Wie Diktator Lukaschenko seine Macht in Belarus fast unbemerkt weiter ausdehnt

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Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko verfolgt seine Gegner auch im Ausland. © IMAGO/Pavel Bednyakov

Drei Jahre nach der Protestwelle in Belarus ist es für die Demokratiebewegung im Land schwieriger denn je. Eine Expertin erklärt, wie die Autokratie funktioniert.

Berlin – Über Belarus wird fast nur noch im Kontext des Ukraine-Krieges berichtet. Währenddessen baut Alexander Lukaschenko seine Macht im Land immer weiter aus. Was das für die Menschen in dem Land bedeutet, erklärt Olga Dryndova, Redakteurin der „Belarus-Analysen“ an der Forschungsstelle Osteuropa der Universität Bremen im Interview.

Olga Dryndova, Redakteurin der „Belarus-Analysen“ an der Forschungsstelle Osteuropa der Universität Bremen
Olga Dryndova, Redakteurin der „Belarus-Analysen“ an der Forschungsstelle Osteuropa der Universität Bremen © privat

Vergangene Woche hat der Bundestag eine Belarus-Resolution verabschiedet. Was bedeutet sie?

Was ich bemerkenswert finde: Laut Resolutionstext ist „ein demokratisches Belarus in der europäischen Wertegemeinschaft willkommen“. Wenn auch indirekt, könnte das eine EU-Beitritts-Perspektive für Belarus bedeuten. Dass die deutsche Regierung auch drei Jahre nach der Wahl von Alexander Lukaschenko ihn als legitimen Präsidenten nicht anerkennt, zeigt, sie meint es ernst mit ihrer Solidarität für die Demokratiebewegung. In der Resolution wird zudem das Vereinigte Übergangskabinett von den belarussischen demokratischen Kräften, geleitet von Swetlana Tichanowskaja, als relevanter Akteur genannt, mit dem kommuniziert werden soll. Diese Einstellung ist definitiv etwas qualitativ Neues für die deutsch-belarussische Beziehung.

Wie hat sich das Lukaschenko-Regime in den letzten drei Jahre verändert?

Ich finde es etwas schade, dass dieses System schon vor 2020 als letzte Diktatur Europas bezeichnet wurde. Denn dadurch wurde vieles, was nach 2020 passiert ist, quasi entkräftet. Manche Experten sprechen nun von einem System an der Schnittstelle zwischen Autokratie und Totalitarismus.

Belarus: „Wir haben es mit einer starken Repressionswelle zu tun“

Was genau passiert dort?

In Belarus passieren Sachen, die sind zu Sowjetzeiten passiert. Wir haben es mit einer sehr starken Repressionswelle zu tun, die das Ziel hat, direkte politische Bürgerbeteiligung zu beseitigen. Die belarussische Regierung versucht alle Akteure, die das Potential haben, Menschen zu versammeln, zu verbieten. Nicht-staatliche Medien, unabhängige Gewerkschaften, fast alle Parteien wurden liquidiert. Auch Veranstaltungen zu Klimaschutz, Kultur oder Bildung werden oft als Gefahr vom Staat gesehen. Es wird eine komplette Entpolitisierung der Bevölkerung erzielt.

Wie hat sich das belarussische Verhältnis zu Russland in den letzten drei Jahren verändert?

Solange die Beziehung zwischen Belarus und dem Westen angespannt ist, ist die Abhängigkeit zu Russland kritisch. Es gibt sonst keine Alternative, dass Lukaschenkos System weiter finanziert und politisch unterstützt wird. Lukaschenko hat Putin auch persönlich zu danken, dass er in den schwierigen ersten Wochen nach der Wahl 2020 an der Macht geblieben ist. Hätte Russland die Lukaschenkos politische Legitimation infrage gestellt, wäre es sein politisches Ende gewesen.

Wie kann sich der Westen jetzt für Belarus einsetzen?

Im Kern ist es wichtig, dass Belarus mediale und politische Aufmerksamkeit bekommt. Wichtig ist dabei die sogenannte Legitimierungs-Funktion. Trifft man sich nicht mit der belarussischen Staatsführung, sondern mit demokratischen Kräften, werden diese für das deutsche und belarussische Publikum legitimiert. Das ist wichtig für die Demokratiebewegung in Belarus. Außerdem: Wer nicht bekannt ist, wird nicht finanziell unterstützt. Dazu ist externe Demokratieförderung Teil der deutschen und EU-Außenpolitik. Und Belarus gehört zu den vielen Autokratien, die von Deutschland und der EU als sicherheitspolitische Bedrohung gesehen werden.

Diktatur in Belarus: „Den Gefangenen wird suggeriert, dass sie vergessen worden sind“

Wie gefährlich ist es dann, dass Belarus weitgehend aus dem öffentlichen Diskurs verschwunden ist?

Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ist über Belarus fast nur als Co-Aggressor gesprochen worden. Über Belarus ohne Verbindung zu Russland und Ukraine zu berichten, macht wenig Sinn – das ist ein Teil der ganzen regionalen Situation. Ohne das belarussische Gebiet wäre etwa der Angriff auf Kiew in dieser Form gar nicht möglich gewesen. Aber dabei wurde die Trennung zwischen der Gesellschaft und dem Regime nicht immer dargestellt. Und die inhaftierten Menschen sind auf Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit angewiesen. Es ist ein psychologischer Krieg, den Autokratien führen. Den Gefangenen wird suggeriert, dass sie vergessen worden sind. Es gab möglicherweise deswegen schon mehrere Selbstmordversuche von politischen Gefangenen.

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