Absolut ebenbürtig: Ukraine-Haubitze gibt Putin mächtig Feuer – Ende des Material-Mix

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Absolut ebenbürtig: Ukraine-Haubitze gibt Putin mächtig Feuer – Ende des Material-Mix

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Niemand könne ihnen mehr in die Nutzung hineinreden, äußert ein Artillerist. Die Ukraine nutzt jetzt ein weiteres Waffensystem aus eigener Produktion.

Kiew – „Es gibt einige sehr gute Radhaubitzen, die in einem Land wie Europa große Wirkung zeigen“, erklärte James Rainey während einer Anhörung des US-Senats Mitte 2024. Wie das Magazin Defense One den Chef des Army Futures Command zitiert, befanden sich die US-Streitkräfte seit dieser Zeit längst auf der Suche nach der „ultimativen Kanone“: Der Ukraine-Krieg hatte die Notwendigkeit der gezogenen wie der selbstfahrenden Artillerie bewiesen; Wladimir Putins aggressive Offensivtaktik hat zu einem Comeback der Waffengattung geführt, und die Ukraine weist mit ihrem Geschick offenbar ganz Europa und den USA den Weg in die Zukunft.

Ein Artillerist der Ukraine feuert eine selbstfahrende Haubitze 2S22 Bohdana währnend eines Gefechts ab. Aus dem Rohr kommt Feuer.
Ihre Erfolgswaffe nutzt die Ukraine jetzt auch in einer gezogenen Variante: Ein Artillerist der 44. Hetman-Danylo-Apostol-Artilleriebrigade der Ukraine feuert eine selbstfahrende Haubitze 2S22 Bohdana währnend eines Gefechts im Sektor Saporischschja ab. Mit dieser Haubitze nimmt eine autonome ukrainische Armee modernen Zuschnitts Gestalt an (Archivfoto). © IMAGO/Danylo Antoniuk

Der Defense Express berichtet, dass die Ukraine mit der „Bohdana-B“, einer geschleppten Haubitze aus eigener Produktion die gleichen Ergebnisse erziele, wie mit der in großem Umfang gelieferten US-amerikanischen M777. Soldaten der 40. Artilleriebrigade hätten nach intensiven Gefechten festgestellt, dass zwischen den Modellen faktisch keine signifikanten Unterschiede bestünden, so das Magazin. Und dabei hat die Ukraine einfach aus einer bekannten Waffe zwei gemacht. Die Ukraine will auch an Haubitzen Autonomie zurückgewinnen und sich vom Mäzenatentum der Westmächte abnabeln – so durchschlagskräftig die Caesars, Archers oder Haubitzen 2000 der NATO-Partner auch sein mögen. Die selbstfahrende Radhaubitze 2S22 Bohdana im Kaliber 155 Millimeter ist eine ukrainische Entwicklung, die in den letzten Monaten Aufmerksamkeit erregte, wie das Magazin Defense Network berichtet hat.

Neuer Schub im Ukraine-Krieg: „Ein Vergnügen, mit Waffen aus einheimischer Produktion zu arbeiten“

Demnach hatte Präsident Wolodymyr Selenskyj davon gesprochen, bis zu zehn Systeme pro Monat produzieren zu wollen. Ein erster Prototyp der 2S22 Bohdana sei 2018 in Kiew vorgestellt worden. Anfang 2023 habe die Ukraine die Serienproduktion gestartet. Diese selbstfahrende Haubitze hat die Ukraine jetzt in eine gezogene Haubitze umgemodelt. „Wassyl, ein hochrangiger Soldat und Kommandant eines Geschützes, sagt, es sei ein Vergnügen, mit Waffen aus einheimischer Produktion zu arbeiten“, berichtet das Magazin ArmyInform. Offenbar passt sich die Waffe mit ihrem 155-Millimeter-Kaliber perfekt in die Geschützhistorie der NATO ein. Wie ArmyInform-Autorin Natalia Kravchuk über die Soldatenmeinungen schreibt, hat die Ukraine offenbar aus eigener Cleverness das westliche Verteidigungsbündnis mit einer konkurrenzfähigen Waffe verstärkt.

„Mehr als ein Drittel der ukrainischen Artilleriesysteme ist ständig wegen Wartung und Reparatur außer Betrieb. Die ukrainischen Militärplaner müssen sich dieses Risikos bewusst sein und weiterhin die Versorgung durch die Industrie und Partner sicherstellen.“

„Ich bin im siebten Jahr bei der Artillerie. Das Wichtigste ist eine koordinierte Kalkulation und geschultes Personal, damit die Jungs verstehen, wer was macht. Die Granaten, Ladungen und Zündhütchen dafür sind die gleichen wie für die M777, dem ,NATO‘-Standard“, ergänzt Wassyl gegenüber der Autorin. Den wichtigsten Aspekt aber benennt, ihren Aufzeichnungen nach, Jewhen – der jetzige Geschützkommandant kämpft seit dem Ausbruch des Krieges und hat sich vom einfachen Kanonier an hochgedient; ein erfahrener Artillerist, den das ständige Hickhack um versprochene Waffen aus dem Westen, den zögerlichen Lieferungen und das Hineinreden in Strategie und Taktik durch die Mäzene immer begleitet hat.

„Ich mag unsere Bohdana-B. Erstens, weil sie uns gehört, und zweitens, weil uns niemand sagen wird, was sie uns gegeben oder nicht gegeben haben. Es ist sehr gut, dass diese Waffen hier produziert werden.“ Dieser Stolz auf die eigenen Fähigkeiten hatte sich schon seit der Premiere der selbstfahrenden Version gezeigt; obwohl die Ukraine mit den westlichen mobilen Systemen verhältnismäßig gut gefahren war: Erstaunlich sei vor allem, dass die Ukraine mit den „Schwächen“ dieses Systems offenbar leben konnte, wie Defense Network geschrieben hat. Auffällig sei demnach der „geringere Grad der Automatisierung“ – im Gegensatz beispielsweise zum schwedischen Archer-System müssten die ukrainischen Artilleristen zum Schießen ihre Kabine verlassen.

