamkeit und optimale Dosierung des Medikaments an einer kleinen Gruppe von Patienten untersucht.
  • Die entscheidende Phase III umfasst groß angelegte, randomisierte Studien, in denen das Medikament mit einem Placebo oder einer Standardtherapie verglichen wird. 

Ziel ist es, den klinischen Nutzen sowie das Sicherheitsprofil umfassend zu bewerten. Nach Abschluss dieser Studien erfolgt eine behördliche Bewertung durch Institutionen wie das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) oder die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA). 

Auf Basis der vorgelegten Daten entscheiden diese Behörden über die Zulassung des Medikaments. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass trotz dieses rigorosen Prozesses eine Zulassung nicht automatisch bedeutet, dass ein Medikament in allen Patientengruppen gleichermaßen wirksam ist – insbesondere bei beschleunigten Verfahren oder Studien mit Surrogatmarkern.

Welche Rolle spielen beschleunigte Zulassungsverfahren bei der Einführung neuer Medikamente?

Beschleunigte Zulassungsverfahren zielen darauf ab, den Zugang zu dringend benötigten Therapien für schwere Erkrankungen wie Krebs zu erleichtern. Dabei stützen sich diese Verfahren häufig auf vorläufige Daten oder sogenannte Surrogatmarker, beispielsweise Laborwerte oder die Verkleinerung von Tumoren. 

Diese Indikatoren ersetzen oft klinische Endpunkte wie die Überlebenszeit oder die Verbesserung der Lebensqualität, die in regulären Zulassungsverfahren üblicherweise entscheidend sind. Ein prägnantes Beispiel ist der COX-2-Hemmer Rofecoxib (Vioxx), der 1999 zur Behandlung von Arthritis und akuten Schmerzen zugelassen wurde. Trotz anfänglicher Hoffnungen zeigte sich später, dass das Medikament das Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle deutlich erhöhte. 

2004 zog der Hersteller Vioxx freiwillig vom Markt zurück. Solche Fälle verdeutlichen die Chancen und Risiken beschleunigter Verfahren: Einerseits ermöglichen sie Patienten schneller den Zugang zu potenziell lebensrettenden Therapien, andererseits besteht das Risiko, dass Medikamente ohne gesicherte Wirksamkeit oder langfristige Sicherheit verfügbar bleiben. 

Insgesamt stellen beschleunigte Zulassungsverfahren ein wichtiges Instrument dar, um medizinische Innovationen rascher zugänglich zu machen. Gleichzeitig erfordern sie eine sorgfältige Abwägung zwischen dem Nutzen für Patienten und möglichen Risiken durch unzureichend geprüfte Medikamente.

Was passiert, wenn Bestätigungsstudien nach der Zulassung keinen Nutzen eines Medikaments nachweisen können?

Wenn neue Studien die Wirksamkeit eines zugelassenen Medikaments infrage stellen, hängt das weitere Vorgehen stark von den gesetzlichen Regelungen und den Entscheidungen der zuständigen Behörden ab. 

Ein prominentes Beispiel ist Strovac, ein Präparat gegen wiederkehrende Harnwegsinfekte. Trotz negativer Studien, die keinen klaren Nutzen belegen konnten, bleibt es auf dem Markt. Der Grund liegt darin, dass ein fehlender Wirksamkeitsnachweis nicht automatisch zum Widerruf der Zulassung führt. 

Ein weiteres Beispiel ist Phenylephrin, ein häufig verwendeter Wirkstoff in Erkältungspräparaten. Aktuelle Studien zeigen, dass die orale Einnahme dieses Wirkstoffs nicht wirksamer ist als ein Placebo. Während die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA bereits Maßnahmen prüft, steht eine Neubewertung in Europa noch aus. 

Diese Fälle verdeutlichen, dass regulatorische Entscheidungen stark von nationalen Gesetzen und Prozessen abhängen. Selbst wenn neue Daten den Nutzen eines Medikaments nicht bestätigen können, bleiben solche Präparate oft über Jahre hinweg erhältlich. Dies wirft Fragen zur Effizienz und Einheitlichkeit der Arzneimittelbewertung auf und zeigt die Herausforderungen bei der Anpassung an neue wissenschaftliche Erkenntnisse.

Warum bedeutet eine Zulassung nicht automatisch, dass ein Medikament wirksam ist?

Die Zulassung eines Medikaments bestätigt in erster Linie, dass es sicher ist und einen nachweisbaren Nutzen haben sollte. Allerdings bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass die tatsächliche Wirksamkeit des Medikaments umfassend belegt ist. 

Besonders bei beschleunigten Zulassungsverfahren oder Studien, die auf Surrogatmarkern basieren – also indirekten Messgrößen wie Laborwerten statt klinisch relevanter Endpunkte – bleibt der tatsächliche klinische Nutzen oft unklar. In solchen Fällen kann es passieren, dass Medikamente zugelassen werden, deren Effektivität in der realen Anwendung begrenzt ist oder noch nicht ausreichend untersucht wurde. 

Dies birgt Risiken: Patienten könnten falsche Hoffnungen entwickeln und unnötigen Nebenwirkungen ausgesetzt sein. Gleichzeitig werden wertvolle Ressourcen für Therapien aufgewendet, deren Nutzen nicht eindeutig bewiesen ist. Die Zulassung allein sollte daher nicht als endgültiger Beleg für die Wirksamkeit eines Medikaments betrachtet werden, sondern vielmehr als ein erster Schritt in einem fortlaufenden Prozess der Bewertung und Überwachung.

Welche Maßnahmen sollten ergriffen werden, um unwirksame Medikamente schneller vom Markt zu nehmen?

Um die Verbreitung unwirksamer Medikamente zu verhindern und die Patientensicherheit zu erhöhen, sind gezielte Maßnahmen erforderlich. Eine Möglichkeit ist der automatische Widerruf der Zulassung, wenn Bestätigungsstudien innerhalb einer festgelegten Frist keinen klaren Nutzen des Medikaments nachweisen können. Dies würde sicherstellen, dass Präparate ohne belegte Wirksamkeit nicht länger als nötig auf dem Markt bleiben. 

Zudem sollte die Vergabe beschleunigter Zulassungen restriktiver gehandhabt werden. Solche Verfahren sollten nur dann angewendet werden, wenn eine solide Evidenzbasis vorliegt, die den potenziellen Nutzen des Medikaments ausreichend belegt. Dies würde verhindern, dass Präparate mit unzureichender Datenlage vorschnell zugelassen werden. 

Ein weiterer wichtiger Schritt ist die Einführung einer regelmäßigen Nachkontrolle, auch Jahre nach der Markteinführung eines Medikaments. Diese Überprüfungen könnten dazu beitragen, den langfristigen Nutzen und die Sicherheit eines Präparats kontinuierlich zu bewerten und gegebenenfalls Maßnahmen zu ergreifen. 

Durch diese Ansätze ließe sich nicht nur die Verbreitung unwirksamer Medikamente eindämmen, sondern auch das Vertrauen in das Gesundheitssystem stärken und die Sicherheit der Patienten nachhaltig verbessern.