Am Monatsanfang bleibt die Schlange vor dem „Ria Money Transfer“ am Alexanderplatz in Berlin bis in den Abend lang. An solchen Schaltern werden Abermillionen Euro aus Deutschland überall in die Welt versendet – außer nach Iran und Nordkorea. Das berichtet die „Welt“. Auf der Homepage des Anbieters „Ria Money Transfer“ heißt es: „Schnelle und sichere Geldüberweisungen – senden Sie an über 500.000 Abholorte in über 190 Ländern.“
Einer von denen, die in der Schlange vor „Ria Money Transfer“ am Alexanderplatz in Berlin warten, ist Tims Sanchez. In Deutschland will der 29-Jährige als Künstler erfolgreich werden. Sein Vater sei verstorben. Seiner Mutter würde er Geld überweisen – immer dann, wenn er etwas übrig hat, wie er der „Welt“ berichtet. Ria-Kundin Ilona erzählt, dass sie Geld in ihre Heimat, die Ukraine, sendet. Mal sollen es 50, mal 100 Euro sein.
Schnell, günstig, anonym: Geldtransfers weltweit
Statt bis zu fünf Tagen bei einer Banküberweisung würde der Geldtransfer, wie etwa bei „Ria Money Transfer“, nur eine Viertelstunde dauern. Ebenso sind die Überweisungskosten günstiger als bei einer deutschen Bank. Nicht einmal ein Konto sei dafür nötig.
Tims oder Ilona sind keine Einzelfälle. Wie sie kommen viele Menschen nach Deutschland, um sich hier ein besseres Leben aufzubauen. Ihre Familien in der Heimat wollen sie trotzdem finanziell unterstützen. Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung von 2024 konnte nachweisen, dass Geflüchtete seltener Geld ins Ausland überweisen als Migranten ohne Fluchthintergrund.
Milliardenüberweisungen: Deutschland auf Platz vier weltweit
Die Bundesbank stellte fest, dass 2024 etwa 7,7 Milliarden Euro ins Ausland überwiesen wurden. Der Großteil blieb dabei in Europa. Solche „Rücküberweisungen“ werden von der Weltbank deutlich höher geschätzt: 2023 sollen 23 Milliarden Euro aus Deutschland ins Ausland überwiesen worden sein. Am häufigsten überweisen Menschen aus den USA, Saudi-Arabien und der Schweiz Geld ins Ausland. Deutschland steht dabei auf Platz vier.
Laut dem Statistischen Bundesamt wird aus Deutschland am häufigsten Geld in die Türkei, nach Rumänien, in die Ukraine und nach Syrien überwiesen. Insbesondere für arme Länder seien diese Überweisungen bereits ein „wichtiger Wirtschaftsfaktor“ – so etwa für den Libanon, wie die „Welt“ berichtet. Im Jahr 2022 trägt diese Form des Geldtransfers mit 38 Prozent zum libanesischen Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei.
Bürgergeld im Ausland? Kritik an unkontrollierten Bargeldtransfers
Dass das so ist, bestätigt die Pressesprecherin von „Ria Money Transfer“, Jolanta Caber, der „Welt“: „Viele unserer Kunden in Deutschland senden Geld in osteuropäische Länder, insbesondere in die Ukraine, sowie in andere Regionen mit starken Communitys, wie zum Beispiel in die Türkei.“ Von Sozialverbänden werde das kritisiert. Demnach müssten die Geldtransfers stärker kontrolliert werden, wie die „Welt“ schreibt. Denn nicht nur selbst verdientes Geld kann versendet werden – auch Bürgergeld, das bald Grundsicherung heißen wird, aus Deutschland kann so ins Ausland abfließen.
Reporter der „Welt“ beobachteten, wie am Ria-Schalter Hunderte Euro übergeben werden. Woher das Geld stammt, wollten die Kunden nicht sagen. Eine Kundin aus dem Libanon erzählt der „Welt“ aber, dass sie Bekannte kenne, die vom Bürgergeld gewisse Summen abzwacken würden. Das Geld gehe dann an ihre Familien in Syrien oder den Libanon. Um das zu vertuschen, werde das Geld vom Konto abgehoben und in bar bei „Ria Money Transfer“ oder anderen Dienstleistern überwiesen. Erst bei einer Höhe von 12.500 Euro müssen Überweisungen ins Ausland der Bundesbank gemeldet werden, legt die Außenwirtschaftsverordnung fest.
Gegenüber der „Wirtschaftswoche“ sagte Bundesbank-Ökonom Dilip Ratha, er gehe davon aus, dass ausländische Bürgergeldempfänger zehn bis 20 Prozent der Sozialleistung in die Heimat überweisen. Der aktuelle Regelsatz liegt bei 563 Euro im Monat, das wären dann zwischen 56 und 112 Euro im Monat pro Empfänger.
Erspartes oder Bürgergeld – Kontrolle ist schwierig
Klar ist, dass Dienstleister von Geldtransfers nicht automatisch Orte für illegale Geldgeschäfte sind. Denn es gibt Überprüfungen der Kunden und der Empfänger, auch sind Überweisungen an Personen, die Sanktionen unterliegen, blockiert.
Dennoch ist es für den Dienstleister kaum möglich, herauszufinden, woher das Bargeld stammt, das überwiesen werden soll. Eine rechtliche Grundlage dafür fehlt, wie die Bundesagentur für Arbeit auf Nachfrage der „Welt“ erklärt. Laut der Bundesagentur stehen Überweisungen ins Ausland nicht gleich unter Betrugsverdacht. Es könnten aber Sanktionen, Rückforderungen oder Strafverfahren folgen.
Entwicklungspolitik unterstützt kleine Geldsendungen
Klar ist, dass es Bestrebungen gibt, den Abfluss von Sozialleistungen ins Ausland zu verringern. Das war einer der Gründe, weshalb der Bundestag im vergangenen Jahr für die Einführung der Bezahlkarte gestimmt hat. Dennoch wird der private Geldtransfer vom Entwicklungsministerium gefördert. Es würde sich um „einzelne kleine Geldsendungen in Höhe von 200 bis 300 US-Dollar“ handeln, erklärt das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) auf seiner Website.
Dieser wird als „international remittances“ bezeichnet und zählt zur deutschen Entwicklungspolitik. Laut eigenen Angaben des BMZ will Deutschland „Möglichkeiten für schnellere, sichere und kostengünstigere Geldtransfers schaffen und die finanzielle Inklusion von Migrantinnen und Migranten und ihren Familien fördern.“ Das wurde im „Ziel 20“ der UN-Agenda 2030 festgelegt. Grundbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung und Wohnraum sollen damit finanziert und Armut reduziert werden, heißt es weiter.