Rüstungs-Wirrwarr gegen Russland: Ukraine hatte mit 14 verschiedene Haubitzentypen zu kämpfen

Was einen langsameren Stellungswechsel zur Folge nach sich zieht und somit eine höhere Verwundbarkeit. Möglicherweise ein Ausweis der östlichen Militärdoktrin, nach der der Schutz eigener individueller Kräfte einen niedrigeren Stellenwert genießt als im Westen. Wie Defense One schreibt, setze beispielsweise der US-General James Rainey in seiner Zukunftsplanung auf eine hohe Mobilität artilleristischer Systeme, wozu neben den Geschützen für Flachfeuer auch solche für Steilfeuer zu zählen sind, also Mörser. Jen Judson berichtet für die Planung der Artillerie der Zukunft von einer Verschiebung des Fokus – einem Konzept, dem die Begeisterung für die Bohdana-B zuwiderläuft:

„Dieses Mal achtet die Armee nicht nur auf die Reichweite und Mobilität der Kanonen, sondern legt auch Wert auf eine gründliche Bewertung der Feuerrate und der Fähigkeit, zu schießen, sich zu bewegen, erneut zu schießen und dann wieder versorgt zu werden“, betont der Autor der Defense News. Für diese im Westen geschmiedete Doktrin fehlen der Ukraine offenbar die Kapazitäten – sie hat andere Herausforderungen zu meistern, wie Michael Peck bereits im zweiten Kriegsjahr beschrieben hatte; und für die die Bohdana-B eine Lösung darstellt: Laut dem Autoren des Business Insider (BI) hatte die Ukraine aufgrund der Abhängigkeit vom Westen mit 14 verschiedene Haubitzentypen zu kämpfen, und „jede Waffe bringt ein neues Problem für Kiew mit sich“, so Peck.

Selenskyjs Artillerie im Dilemma: Durch Fehlschüsse könnten eigene Kräfte direkt gefährdet werden

Der BI-Autor bezog sich auf eine Analyse eines ehemaligen britischen Majors für den britischen Thinktank „Royal United Services Institute“ (RUSI): Nach der würden auch Nuancen über die Effizienz des artilleristischen Feuers entscheiden: „Damit ein Artilleriegeschoss einen Schützengraben zum Einsturz bringt, muss es in einer Entfernung von höchstens zwei Metern einschlagen“, schreibt Patrick Hinton für seine RUSI-Analyse. Diese Genauigkeit verlangt neben der Kompetenz der Geschützmannschaft eine penible Abstimmung von Geschütz und Munition. „Selbst scheinbar ähnliche Haubitzen können geringfügige, aber signifikante Unterschiede aufweisen, die ihre Genauigkeit gegen Ziele in zehn (16 Kilometer) oder 20 Meilen (32 Kilometer) Entfernung beeinträchtigen“ schreibt Michael Peck.

Der BI-Autor verweist darauf, dass selbst vergleichbare Geschütze verschiedener Nationen zwar allesamt das NATO-Standard-Kaliber von 155-Millimetern verschießen könnten, aber ihre Genauigkeit von Granatentyp zu Granatentyp eventuell variiere. Praktiker Patrick Hinton unterstreicht, dass von der Präzision des Feuers die eigenen Spielräume extrem abhingen: Durch Fehlschüsse könnten eigene Kräfte direkt gefährdet werden, oder aber die gegnerischen Stellungen blieben derart intakt, dass eigene Offensiven im gegnerischen Abwehrfeuer verbluteten. Für die Ukraine ist die Haubitze in beiden Varianten neben eigenen Drohnen der nächste Hoffnungsträger – statt westlichen Importen wie der Haubitze 2000, die die ukrainischen Soldaten anfangs auch falsch bedient und somit ihrer Durchschlagskraft beraubt hatten.

Laut dem Kyiv Independent will die Ukraine Europas Klassenprimus in der Produktion von Haubitzen werden. Allerdings fehlte der Ukraine wohl bislang das Geld, um die heimische Rüstungsproduktion bezahlen zu können. Dänemark war einer der spendabelsten NATO-Partner für die Produktion der Bodhana, auch private Unternehmen aus der Ukraine investieren via Crowfunding in die Aufrüstung von alten Lkw mit Haubitzen. Das Geschäft ist zäh, weil auch die ausgeklügelten Systeme lediglich eine begrenzte Lebensdauer hätten, so Hinton. Seiner Erfahrung nach hätten Haubitzenrohre eine Lebensdauer zwischen 1.500 bis 2.500 Schuss – danach müssten sie ersetzt werden; für ausländische Systeme immer eine Herausforderung, die den ukrainischen Kanonieren das Leben erschwere, wie der ehemalige Major in seiner RUSI-Analyse anführt.

Autonomie scheint daher der einzig zukunftsträchtige Weg: „Mehr als ein Drittel der ukrainischen Artilleriesysteme ist ständig wegen Wartung und Reparatur außer Betrieb. Die ukrainischen Militärplaner müssen sich dieses Risikos bewusst sein und weiterhin die Versorgung durch die Industrie und Partner sicherstellen.“ (Quellen: Royal United Services Institute, Defense One, Defense Express, Defense Network, ArmyInform, Defense News, Business Insider, Kyiv Independent ) (hz)